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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Besonderheit im Olympischen Dorf Plötzlich brandet aus dem Nichts lauter Jubel auf
Das Olympische Dorf versprüht während der Spiele ein besonderes Flair. Ein ehemaliger Athlet würde direkt wieder einziehen. Doch die Sicherheitslage bleibt angespannt.
Aus Paris berichtet Alexander Kohne
Plötzlich brandet auf dem Nichts lauter Jubel auf. Knapp 20 Personen – vornehmlich in roten, gelben und weißen T-Shirts des deutschen Olympia-Teams – klatschen und johlen ausgelassen. Dabei haben die Spiele in Paris noch gar nicht offiziell angefangen.
Vor dem deutschen Quartier im Olympischen Dorf von Paris wird nicht etwa ein Goldmedaillengewinner begrüßt – die Trampolinspringer um den zweifachen Weltmeister Fabian Vogel beziehen ihre Zimmer. Und zu dieser speziellsten Zeit des Sportjahres löst selbst das bei den Kollegen Jubelstürme aus. Da will sich auch Vogels Namensvetter Fabian Hambüchen nicht lumpen lassen. Er läuft auf ihn zu, klatscht ihn ab und umarmt ihn herzlich.
Die Szene ist sinnbildlich für das Miteinander im komplett neu gebauten, etwa 52 Hektar großen Athletenquartier im Nordpariser Stadtteil Saint-Denis. Bei angenehmen 26 Grad weht vom Ufer der Seine ein laues Lüftchen herüber. Es riecht nach Sommer.
"Es ist cool, macht mega Spaß hier. Man merkt, dass die Athleten richtig Bock auf die Spiele haben", erklärt Turn-Idol Hambüchen t-online. Obwohl er nun bereits seine zweiten Spiele nicht mehr als Aktiver, sondern als Kommentator für Eurosport erlebt, ist er im Dorf bekannt wie ein bunter Hund.
Hambüchens besonderer Gang durchs Olympische Dorf
Gefühlt alle 50 Meter muss der 36-Jährige stoppen, umarmt jemanden oder bekommt eine Begrüßung zugerufen. "Ich fühle mich pudelwohl im Olympischen Dorf und würde jederzeit wieder einziehen. Das ist ein Paradies hier", schwärmt der Goldmedaillengewinner von Rio 2016.
Was er damit meint, ist besonders rund um das deutsche Quartier zu beobachten. Vor dem zehnstöckigen weißen Funktionsbau, der mit meterlangen schwarz-rot-goldenen Fahnen ausstaffiert ist, liegt eine Art Beachclub.
Athletengruppen relaxen unter weiß-beigen Sonnensegeln
Unter weiß-beigen Sonnensegeln sitzen Athletengruppen – beispielsweise die spanischen Handballer um Alex Dujshebaev –, spielen Boule und genießen ein besonders olympisches Lebensgefühl. Alles verströmt hier Leichtigkeit. Zweimal am Tag gibt es sogar angeleitete Meditionssessions auf eigens dafür ausgelegten Matten.
Doch so leicht ist nicht alles hier. Vor allem die Sicherheitsmaßnahmen sind immens – nicht nur, weil zwei Häuser weiter, bei den Ukrainern, einige Stunden vorher schwarze Limousinen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj vorgefahren sein sollen.
Die Terrorgefahr ist bei den Spielen omnipräsent. Das ist besonders im Olympischen Dorf sichtbar – und zwar nicht nur für die rund 9.000 Athletinnen und Athleten, die hier in den kommenden zwei Wochen untergebracht werden.
Flughafenähnliche Sicherheitskontrolle
"Selbst, wenn wir nur zur Schwimmhalle und zurück gefahren sind, musste der ganze Bus beim Sicherheitscheck aussteigen", berichtet Wasserspringer Moritz Wesemann t-online. Mittlerweile sei das etwas entspannter geworden. Natürlich beschäftigt auch er sich mit der Gefahr. "Unter dem Strich fühle ich mich aber sicher und habe keine großen Bedenken", berichtet der 22-Jährige.
Wesentlich schwieriger ist der Eintritt ins Olympische Dorf für Personen, die dort nicht wohnen. Journalisten dürfen beispielsweise nur an ausgewählten Tagen vor den Spielen vorbeischauen – und brauchen zu Stoßzeiten bis zu einer Stunde, um die flughafenähnliche Sicherheitskontrolle zu durchlaufen.
Wer aber erst mal im Dorf ist, der taucht in eine Welt ein, die mit beschaulicher Dörflichkeit wenig zu tun hat. Tausende Menschen wuseln um die etwa 40 mehrstöckigen Gebäude. "Wenn man Glück hat, erwischt man ein Fahrrad", verrät Volleyball-Nationalspieler Moritz Karlitzek t-online mit einem breiten Grinsen: "Olympisches Dorf trifft es nicht mehr so ganz, das ist schon eine Kleinstadt."
Die Wege sind nicht zu unterschätzen. "Ich laufe teilweise über 20.000 Schritte am Tag", berichtet Wasserspringer Wesemann. Er wohne seit einer Woche im Dorf und habe sich sogar schon Blasen gelaufen. Dennoch lautet das Fazit des 22-Jährigen, der erstmals dabei ist: "Es ist noch besser, als ich gedacht habe, und insgesamt wirklich sehr beeindruckend."
Bis zu 60.000 Mahlzeiten in der Mensa
Und das liegt nicht nur daran, dass Weltstars des Sports wie die US-Turnerin Simone Biles dort unterkommen. Vor allem die Anlagen sind rekordverdächtig. So werden in der 3.300 Plätze fassenden Mensa täglich bis zu 60.000 Mahlzeiten zubereitet. Und zwar in ganz unterschiedlichen Geschmacksrichtungen: Von "Welt" über halal und asiatisch bis hin zu klassisch französisch. "Das meiste ist aber schon eher europäisch", verrät Wasserspringer Wesemann.
Darüber hinaus gibt es eine große Sporthalle, ein zweistöckiges Fitnessstudio, Gebetsräume und sogar eine Kita. Außerdem hat das Athletenquartier eine eigene Poststelle und einen Friseursalon, in dem in den ersten Tagen schon fast 200 Schnitte auf die Köpfe der Olympiateilnehmer gezaubert wurden.
Zur aktiven Zeit von Ex-Turner Hambüchen gab es diese Angebotsvielfalt nicht. "Es hat sich alles weiterentwickelt. Mittlerweile haben sie sogar diesen Club, in dem ein DJ auflegt und man ein bisschen Beachatmosphäre hat. Die Spielhalle daneben gab’s aber auch bei uns damals", verrät der Olympia-Veteran.
Moment – eine Spielhalle? Ja, die gibt es im Athletendorf wirklich – und zwar im ersten Stock des deutschen Gebäudes. Hier stehen Kicker- und Air-Hockey-Tische, aber auch alte Arcade- und Flipperautomaten.
Betten aus Hartpappe
Abgelenkt wirken die meisten Athletinnen und Athleten dennoch nicht. Eher im Gegenteil. "Man merkt, dass das Stresslevel langsam steigt. Alle sind fokussiert, aber nicht verbissen. Und weil es allen so geht, gibt das auch wieder eine gewisse Ruhe", erklärt Wasserspringer Wesemann, dessen erster Wettkampf in anderthalb Wochen ansteht.
Den Schlaf raubt ihm dieser aber noch nicht. Im Gegenteil. "Ich schlafe extrem gut hier, sogar besser als in den zwei, drei Wochen vorher", erklärt der 22-Jährige, der nach den Spielen zum Studium nach Los Angeles ziehen wird. Wesemann kommt mit den speziellen Betten im Olympischen Dorf bestens klar. Diese sind aus Hartpappe zusammengesteckt und muten auf den ersten Blick etwas befremdlich an – und instabil.
Im deutschen Quartier bestätigt sich das aber nicht. Trotz der gewöhnungsbedürftigen Optik und dem fehlenden Lattenrost. Volleyballer Karlitzek, der einen Blick auf die Pappkartons im Bettrahmen gewährt, klagt allerdings über den Härtegrad der Unterlage – und entsprechende Rückenschmerzen. Nach nur einer Nacht tauschte er seine Matratze und liegt nun auf einem dickeren und weicheren Polster.
"Ich bin anfällig dafür, brauche es ein bisschen weicher", erklärt der 27-Jährige. Die deutschen Volleyballer haben zudem ein besonderes Schlafregime eingeführt: bereits um 21 Uhr ist Bettruhe. Trotz oder gerade wegen relativ dünner Wände.
So kommen sie nicht in den Genuss, von der Dachterrasse im zehnten Stock des deutschen Hauses einen Blick auf den Sonnenuntergang über der Seine zu werfen. Denn nicht nur der lohnt sich im Olympischen Dorf.
- Gespräche mit Fabian Hambüchen, Moritz Karlitzek und Moritz Wesemann
- Eigene Beobachtungen im Olympischen Dorf in Saint-Denis