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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Causa Rüdiger: Mansour kritisiert DFB "Sie haben nichts aus der Özil-Affäre gelernt"
Fußball-Nationalspieler Antonio Rüdiger hat den Journalisten Julian Reichelt angezeigt. Der Islamexperte Ahmad Mansour verteidigt Rüdigers umstrittene "Tauhid-Geste", kritisiert aber dessen Umgang mit der Debatte.
Der gläubige Muslim Antonio Rüdiger hat anlässlich des Ramadan ein Foto von sich beim Gebet auf Instagram gepostet, auf dem er den rechten Zeigefinger nach oben reckt. Julian Reichelt griff Rüdiger für dieses Bild scharf an und sprach von einer "islamistischen Geste". Stimmt das oder ist der Fingerzeig eine religiöse Geste ohne extremistischen Hintergrund, wie viele Experten meinen? Der Streit ist in vollem Gange – vor Gericht, aber auch unter Islamexperten. Ahmad Mansour ist einer der profiliertesten im Land – mit ihm hat t-online gesprochen.
t-online: Herr Mansour, als Sie den Post von Antonio Rüdiger zum Ramadan mit der umstrittenen Tauhid-Geste zum ersten Mal gesehen haben: Was haben Sie gedacht?
Ahmad Mansour: "Ach, nicht schon wieder", dachte ich. Ich bin Fußballfan. Aber ich habe auch die Debatten um Mesut Özil und İlkay Gündoğan rund um das Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan verfolgt. Ebenso habe ich den Streit rund um das Auftreten der Nationalmannschaft bei der WM in Katar miterlebt, und ich muss schon sagen: Die Vorbildfunktion unserer Nationalspieler ist keine Einbahnstraße. Ich habe nicht das Gefühl, dass Antonio Rüdiger und der DFB aus der Affäre um Özil und aus den Geschehnissen in Katar gelernt haben.
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Es gibt viele Interpretationen der Tauhid-Geste, und einige widersprechen sich in Bezug darauf, ob es eine religiöse Geste ist oder ein Symbol für den Islamismus. Was ist Ihre Bewertung?
Der Tauhid-Finger ist eine zutiefst religiöse Geste, und sie hat von ihrem Ursprung her mit Extremismus absolut nichts zu tun. Sie bedeutet ursprünglich lediglich: "Es gibt keinen Gott außer Allah". Sie ist zudem viel älter als der Islamismus, wie wir ihn kennen.
Wir leben aber in einer Zeit, in der Bilder eine viel größere Rolle spielen als früher. Terroristen des IS benutzen diese Geste seit vielen Jahren. Sie haben sie beispielsweise bei Hinrichtungen und sogar Enthauptungen gezeigt, und wir alle haben diese Bilder im Kopf. Für die Macht dieser Bilder kann Antonio Rüdiger nichts.
Zur Person
Ahmad Mansour, geboren 1976, ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus. Anfang 2018 gründete er Mind Prevention (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention). Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz sowie den Carl-von-Ossietzky-Preis.
Wie haben Sie die Berichterstattung von Reichelts Portal "Nius" wahrgenommen?
Das Problem liegt nicht an "Nius" an sich, sondern leider an einer zu großen Gruppe von Menschen, die Themen sehr dualistisch, in Schwarz und Weiß betrachten und behandeln. Vorurteile spielen hier eine sehr große Rolle. Es geht um die Sensation und darum, eigentlich die eigenen schon vorhandenen Einstellungen zu bestätigen. Das bedeutet aber nicht, dass eine kritische Betrachtung der Angelegenheit an sich falsch wäre, das gehört auch dazu. Aber bitte differenziert.
Nun hat Antonio Rüdiger Julian Reichelt bei der Berliner Staatsanwaltschaft angezeigt, und der DFB hat den Vorgang bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt gemeldet. Wie schätzen Sie diese Reaktionen ein?
Ich hätte mir eine andere gewünscht. Natürlich habe auch ich schon Shitstorms erlebt, und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie man sich fühlt, wenn man inmitten einer solchen Welle der Aufregung steckt. Man ist hilflos, alles scheint einem zu entgleiten. Auch ich habe in solchen Fällen bereits Anzeige erstattet und auch Recht bekommen.
Was ich mir aber von Antonio Rüdiger außerdem erwartet hätte, wäre eine Reflexion gewesen auf das, was das Bild auf Social Media ausgelöst hat. Für viele Jugendliche ist diese Religion, die sie mit ihm teilen, ein ganz wesentlicher Teil ihres Selbstverständnisses. Auf viele dieser Jugendlichen wirkt das Bild ganz anders! Es bestätigt ihnen eine religiöse Identität, die ausgrenzend wirkt und kaum Distanz zum Islamismus aufweist. Für all das kann der Spieler nichts. Aber eine Sensibilisierung dafür sollte bei ihm vorhanden sein.
Schon deshalb wäre es wichtig, dass Antonio Rüdiger selbst erklärt, wie dieses Bild gemeint war, nämlich: "Ich habe etwas zum Ramadan gepostet und eine Geste verwendet, die Bestandteil meines muslimischen Glaubens ist. Ich habe aber mit Islamismus und Extremismus nichts zu tun und distanziere mich von diesen Dingen ganz unmissverständlich". Diese Reaktion fehlt mir.
Und wie sehen Sie die Rolle des Verbandes?
Ich habe Antonio Rüdigers reine Geste verteidigt, und dafür werde ich jetzt als naiv kritisiert. Das Problem ist, dass es nicht zum ersten Mal zu Missverständnissen rund um Antonio Rüdiger in Bezug auf den Islamismus kommt.
Sie erinnern sich sicher, dass er einen Post des Kampfsport-Superstars Chabib Nurmagomedow gelikt hat, in dem der sich zu der Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen geäußert, den französischen Präsidenten Macron beleidigt und sinnbildlich zur Gewalt gegen diesen aufgerufen hatte. Damals hat sich Rüdiger entschuldigt und ganz klar von den Beleidigungen und dem Gewaltaufruf distanziert. Ich glaube, der DFB täte gut daran, mit allen Nationalspielern einen Kodex zu erarbeiten, der auch festlegt, welches Bild in der Öffentlichkeit das Team vermitteln will.
Der französische Fußballverband tut das sehr entschlossen. Er hat beispielsweise geregelt, dass während der Trainingslager aller Nationalmannschaften auf dem Trainingsgelände nicht gefastet wird und die Trainingszeiten, Gruppenbesprechungen und Mahlzeiten nicht für muslimische Spieler angepasst werden. Der Verband begründet das damit, dass er von seinen Nationalspielern volle Professionalität einfordert. Ich will gar nicht sagen, dass der DFB das genauso machen sollte. Aber wichtig wäre es, sich mit diesem Thema zu befassen und einheitliche Regelungen aufzustellen, an die sich die Spieler halten müssen, auf die sie sich dann aber auch berufen können.
- Interview mit dem Islamexperten Ahmad Mansour.