Degenkolb über die Tour "Man sollte nicht alles an Etappensiegen messen"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erstmals seit sechs Jahren ist John Degenkolb nicht bei der Tour de France dabei. Das Team entschied sich gegen Deutschlands aktuell wohl populärsten Radprofi. Doch die "Grand Boucle" lässt ihn nicht los.
Im Juli 2018 verzückte John Degenkolb mit seinem emotionalen Tour-de-France-Etappensieg in Roubaix das deutsche Publikum. Ein Jahr später muss der Spezialist für Eintagesrennen die am Samstag beginnende Frankreich-Rundfahrt (1. Etappe ab 14 Uhr im Liveticker von t-online.de) im TV verfolgen. Dennoch ist ihm das Rennen alles andere als egal.
t-online.de: Herr Degenkolb, Ihr Team Trek-Segafredo hat Sie in diesem Jahr nicht mit zur Tour genommen. Ihr Kommentar: "Nach sechs Teilnahmen in Folge ist die Entscheidung für mich in Ordnung." Mal ehrlich: Ärgern Sie sich nicht ein bisschen darüber?
John Degenkolb: Natürlich ist die Tour immer ein Highlight und natürlich freut man sich, wenn man dabei ist. Aber es ist nun mal so, dass zum einen nicht jeder bei der Tour dabei sein kann – und es zum anderen nicht nur die Tour gibt. Das heißt, das Team aber auch ich als Fahrer müssen verschiedene Optionen abwägen und durchspielen und dann gemeinsam entscheiden, was für alle das Beste ist. Das haben wir getan und deshalb bin ich, wie gesagt, nicht ärgerlich, sondern vollkommen im Reinen mit der Entscheidung. Und ich bin sicher: Es wird in den nächsten Jahren schon noch die ein oder andere Gelegenheit kommen, meinem Etappensieg aus dem letzten Jahr noch den ein oder anderen hinzuzufügen (lacht).
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Welche Rolle spielt Ihr auslaufender Vertrag bei der Entscheidung der Teamleitung?
Aus meiner Sicht: keine. Die sportlichen Leiter treffen sportliche Entscheidungen: Was wollen wir als Team erreichen und was brauchen wir dafür? Und deshalb heißt es in diesem Jahr: volle Unterstützung für Richie Porte (den Teamkapitän mit Ambitionen im Gesamtklassement, Anm. d. Red.) mit der maximal möglichen Anzahl an Helfern.
Wie werden Sie die Tour nun verfolgen?
So wie alle Radsportfans: vor dem TV-Gerät. Da werde ich dann meinen Jungs die Daumen drücken – erst aus meinem Urlaub, dann aus dem Trainingslager in Livigno, wo ich mich zusammen mit weiteren Teamkollegen auf meine kommenden Rennen vorbereite.
Fläzen Sie sich bei den Etappen auch mal mit einer Tüte Chips aufs Sofa?
Genau so – nur ohne die Chips natürlich (lacht).
John Degenkolb
Der gebürtige Geraer fährt seit 2017 für das Team Trek-Segafredo. 2018 gewann er seine erste Tour-de-France-Etappe in Roubaix. 2015 triumphierte er bei den Frühjahrsklassikern Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix.
Was sind Ihre Ziele für den Rest der Saison?
Nach dem Trainingslager geht es für mich zur Polen-Rundfahrt und dann zur Vuelta (a España; neben der Tour de France und dem Giro d’Italia eine der drei großen dreiwöchigen Rundfahrten, Anm. d. Red.). Tolle Rennen, bei denen ich natürlich top in Form sein will. Deshalb gibt es nur einen sehr kurzen Urlaub vor dem Trainingslager.
In Ihrer Titelsammlung fehlt bisher noch ein Weltmeistertitel. Der diesjährige WM-Kurs in Yorkshire im September gilt wie gemacht für Sie …
... aber den WM-Titel gibt es nun mal nur einmal im Jahr und er ist daher nicht so leicht zu holen (lacht). Aber ja, auf den ersten Blick sieht die Strecke nicht schlecht aus.
Kommen wir noch mal zur Tour: Was für eine Strecke erwartet uns in diesem Jahr?
Wieder eine sehr harte und anspruchsvolle – insbesondere für Sprinter und Fahrertypen wie mich. Auch außerhalb der "echten" Berge in den Pyrenäen und den Alpen sind sehr viele schwierige Etappen mit einigen Höhenmetern dabei.
Ihr Team Trek-Segafredo setzt voll auf Richie Porte und das Gesamtklassement. In den vergangenen beiden Jahren war er der große Pechvogel und musste die Tour jeweils als Mitfavorit nach Stürzen beenden. Was trauen Sie ihm in diesem Jahr zu?
Erst mal hoffe ich natürlich, dass Richie dieses Jahr vom Pech verschont bleibt und abrufen kann, was er kann. Klappt das, kann er bestimmt eine wichtige Rolle spielen bei der Entscheidung.
Apropos Entscheidung: Wer sind die Favoriten auf den Gesamtsieg?
Es wird vielleicht so spannend wie lange nicht mehr. Es gibt einige Favoriten mit starken Teams, auch wenn Christopher Froome (viermaliger Sieger, Anm. d. Red) und Tom Dumoulin (Vorjahreszweiter, Anm. d. Red.) verletzungsbedingt nicht dabei sind. Ineos, Movistar, Astana sind aus meiner Sicht die Teams, die es am meisten zu beachten gilt – aber auch Roman Bardet und Thibaut Pinot werden bestimmt alles geben für einen Heimsieg.
Wenn Sie sich festlegen müssten: Wer gewinnt die Tour?
Puh ... zum Glück muss ich mich nicht festlegen (lacht).
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Und wie steht es mit den deutschen Fahrern?
Wir haben starke deutsche Fahrer im Peloton – aber Radsport ist nun mal ein Mannschaftssport und deshalb sollte man nicht alles an Etappensiegen oder der Platzierung im GC messen. Ich würde mich aber natürlich freuen, wenn es den ein oder anderen deutschen Etappensieg geben würde.
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Peter Sagan kann zum siebten Mal das Grüne Trikot gewinnen und damit Erik Zabel überflügeln. Schafft er das?
Die Chance dazu hat er bestimmt – er ist natürlich der große Favorit aufs Grüne. Allerdings gilt auch für ihn, was für alle gilt: Drei-Wochen-Rundfahrten sind schwer vorhersagbar und es kann immer Überraschungen geben.