Die chinesische Olympia-Blase Und plötzlich schauen sich alle erschrocken um
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Am Freitag beginnen in Peking die Olympischen Spiele. Wegen der Angst vor Corona schirmt China die Wettbewerbe hermetisch ab. Und die Einreisebestimmungen sind so rigide wie wohl noch nie zuvor. Das führt zu verrückten Szenen. Ein Erlebnisbericht.
Ganz in Weiß stehen sie am Gate. Eingepackt von Kopf bis Fuß. Im Ganzkörper-Anzug, mit FFP2-Maske, Schutzbrille – ja sogar die Schuhe sind eingehüllt. So stellt man sich Kabinenpersonal bei einem Interkontinentalflug eigentlich nicht vor.
Als ich "Air China"-Flug C560 am Pariser Flughafen Charles de Gaulles betrete, messen die beiden weiß gekleideten 'Gestalten' erst mal meine Körpertemperatur – und nicken. Sie scheinen zufrieden zu sein. Mehr erfahre ich nicht. Ziel des Fluges ist Peking, wo am Freitag die Olympischen Winterspiele beginnen.
Gemeinhin sorgt das in der Sportwelt für Hochstimmung. Aktuell sieht das aber etwas anders aus. Der Grund: das Coronavirus. Genauer gesagt die rigiden Maßnahmen, mit denen die chinesische Regierung verhindern möchte, dass sich die Omikron-Variante im Land verbreitet.
China fährt eine Zero-Covid-Strategie. Für die Spiele bedeutet das: Sportler, Offizielle und auch Journalisten sollen sich in der geschlossenen Blase ohne Kontakt zur Außenwelt bewegen – in einer hermetisch abgeriegelten Parallelwelt.
Hackl: "Diese Spiele werden ganz anders"
"Diese Spiele werden ganz anders werden, als man es bisher kannte", sagt beispielsweise Georg Hackl, der in den nächsten zweieinhalb Wochen als t-online-Kolumnist seine Eindrücke aus China schildern wird. Was "anders" in diesem Zusammenhang heißt, merke ich schon, bevor ich überhaupt chinesischen Boden betreten habe.
Nicht nur, weil ich auf zahlreichen Portalen teils Monate vorher unterschiedlichste, aus deutscher Datenschutzsicht teilweise sehr fragwürdige Daten angeben musste. Nein, beim Flug C560 gibt es auch keinen Boardservice. Stattdessen liegt ein durchsichtiger Plastikbeutel mit Verpflegung auf meinem Sitz.
Die wichtigste Aufgabe des Flugpersonals ist eine andere: Fieber messen. Noch zweimal zücken die weiß eingepackten Flugbegleiterinnen und -begleiter ihre Thermometer und scannen am Handgelenk meine Körpertemperatur. Ein "Wunsch der Behörden der Volksrepublik China", wie es in einer schwer verständlichen Durchsage heißt. Und die Ergebnisse? Behalten sie auch hier für sich.
Plötzlich hustet jemand neben mir und die Umsitzenden schauen sich erschrocken um – doch falscher Alarm. Es hat sich jemand beim Essen verschluckt. Die Reaktion ist derweil wenig verwunderlich: Keiner der Mitreisenden möchte sich im Flieger mit Corona infizieren.
Denn, obwohl alle in den vergangenen vier Tagen mindestens zwei negative PCR-Tests vorgelegt haben und seit Wochen täglich unter anderem ihre Körpertemperatur via App tracken, gab es zuletzt immer wieder positive Corona-Tests nach der Ankunft in China. So wie bei ARD-Moderator Claus Lufen, der seitdem in einem vier Mal vier Meter großen Zimmer im Quarantäne-Hotel sitzt.
China und das Omikron-Problem
Nach ersten Erkenntnissen sollen chinesische Impfstoffe nur einen geringen Schutz gegen Omikron bieten. Deshalb wollen die dortigen Behörden unbedingt verhindern, dass die neue Variante sich ausgerechnet im Zuge der Olympischen Spiele im Land verbreitet.
Als vor etwa zweieinhalb Wochen erste Omikron-Fälle auftraten, hieß es von offizieller Stelle, diese seien aus Kanada mit der Post gekommen. Die Botschaft dahinter ist klar: Die Virusgefahr kommt von außen. Seitdem steigt die Nervosität. Entsprechend penibel sind die Einreisekontrollen.
Am Flughafen in Peking empfangen mehrere Dutzend Chinesen die Passagiere – wenig überraschend tragen auch sie Vollkörperschutzmontur. Ansonsten ist der schicke Glasbau menschenleer. Überhaupt scheint der Flughafen im Dornröschenschlaf zu liegen. Außer den Charterflügen in die Olympia-Bubble landen hier schon länger keine Maschinen aus dem Ausland mehr.
Besonders kommunikativ ist das Empfangskomitee nicht. Es weist zwar mit Handzeichen den Weg, bleibt aber sonst wortkarg. Dies ändert sich schlagartig, als ich ein Foto machen möchte. Und zwar nicht von einer bestimmten Person – wer will das schon –, sondern einfach von der Szenerie. "No photo, no photo", macht mir ein groß gewachsener Mann unmissverständlich klar. Er trägt ausnahmsweise eine türkisfarbene Maske und blaue Schuhüberzieher.
Beim Ausfüllen meiner Daten an einem übergroßen Touch-Screen-Monitor schaut besagter Mann mir daraufhin besonders genau über die Schulter – hilft mir bei der Eingabe dann aber auch. Dort geht es um die Zollgesundheitserklärung. Dabei wird es aus deutscher Sicht teilweise etwas befremdlich. So wollen die chinesischen Behörden beispielsweise wissen, ob in der Heimatgemeinde oder im Wohnviertel in den vergangenen zwei Wochen Corona-Fälle aufgetreten sind.
Weiter geht es durch das Flughafengebäude, wo vor dem Eintritt in die Olympia-Blase vier zusätzliche Stationen warten – inklusive eines Corona-Tests, bei dem das Stäbchen so weit in den Hals gedrückt wird, dass meine Augen tränen. Aber gut – das gehört halt dazu. Dumm nur, dass direkt danach ein Bild gemacht wird.
Insgesamt verläuft das Ankunftsprozedere im Flughafen verblüffend schnell. Nach nicht einmal eineinhalb Stunden geht es mit dem Bus Richtung Zhangjiakou. Dort sind unter anderem die Biathlon- und Skisprungwettbewerbe – und mein Hotel. Die Fahrt zieht sich. Für die etwa 200 Kilometer braucht der Bus knapp fünf Stunden.
Mit Blaulichteskorte auf der leeren Autobahn
Zwischenzeitlich steigt ein Mann in der bereits vertrauten weißen Tracht ein. In den eineinhalb Stunden, in denen er an Bord ist, zählt er das knappe Dutzend Passagiere dreimal durch – und fragt nach den Hotelreservierungen. Auf einem nagelneuen, aber ebenfalls menschenleeren Parkplatz mitten im Nichts verlässt er den Bus – und die Tür hinter ihm bleibt verschlossen. Etwa eine Dreiviertelstunde steht der Bus und wir können nicht raus.
Irgendwann geht es – anfangs in gefühltem Schritttempo – auf einer verlassen wirkenden Autobahn hinter einem Polizeiwagen mit Blaulicht weiter zum Hotel. Endlich dort angekommen, muss ich Pass und Akkreditierung abgeben – und soll im Hotelzimmer acht Stunden auf das Ergebnis meines etwa sechs Stunden zurückliegenden Coronatests warten. Auf dem Flur ertönt immer wieder ein seltsames Geräusch, eine Art Zischen. Tssst, tssst, tssst. Später erfahre ich, dass der Flur desinfiziert wurde. Eine Standardprozedur. Die Chinesen überlassen hier nichts dem Zufall.
- Eigene Eindrücke und Beobachtungen vor Ort
- Gespräch mit Georg Hackl
- FAZ: Sportler als Gefährder (Print-Ausgabe, 31. Januar 2022, S. 23)
- Die Welt: Eiszeit in Peking (Print-Ausgabe, 30. Januar 2022, S. 13-15)
- Süddeutsche Zeitung: Viren, auch in den Gedanken (Print-Ausgabe, 29./30. Januar 2022, S. 37)
- Bild.de: Lufen: "Ich werde nicht negativ"