Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Nominiert ihn Nagelsmann? Er ist der Stürmer, den Deutschland jetzt braucht
Der deutsche Fußball hat ein enttäuschendes Jahr mit wenigen Lichtblicken hinter sich. In der Bundesliga bahnt sich erneut ein Herzschlagfinale an, in der Nationalelf neues Personal.
Bayer Leverkusen und Bayern München liefern sich einen packenden Zweikampf an der Spitze der Bundesliga und gehen jetzt Kopf an Kopf in die Winterpause. Leverkusen hat kein einziges seiner 25 Pflichtspiele verloren und damit einen neuen Startrekord aufgestellt.
Trotz großer Verletzungsprobleme haben die Bayern mit drei Siegen auf das 1:5 in Frankfurt geantwortet. So kennt man sie: Wenn sie mit empfindlichen Niederlagen gepikst und gereizt werden, zeigen sie eine Reaktion. Aber Leverkusen ist im Moment das Nonplusultra. Der Fußball, den das Team von Xabi Alonso spielt, ist beeindruckend. Schön, dass mal ein anderer Klub vorweg marschiert.
Das gilt es jetzt ab Januar zu bestätigten und durchzuhalten. Leverkusen hat das Potenzial und die Gier, Meister zu werden. Abgesehen von ihrem Trainer und Bayern-Leihspieler Josip Stanišić ist ja noch keiner von ihnen jemals deutscher Meister geworden.
Er ist jetzt Leverkusens großer Trumpf
Dass der Afrika-Cup und die Asien-Meisterschaft mitten in die Rückrunde fallen, ist für alle Klubs maximal unglücklich. Aber das weiß man vorher und muss sich seinen Kader demensprechend zusammenbauen.
Leverkusen hat das getan, sich unter anderem mit Victor Boniface, Granit Xhaka, Adriano Grimaldo oder Jonas Hofmann verstärkt, die alle einen riesengroßen Anteil am Erfolg haben. Jetzt ist auch Patrik Schick zurück, hat direkt wieder getroffen und Selbstvertrauen getankt. Er ist eine Topalternative für Boniface, wirklich ein Eins-zu-eins-Ersatz, wenn nicht sogar noch mehr.
Bei Bayern ist dagegen offensichtlich, dass der Kader noch verbessert werden muss. Die Frage ist aber, was du im Winter bekommst. Das Wintertransferfenster ist eigentlich nicht der richtige Zeitpunkt für Bayern. Die großen Transfers werden für den Sommer abgeschlossen. Sich jetzt zu verstärken, ist ein notwendiges, aber schwieriges Unterfangen.
Ein 60-, 70-Millionentransfer wäre das falsche Zeichen
Der 19 Jahre alte Aleksandar Pavlović hat performt und es wirklich gut gemacht. Was denken die jungen Spieler, wenn du jetzt trotzdem einen gestandenen Sechser holst?
Dass sich da etwas bei Bayern verändern muss, zeigt auch der Fall Angelo Stiller. Der wurde bei Bayern ausgebildet, ging ablösefrei nach Hoffenheim und ist jetzt in Stuttgart gelandet, wo er sich in den Fokus der Nationalelf gespielt hat. Das tut Bayern sehr weh. Wenn man auf die Philosophie mit jungen Spielern setzen will, wäre ein 60-, 70-Millionentransfer jetzt das falsche Zeichen für die Nachwuchsspieler im Kader. Ein schwieriger Spagat für den FC Bayern.
Grundsätzlich muss man mit diesem Kader aber schon den Anspruch haben, auch in der Champions League weit zu kommen und nicht wieder – wie zuletzt dreimal in Folge – im Viertelfinale auszuscheiden. Dazu müssen aber alle Topspieler gesund und in Topform sein.
Das gilt nicht zuletzt auch für Harry Kane, der voll eingeschlagen hat. Nach Robert Lewandowskis Abschied und dem Übergangsjahr ohne echten Mittelstürmer hat Bayern jetzt wieder einen Top-Neuner auf Weltklasseniveau. Wenn du die ganz großen Ziele angreifen willst, brauchst du den auch. Und Kane hat bislang wirklich beeindruckend geliefert.
Die Trennung von Kahn lief maximal unglücklich
Einen solchen Stürmer vermisste Julian Nagelsmann in der vergangenen Saison in seiner Bayern-Mannschaft. Im Frühjahr musste er dort gehen und wurde durch Thomas Tuchel ersetzt. Aber auch danach gab es zunächst keine Konstanz: Im Pokal schied man gegen Freiburg aus, und die Meisterschaft war eigentlich schon verloren. Der Ball lag nicht mehr bei Bayern.
Dafür haben wir endlich mal wieder so ein richtiges Herzschlagfinale erlebt, das alle bewegt und berührt hat. Genau das, was sich Fußballfans wünschen. Darauf wird es auch in dieser Saison wieder hinauslaufen. Der Meisterschaftskampf wird bis zum Ende hart und eng bleiben.
11. Spieltag
Mit der Entlassung von Hasan Salihamidžić und Oliver Kahn gab es beim Rekordmeister im Sommer auch auf der Führungsebene einen großen Umbruch. Das war schon außergewöhnlich. Der Zeitpunkt war nicht gut gewählt, und insgesamt hätte man das anders machen müssen. Speziell wie die Trennung von Kahn ablief, war maximal unglücklich. Aber jetzt wurde etwas Neues mit Christoph Freund eingeläutet. Ich bin gespannt, ob er seine Philosophie umsetzen kann, mehr auf Nachwuchs zu setzen.
Aufsteiger Heidenheim gehört für mich nun zu den positiven Überraschungen und spielt eine tolle Saison. Mit 20 Zählern haben sie bereits 10 Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge. Dieses Team zeigt, dass es richtig Bock auf die Bundesliga hat.
Den VfB Stuttgart hat Trainer Sebastian Hoeneß über die Relegation nun bis auf Platz drei geführt. Sie sind sehr stabil, spielen mit Freude Fußball und können das internationale Geschäft auf jeden Fall erreichen. Im Kampf um die Meisterschaft sehe ich sie aber nicht.
Terzić muss härter werden
Allenfalls RB Leipzig traue ich noch zu, in dieses Rennen einzugreifen. Dortmund wird dagegen da nicht mehr rankommen. Die Borussia ist konstant inkonstant und zeigt zu extreme Ausschläge. Für sie geht es nur noch um die Qualifikation zur Champions League. Die Verantwortlichen wollen an Trainer Edin Terzić festhalten. Vielleicht ist er zu lieb für so eine Mannschaft und muss ein wenig konsequenter und härter im Umgang mit seinen Spielern werden. Das Team hat zwar Potenzial, aber möglicherweise reicht seine Qualität nicht, um die Spitze richtig anzugreifen. Das kann man nicht nur am Trainer festmachen. Da müssen auch die Spieler hinterfragt werden.
Bei Dortmund hat man auch im Meisterfinale gesehen: Wenn Druck da ist, in einem Spiel etwas Großes zu erreichen, konnten sie damit und den Erwartungen nicht umgehen. Sie haben unter anderem mit Sebastian Kehl und Matthias Sammer genug Fachkompetenz im Klub, um zu wissen, warum sie nicht Meister geworden sind, jetzt in der Bundesliga den Erwartungen hinterherlaufen und im Pokal kläglich in Stuttgart gescheitert sind.
Nur zwei Spieler liefern konstant gute Leistungen ab: Gregor Kobel und Mats Hummels. Egal ob Donyell Malen, Marco Reus oder Sébastien Haller, der seit Monaten im Formtief steckt – momentan ist kein anderer da, der der Mannschaft hilft. Auch Nico Schlotterbeck und Niklas Süle sind weit von ihren eigenen Ansprüchen, sogar Stammspieler in der Nationalelf zu sein, entfernt.
Er ist der Stürmer, den Deutschland jetzt braucht
Ich hoffe, dass Nagelsmann, der Hansi Flick im September als Bundestrainer abgelöst hat, das auch bei der Nominierung seines Kaders für die nächsten Länderspiele im März berücksichtigen wird. Er sollte nur die Spieler berufen, die auch wirklich performt haben. Momentan gehören da Waldemar Anton, Chris Führich und auch Angelo Stiller vom VfB Stuttgart definitiv dazu. Diese Spieler zeigen, dass sie gierig und bereit sind, alles zu geben. Und genau darauf kommt es jetzt an.
Nagelsmann sollte nicht auf Namen schauen, sondern nur darauf, dass er eine Mannschaft hat, die als Team zusammen durchs Feuer geht. Der nächste Kader, den Nagelsmann nominieren wird, wird richtungsweisend für die Heim-EM. Es sollte nicht mehr darum gehen, wer in der Vergangenheit wie viele Titel geholt oder Tore geschossen hat. Sondern nur darum, wer in diesem Moment richtig gut drauf ist und der Mannschaft wirklich weiterhilft.
Deniz Undav hat bereits signalisiert, dass er gerne bei der Heim-EM für die Nationalelf spielen würde. Für mich ist er Stand jetzt der Stürmer, den Deutschland braucht. Er performt Woche für Woche. Niclas Füllkrug gelingt das bei Dortmund dagegen nicht.
Die Torhüterfrage wird ebenfalls sehr spannend. Marc-André ter Stegen musste jetzt am Rücken operiert werden und fällt deshalb für zwei Monate aus. Gleichzeitig drängt Manuel Neuer mit starken Leistungen bei Bayern zurück ins Tor der Nationalelf.
Ich würde Kroos davon abraten zurückzukommen
Und auch eine Rückkehr von Toni Kroos in die Nationalelf steht im Raum. Sportlich würde er dem Team mit Sicherheit sofort weiterhelfen und Stabilität geben, keine Frage. Er performt schon über Jahre auf extrem hohem Niveau und in der Gegenwart bei Real Madrid nach wie vor.
Ich würde ihm trotzdem davon abraten zurückzukommen. Soll er das seinem Körper wirklich noch mal antun, diese extrem hohe Belastung? Und den Erwartungsdruck, mit dem er aber mit Sicherheit umgehen kann? Die EM zu spielen, würde sich auch negativ auf seine Vereinskarriere auswirken. Wenn du im höheren Alter auf ein solches Turnier verzichtest, ermöglicht dir das dafür vielleicht noch mal eine oder sogar zwei Saisons mehr mit deinem Klub.
Nagelsmann muss auch genau überlegen, was Kroos' Rückkehr für die Hierarchie bedeuten würde. Die Frage ist, welche Vorstellungen Nagelsmann hat und unter welchen Voraussetzungen Kroos überhaupt dazu bereit wäre zurückzukommen. Das, was er für den deutschen Fußball geleistet hat, kann er sich durch so eine Heim-EM, in der es dann nicht läuft, auch ein bisschen kaputtmachen.
Sie haben den Fußballern gezeigt, wie es geht
Die Nationalelf hat insgesamt ein enttäuschendes Jahr hinter sich, in der ihr in elf Spielen nur drei Siege gelangen. Dass Flick als Nationaltrainer entlassen wurde, war die logische und richtige Entscheidung. Nagelsmanns Start in Amerika war okay. Danach lief es aber auch bei ihm nicht gut. Er ist extrem jung. Dass Erfahrung in so einer Position ein Pfund sein kann, hat man bei dem Sieg gegen Frankreich gesehen, als Rudi Völler übergangsweise übernommen hatte.
Insgesamt war 2023 kein gutes Jahr für den deutschen Fußball. Die U21 schaffte es bei der EM ebenfalls nicht über die Gruppenphase hinaus. Auch die Frauennationalmannschaft, die mit Titelhoffnungen zur WM in Australien und Neuseeland gereist war, schied in der Vorrunde aus. Das war ein großer Rückschlag für die Entwicklung im Frauenfußball. So kannst du keine Euphorie entfachen. Es gibt viel zu tun im deutschen Fußball.
Ein wenig Hoffnung machen die Jungs von der U17, die den WM-Titel geholt haben. Für sie steht jetzt der entscheidende Schritt zum Herrenfußball an, den nicht viele schaffen. Begeistert hat mich auch die deutsche Basketball-Nationalmannschaft, die ebenfalls Weltmeister geworden ist. Sie sind als Team aufgetreten und haben den Fußballern gezeigt, wie es geht: Im Mannschaftssport funktioniert es nur im Kollektiv als richtiges Team.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
- Eigene Beobachtungen
- Hintergrund zum Beitrag: Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: "Ich repräsentiere den FC Bayern insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander – auch und insbesondere mit dem FC Bayern."