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Biathlon-Legende Fischer: "Es wird bald neue Stars wie Dahlmeier oder Neuner geben"


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Biathlon-Legende Fischer
"Es wird bald neue Athletinnen wie Dahlmeier oder Neuner geben"

  • T-Online
InterviewVon Alexander Kohne

03.03.2020Lesedauer: 6 Min.
Eingespieltes Duo: Seit dieser Saison arbeiten Sven Fischer (l.) und Laura Dahlmeier gemeinsam als Experten beim ZDF.Vergrößern des Bildes
Eingespieltes Duo: Seit dieser Saison arbeiten Sven Fischer (l.) und Laura Dahlmeier gemeinsam als Experten beim ZDF. (Quelle: imago-images-bilder)
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Nach dem Rücktritt von Laura Dahlmeier lechzen die deutschen Biathlon-Fans nach einer neuen Galionsfigur. Geht es nach Vierfach-Olympiasieger Sven Fischer, müssen sie nicht mehr lange warten.

Sven Fischer kennt die deutschen Biathlonszene wie kaum ein anderer. Mit vier Olympia- und sieben WM-Goldmedaillen war er in den 1990er und 2000er Jahren einer der erfolgreichsten Vertreter der Sportart. Seit seinem Karriereende 2007 begleitet der mittlerweile 48-Jährige die Rennen als Experte beim ZDF und war im Rahmen dessen auch bei den Welttitelkämpfen im Februar in Antholz dabei. Dort holte das deutsche Team zwar fünf Medaillen, eine goldene war allerdings nicht dabei.

t-online.de: Herr Fischer, schafft es das Team, in den nächsten Jahren wieder einen Star vom Kaliber einer Laura Dahlmeier oder Magdalena Neuner hervorzubringen?

Sven Fischer (48): Ja, ich denke schon, dass es bald neue Athletinnen und Athleten wie Dahlmeier oder Neuner geben wird. Aktuell kommt das deutsche System mit einer überschaubaren Anzahl von Nachwuchssportlern relativ weit. Man darf sich nicht nur auf die Supertalente verlassen, die sich – ungeachtet optimaler Spitzenförderung – scheinbar wie von selbst durchsetzen. Trainingsfleißige Sportler können Supertalente überholen. Das setzt eine lange und harte Arbeit voraus. Davon abgesehen erkennt man diese Supertalente nicht bei der Einschulung und noch nicht einmal mit 13 oder 14 Jahren. Talente in dieser Liga – wie auch Martin Fourcade, Ole Einar Björndalen, Uschi Disl oder Magdalena Forsberg – treten erst zu Beginn ihrer 20er Jahre richtig hervor, wenn sie sich im Weltcup entwickeln. Man trainiert einen zukünftigen Olympiasieger im Biathlon nicht isoliert von klein auf an und kann erst recht nicht bei einem Siebenjährigen wissen: Der holt mal Gold.

Sven Fischer gehört zu den erfolgreichsten Biathleten überhaupt. Der 1971 in Schmalkalden geborene Fischer holte vier Olympiamedaillen und sieben WM-Titel. 1997 und 1999 gewann er zudem den Gesamtweltcup. Seit seinem Karriereende 2007 arbeitet Fischer als TV-Experte für das ZDF.

Wie war das bei Ihnen?

Ich war als Nachwuchsathlet in der DDR durchschnittlich erfolgreich. Zur Wendezeit mit 18 Jahren kamen dann Knieoperationen, wegen denen ich lange ausgefallen bin. Da haben schon einige Leute gesagt: "Aus dem wird wohl nie was." Erst durch die Wiedervereinigung habe ich wieder mit dem Leitungssport angefangen und mich stabilisiert. Wenn die DDR weiter bestanden hätte, weiß ich nicht, ob ich in den Biathlonsport zurückgekommen wäre. Ich weiß nicht, ob man mich in den Kader aufgenommen hätte – eher nicht. Das zeigt: Man sollte niemanden zu früh abstempeln. Das beweisen auch andere erfolgreiche Athleten. Mit einer entsprechenden Leistungsentwicklung durch alle Altersstufen ist eine Menge möglich. Dazu kommen die richtigen Trainer und das richtige Umfeld. Athleten wie Andrea Henkel oder Johannes Thingnes Bö werden nicht von allein so gut. Bei Ihnen, wie bei mir, war es immer eine Teamleistung, die solche Entwicklungen ermöglichten.

Apropos Trainer. Bundestrainer Mark Kirchner hat vor der WM das Fehlen von Nachwuchstrainern in Deutschland als Problem ausgemacht. Wie sehen Sie das?

Die Kritik, die Mark übt, ist absolut berechtigt. Und es wird schon versucht, etwas zu ändern und gegenzusteuern. Die Gründe sind vielfältig. Viele Trainer, die jahrelang gute Arbeit geleistet haben, sind in den letzten Jahren in Rente gegangen oder, wie mein ehemaliger Trainer Klaus Siebert, leider bereits verstorben. Nun müssen Neue nachkommen. Und da ist es wie bei den Sportlern: Es gibt Talente, aber die muss man sichten und ihnen Zeit geben, sich zu entwickeln.

Müssen auch mehr finanzielle Anreize geschaffen werden?

Geld regelt nicht Alles. Um das ganze System zu verbessern, würde ich noch weiter unten anfangen. Viel weiter unten.

Was meinen Sie damit?

Man muss erstmal folgende Fragen klären: Was ist Spitzensport eigentlich? Entwickelt er sich aus dem Breitensport der Gesellschaft? Wie profitiert die Gesellschaft vom Sport? Um den Spitzensport besser zu unterstützen, bedarf es nicht nur der Nachwuchstrainer, sondern vor allem einer entsprechenden Verankerung des Spitzensports in der Gesellschaft.

Ist diese zu wenig vorhanden?

Ja.

Warum?

Einige Wenige tragen den Spitzensport unter enormen Anstrengungen. Denen gilt mein Respekt. Der aktive Sport hat besonders bei jüngeren Menschen an Akzeptanz verloren. Das beinhaltet auch die Bereitschaft, sich geduldig in verschiedenen Sportarten zu versuchen. Ob es früher anders war, kann jeder in seiner Region besser bemessen. Eine These von mir: Kinder eifern den Erwachsenen nach und adaptieren deren Ideale. Die Grundlagen für den Spitzensport werden im Kindesalter gelegt. Verpasste Entwicklungsstufen werden nur mit extrem viel Mühe kompensiert. Die moderne Welt führt dazu, dass wir in der Masse bequemer werden und uns körperlich wenig bewegen. Das Grundverständnis für den eigenen Sport geht verloren. Natürlich gibt es noch Kinder und Jugendliche, die sich gerne bewegen und Sport treiben – aber flächendeckend sind es zu wenige für nachhaltigen Spitzensport. Deshalb muss der Sport wieder viel mehr in den Schulen verankert werden. Es gibt zu wenige Sportstunden und wenig Bewusstsein für den eigenen Körper. Und diese Situation existiert bei unserem modernen Wissensstand, wie ironisch. Das zieht sich bei zu vielen Menschen durchs ganze Leben und irgendwann sagt der Arzt bei einer Diagnose: "Sie bewegen sich zu wenig." Menschen, die mit Sport aufwachsen und diesen in ihr Leben integrieren, sind zufriedener, ausgeglichener, leistungsfähiger und auf lange Sicht auch gesünder. Eine Gesellschaft profitiert viel mehr davon, den Sport zu unterstützen, als oft angenommen wird. Ein Vorreiter diesbezüglich ist Norwegen – nicht nur, weil die bei der WM in Antholz gerade dominiert haben (lacht).

Was machen die Norweger denn Besonderes?

Dort herrscht ein anderes Bewusstsein für Sport, er ist mehr ins Leben integriert – und zwar schon in der Schule. Dadurch gibt es generell eine höhere Sportbegeisterung. Für Wintersport hat Norwegen natürlich Schnee und entsprechende Berge, da ist es naheliegend, dass die Norweger in den entsprechenden Disziplinen gut sind. Für so ein vergleichsweise kleines Land im Sommersport sind aber beispielsweise auch die Handballer und teilweise auch die Fußballer, die mit Borussia Dortmunds Erling Haaland weiter Chancen auf die EM-Qualifikation haben, sehr gut. Und aus dieser Sportbegeisterung ergibt sich auch, dass es finanziell lukrativ und gesellschaftlich geschätzt ist, Nachwuchstrainer zu sein – und zwar ganz egal, ob im Fußball, Biathlon oder sonst wo.

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Wird der Trainerberuf in Deutschland zu wenig geschätzt?

Ja, und all die Berufe derer, die sich an der Entwicklung von Menschen mit beteiligen. Das sind viele Berufszweige, die zu wenig geschätzt werden. Und da liegt das Problem mitbegründet. Außerdem habe ich oft das Gefühl, dass Nachwuchstrainer im Leistungssport den Athleten eine Basis antrainieren müssen, die durch den Freizeitsport, inklusive Schulsport, schon längst gelegt sein sollte. Wenn heute Kinder einen Purzelbaum schlagen, trägt man mehr Sorge, dass sie sich dabei nicht verletzen, als noch vor zwanzig Jahren. Übertragen auf Biathlon: Kinder fallen bei einer steilen Abfahrt schneller hin, wenn sie nicht die Grundgeschicklichkeit haben und im Turnen kein entsprechendes Ausbalancieren gelernt haben. Also muss man erstmal viel mehr Balance und Bewegungsabläufe üben, bevor man überhaupt biathlonspezifisch trainieren kann.

Woran liegt es, dass viele Kinder diese Bewegungsaffinität nicht mehr haben?

Ich könnte natürlich plakativ sagen: Smartphone und Co. sind schuld. Das hört man in diesem Zusammenhang ja oft. Aber das ist falsch. Wir leben im Jahr 2020 und haben nun einmal die Bedingungen, die wir haben. Und der technologische Fortschritt ist doch hervorragend und gibt neue Möglichkeiten. Das sollte man nicht schlecht reden und den Kindern die Nutzung verbieten, weil sie aufgrund des Smartphones – vermeintlich – weniger miteinander reden, Fahrradfahren oder auf den Bolzplatz gehen. Viel besser ist es, mit den Begebenheiten entsprechend umzugehen. Der natürliche Bewegungsdrang darf unterstützt und nicht gebremst werden. Kinder müssen aktiv und altersgerecht gefördert werden und brauchen ihren Freiraum dafür. Die Grenzen, welche ja Kinder brauchen, sollten von den Erwachsenen verständlich vorgelebt werden und nicht gegensätzlich sein.

Können Sie sich vorstellen, Trainer im deutschen Team zu werden?

Absolut. Deshalb habe ich im vergangenen September ein entsprechendes duales Studium an der Trainerakademie Köln des Deutschen Olympischen Sportbundes begonnen – und das, obwohl ich Baujahr 1971 bin (lacht). Als Sportler habe ich gelernt, nie mit dem Lernen aufzuhören. Ich möchte als Trainer im Nachwuchs arbeiten. Ich möchte vor allem Kinder und Jugendliche, die noch in der Schule sind, für Sport begeistern. Als Sportler habe ich sehr viel erlebt und möchte meine Erfahrungen an junge Biathleten weitergeben. Beim Fernsehen bin ich schon so lange dabei und irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man sagt: Ich will nicht mehr nur beobachten und von außen über Leistungen reden, sondern aktiv eingreifen und etwas verändern. Ich will eine Leistungsentwicklung mitgestalten.

Heißt das, dass Sie Ihren Expertenjob beim ZDF jetzt an den Nagel hängen?

Direkt natürlich noch nicht. Alles hat seine Zeit. Das darf kein Job bis zur Rente sein. Denn es gibt genug ehemalige Athleten, die erst vor kurzem aufgehört haben– wie jetzt Laura Dahlmeier. Mal sehen, wie lange wir noch als Team zusammenarbeiten können. Aktuell haben wir sehr viel Spaß und die Chemie stimmt auf jeden Fall für uns zwei. Wir beide haben unter anderem eins gemeinsam, wir lieben den Sport.

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