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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dopingjäger Thevis erklärt "Die Anti-Doping-Strategie hat nicht versagt"
Der nächste Dopingfall im Radsport, russisches Staatsdoping und kein Ende in Sicht. Prof. Dr. Thevis erklärt, warum dennoch Hoffnung besteht. Der Drogenexperte spricht im Interview mit t-online.de über die aktuellen Fälle und die Jagd nach illegalen Substanzen.
Seit August ist Prof. Dr. Mario Thevis Nachfolger des bekannten Anti-Doping-Kämpfers Wilhelm Schänzer, der einst die Leichtathleten Ben Johnson und Dieter Baumann des Dopings überführte. An der Deutschen Sporthochschule Köln leitet Thevis das Institut für Biochemie und das Zentrum für Präventive Dopingforschung. Als eines von zwei deutschen Doping-Kontroll-Laboren ist das Kölner Institut von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) akkreditiert – und macht Jagd auf die Dopingsünder des Sports.
Ein Interview von Philip Seiler.
Herr Prof. Dr. Mario Thevis, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie eine Schlagzeile wie in der vergangenen Woche lesen: "Positiver Dopingtest bei Ex-Tour-de-France-Sieger Froome"?
Prof. Dr. Thevis (44): Zunächst einmal schaue ich mir an, welcher Dopingverstoß tatsächlich vorgelegen hat. Darauf basierend bilde ich mir meine Meinung. Im vorliegenden Falle scheint es sich um eine Substanz zu handeln, die keinen seltenen Fund im Bereich der Dopinganalytik darstellt.
Bei Christopher Froome wurden 2000 Nanogramm von dem Asthmamittel Salbutamol im Urin gefunden. Er selbst behauptet, er sei unschuldig. Beweist der Fund für Sie, dass er gedopt hat oder kann er auch Teil einer Therapie gewesen sein?
Bei Substanzen wie Salbutamol sind gewisse Darreichungsformen und Urinkonzentrationen zulässig (1000 Nanogramm, Anm. d. Red.). Daher ist es zu hinterfragen, inwiefern ein Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln vorgelegen hat. Das ist auch Gegenstand der gegenwärtigen Prüfungen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die Ausscheidungsmengen verschiedener Personen sehr stark variieren können. Unstreitig ist aber, dass es einen Fund der Substanz in verbotener Menge gab. Wie es dazu kam und welche Umstände eine Rolle gespielt haben, muss noch geklärt werden.
Man hatte das Gefühl, der Radsport war wieder sauberer. War das nur eine Täuschung?
Von der Außenwirkung ist der Fall für den Radsport sicher nachhaltig kritisch. Aber man muss unabhängig vom Radsport davon ausgehen, dass wir nicht jeden dopenden Sportler erwischen und dass es eine Dunkelziffer gibt, die wir nicht genau beziffern können. Aber anhand eines positiven Befundes mit einer Substanz wie Salbutamol würde ich keine Rückschlüsse auf eine ganze Sportart oder den Sport im Allgemeinen ziehen.
Sie sprechen andere Sportarten an. Mit dem Nachweis des russischen Staatsdopings und dem Ausschluss Russlands von der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 2018 hat das Thema eine neue Dimension erreicht. Von 2011 und 2016 sollen über 1000 russische Sportler involviert gewesen sein. Wenn so etwas über Jahre hinweg möglich ist: Inwiefern hat die Anti-Doping-Strategie versagt?
Versagt hat die Anti-Doping-Strategie nicht. Aber wenn ausreichend Mittel und kriminelle Energie vorhanden sind, kann man das Dopingkontrollsystem aushebeln. Insbesondere wenn es eine langfristige Planung gibt und einem das Einbinden von allen vermeintlichen unabhängigen Institutionen gelingt. Dieses Szenario hat es offensichtlich in Russland gegeben. Und wenn sich alle an einem Betrug beteiligen, ist es wie bei einer gut gesicherten Bank: Mit genügend Ressourcen und Mitteln kann man auch den sichersten Safe öffnen. Das zeigt, dass kein System perfekt ist. Ein Alternativmodell ist gegenwärtig aber noch nicht vorstellbar.
Im McLaren-Report, der im Auftrag der WADA veröffentlicht wurde, werden auch dopingverdächtige Fußballer aufgeführt. Inwieweit spielt Doping im Fußballsport eine Rolle?
Grundsätzlich gibt es kaum eine Sportart, bei der man eine Dopingproblematik kategorisch ausschließen kann. Denn man kann nahezu jeden Leistungsparameter pharmakologisch beeinflussen. Beim Fußball ist es kein Geheimnis, dass wir es mit einer enorm athletischen Sportart zu tun haben, bei der sowohl Kraft- als auch Ausdauerleistungskomponenten zum Tragen kommen. Auch die Regenerationsphasen von Spielern müssen in Betracht gezogen werden, die gerade bei Mehrfachbelastungen enorm kurz geworden sind, so dass auch hier ein Missbrauch dopingrelevanter Substanzen nicht auszuschließen ist.
Würden Sie grundsätzlich härtere Kontrollen und ein noch härteres Durchgreifen, auch von Seiten des IOC, empfehlen?
Die Unabhängigkeit der Kontrollen ist sehr wichtig für den Erfolg im Kampf gegen Doping. Diese Unabhängigkeit zu gewährleisten, ist der kritische Punkt, auf den man in Zukunft noch mehr achten muss, als es in einigen Ländern derzeit gemacht wird.
Sie selbst arbeiten als Leiter des Instituts für Biochemie und des Zentrums für Präventive Dopingforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln daran, den Anti-Doping-Kampf effektiver zu machen. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag am Institut aus?
Mehrgleisig. Zum einen arbeiten wir hier tagtäglich Dopingkontrollen ab. Das heißt: Proben werden in unser Labor geliefert. Diese sind codiert, anonymisiert und werden dann entsprechend der Aufträge analysiert auf die verbotenen Substanzen, die von der Welt-Anti-Doping-Agentur aufgeführt sind. Neben dieser Routinearbeit entwickeln wir aber auch kontinuierlich unser Testspektrum weiter. Wir schauen nach verbesserten Nachweisverfahren und versuchen Methoden für Substanzen zu entwickeln, die gegenwärtig noch nicht in ausreichendem Maße erfasst werden können. Wir schauen aber auch in die Richtung alternativer Dopingkontrollsysteme.
Wie könnte ein solches alternatives Dopingkontrollsystem aussehen?
Wir testen zum Beispiel neben den üblichen Blut- und Urinproben sogenannte alternative Matrices und deren Mehrwert für die Anti-Doping-Arbeit. Ziel hierbei ist es aber nicht, das Anti-Doping-System komplexer zu machen, sondern die Belastung für die Athleten zu reduzieren. Die Frage für uns lautet also: Wie können wir für den Athleten möglichst einfach an eine Dopingprobe kommen, ohne dass dieser sich immer zu einer Urinabgabe unter Sichtkontrolle bitten lassen muss.
Wie kommen Sie den Dopingsündern zuvor?
Das ist der dritte Strang unserer Arbeit. Wir arbeiten unter anderem mit dem Konzept der Präventiven Dopingforschung. Wir versetzen uns also ähnlich wie der, der das System unterwandern möchte, gedanklich in die Position, was wir tun würden. Anschließend recherchieren wir umfangreich in der Patentliteratur und in der medizinischen Literatur nach neuen Substanzen und klinischen Tests, welche Präparate ggf. leistungssteigernd eingesetzt werden könnten. Dadurch erkennen wir frühzeitig Substanzen, die gegenwärtig noch keine Zulassung haben, von Sportlern aber bereits zur Leistungssteigerung verwendet werden könnten. Daher kooperieren wir auch mit den forschenden Pharmafirmen, um frühzeitig Kenntnisse über neue Substanzen zu erlangen und eventuell in Studien involviert zu werden. Das hat sich in der Vergangenheit schon vielfach als wichtig herausgestellt. Denn viele der positiven Befunde, die wir in den vergangenen Jahren hatten, sind auf Substanzen zurückzuführen, die man nicht als Medikament kaufen kann, sondern nur über den Grau- oder Schwarzmarkt als Doping-Mittel bekommen kann.
Das klingt nach Detektiv-Arbeit. Empfinden Sie das auch so?
Es geht schon ein wenig in diese Richtung. Wir kooperieren unter anderem mit Zoll- und Kriminalämtern, um jegliche Erkenntnisse in beide Richtungen weitergeben zu können. Sowohl was beschlagnahmt wird, welche Trends beim Import und Export von dopingrelevanten Substanzen existieren, als auch was der internetbasierte Markt mittlerweile hergibt. Das heiß nicht, dass wir die Rolle von Jäger und Gejagtem umkehren können. Wir werden uns weiterhin hinter dopenden Sportlern befinden. Aber es ist unser Ziel, den Abstand so gering wie möglich zu halten.
Sie haben erst im August den langjährigen Anti-Doping-Kämpfer Wilhelm Schänzer als Nachfolger am Institut beerbt. Wie groß sind die Fußstapfen, in die Sie getreten sind?
Die Fußstapfen sind sehr groß. Aber ich bin hier am Institut eingeführt worden mit den Worten: „Man soll nicht in die Fußstapfen eines anderen treten, wenn man selbst Fußstapfen hinterlassen möchte.“
Welche Fußstapfen möchten Sie hinterlassen?
(lacht) Da habe ich noch keine konkrete Planung. Aber meine Motivation ist es, die erfolgreiche Arbeit des Kollegen Schänzer so gut wie möglich fortzuführen und weiterzuentwickeln. Da ich hier eine sehr intakte Mannschaft übernommen habe, mache ich mir da keine Sorgen.