Biathlon Lesser vor Karriereende: Vorfreude auf neue Zeitrechnung
Berlin (dpa) - Zum Ende seiner langen Biathlon-Karriere wird Erik Lesser ein letztes Mal körperliche Qualen ertragen müssen. "Ich werde ganz schön leiden", sagte der Ex-Weltmeister vor den letzten drei Saisonrennen auf den schweren Strecken von Oslo.
Bei seinem Abschied vom Weltcup-Zirkus in der Wiege des nordischen Skisports bekommt der 33-Jährige aber moralische Unterstützung von seiner Lebensgefährtin Nadine und der dreijährigen Tochter Anouk. Und sie sind der Grund, warum Lesser ein Jahr vor der Heim-WM in Oberhof aufhört.
Lesser freut sich auf Zeit nach aktiver Laufbahn
Biathlon gibt ihm nicht mehr genug, als dass sich weitere monatelange Schindereien in der Vorbereitung und der lange Verzicht auf seine Liebsten für ihn noch lohnen würden. Jetzt tritt er in den Hintergrund, will seiner Partnerin den beruflichen Freiraum geben, auf den sie für ihn jahrelang oft verzichtete. "Ich will es einfach genießen, meine Tochter in den Kindergarten zu bringen und sie abzuholen", sagte Lesser der Deutschen Presse-Agentur. Der Thüringer nimmt sich eine längere Auszeit, will weg vom Sport kommen, keinen Druck, keinen Stress, einfach mal in den Tag hinein leben.
In Lesser geht nach Olympiasieger Arnd Peiffer (34) und Ex-Weltmeister Simon Schempp (33) der nächste Leitwolf. Und einer der meinungsstärksten Athleten. Lesser, in den zwölf Jahren im Weltcup nie um schonungslose Selbstkritik verlegen, kritisierte zuletzt lautstark das IOC wegen der Olympia-Vergabe nach Peking und sorgte für Aufsehen, als er zwei ukrainischen Sportlern sein Instagram-Account überließ, um Bilder von der russischen Invasion in die Ukraine zu zeigen. Sportpolitisch will er sich aber nicht weiter engagieren, glaubt, sich da aufzureiben. Seine Meinung wird trotzdem nach wie vor gefragt sein, für einen Job als Fernsehexperte wäre er prädestiniert: "Das kann ich mir schon ganz gut vorstellen."
Peiffer: "Erik wird ein sehr guter Trainer"
Sein Ziel aber ist ein Trainerjob, der Weg mit dem Deutschen Skiverband schon lange abgesprochen. Im kommenden Jahr will er in Köln den Trainerschein machen. "Ich glaube, dass Erik mal ein sehr guter Trainer werden wird", sagte sein alter Zimmerkollege Peiffer der "Welt am Sonntag". Lesser wird sicher in der Arbeit mit Athleten so akribisch sein wie zu seiner aktiven Zeit. Und er kann sich vorstellen, irgendwann auch mal Bundestrainer oder Cheftrainer der Herren oder Frauen zu sein. "Ob ich dann der Richtige bin oder selber dann auch Lust drauf habe, ist ja die Frage. Aber jetzt kann ich mir das schon vorstellen, dass die Arbeit im Weltcup fordernd und das Richtige für mich sein könnte", sagte Lesser, dessen Lebensmittelpunkt Oberhof ist, wo es einen DSV-Stützpunkt gibt.
Als Trainer kann Lesser natürlich viel aus seiner Karriere ziehen, in der er "oft auf die Fresse" bekam. Aber mit zweimal Olympia-Silber in Sotschi 2014 sowie Staffel-Bronze 2018 und WM-Gold 2015 in der Verfolgung und dem Team sowie fünf weiteren WM-Medaillen gehört er zu den Besten seines Sports. Worauf er neben seinen Erfolgen stolz ist? "Dass ich meinen Weg so gegangen bin, wie ich es mir ausgemalt habe, als ich mit 13 aufs Sportgymnasium gegangen bin. Dass ich viele tolle Menschen kennengelernt habe. Dass ich die Tiefen, die ich hatte, sehr gut weggesteckt habe und gestärkt aus diesen wieder rauskam und mit meinen Trainern immer ein gutes Verhältnis hatte, teamfähig und kompromissbereit war."
Ob er nach seinem letzten Rennen am Sonntag Tränen vergießt? Wohl eher nicht. Zu sehr überwiegt die Vorfreude auf die neue Freiheit und eine neue Zeitrechnung. "Ich will mich nicht fünf Runden abfeiern lassen, sondern ein ordentliches Ergebnis erzielen", sagte Lesser mit Blick auf den finalen Massenstart. Zuletzt hatte er in Kontiolahti als Verfolgungszweiter und in Otepää mit Franziska Preuß in der Single-Mixed-Staffel zweimal stark abgeliefert.