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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krise in Venezuela "Die Menschen sterben wie Hunde auf der Straße"
Seit mehr als einem Jahr spielt Rolf Feltscher beim Ibrahimovic-Klub LA Galaxy. Im Interview mit t-online.de spricht der Schweiz-Venezolaner über seine Profikarriere und die angespannte politische Lage in Venezuela.
Wer ist Rolf Feltscher? Viele würden ihn wohl als Wandervogel bezeichnen. Geboren in Bülach in der Schweiz, spielte der heute 28-Jährige in der Schweiz, Italien, Deutschland, Spanien und in England – ehe es den Schweiz-Venezolaner in die USA verschlug.
Seit Januar 2018 läuft Rolf Feltscher zusammen mit Weltstar Zlatan Ibrahimovic für Los Angeles Galaxy auf. Von dort aus ist Venezuela, das Land seiner Mutter, nicht mehr all zu weit entfernt. Doch bereits seit 2011 ist Feltscher Nationalspieler der krisengebeutelten Nation.
Hyperinflation, ein Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten, politischer Ausnahmezustand. Zwischen Staatschef Nicolas Maduro und Oppositionsführer Juan Guaidó tobt ein Machtkampf auf Kosten der Bevölkerung. Die Fußball-Nationalmannschaft trägt die Spiele schon nicht mehr auf heimischem Boden aus (Nationaltrainer Raphael Dudamel drohte jüngst mit Rücktritt).
Im Interview mit t-online.de spricht Feltscher über die politische Krise Venezuelas, seine Fußballerkarriere sowie sein Leben in Los Angeles.
t-online.de: Herr Feltscher, aufgrund der prekären Lage im Land trägt die venezolanische Nationalmannschaft, für die Sie auch aktiv sind, seine Partien außerhalb des Landes aus. Wie erleben Sie als Schweiz-Venezolaner die Situation in Venezuela?
Mein Bruder spielt beim FC Zulia in der ersten venezolanischen Liga und er hat mir von der Lage vor Ort berichtet. Es gibt zum Teil tagelang keinen Strom, sodass er ins Hotel gehen muss, weil es dort zumindest Lichtgeneratoren gibt. Aber viele Menschen können nicht so wie er ins Hotel gehen, weil sie es sich nicht leisten können.
Wie geht es ihrem Bruder in dieser Ausnahmesituation?
Wir haben Kontakt über Whats App und Skype. Es ist eine wahnsinnig kritische und ernste Situation im Land. Die Menschen sind nicht nur ohne Licht, sondern teilweise auch ohne Wasser. Fußballspielern wie meinem Bruder geht es natürlich verhältnismäßig gut, aber den meisten Menschen geht es einfach nur schlecht.
Sie sagten es bereits, die Lage ist derzeit höchst dramatisch, Lebensmittel und Medikamente sind knapp …
Das ist eine Katastrophe. In der derzeitigen Situation sollte man auf keinen Fall nach Venezuela reisen. Natürlich können Leute, die Geld haben, normal ins Restaurant oder Hotel gehen und das bekommen, was sie brauchen.
Aber den meisten Menschen fehlt die für unsere Verhältnisse selbstverständliche Grundversorgung. Es fehlt an Shampoo, es fehlt an Essen. Die Leute helfen sich untereinander wo sie können. Aber die Menschen, denen nicht geholfen wird, sterben wie Hunde auf der Straße.
Waren Sie selbst in jüngster Zeit in Venezuela?
Nein, ich war im September 2017 mit der Nationalmannschaft dort, privat sogar zuletzt vor zehn Jahren. Es war schon immer etwas chaotisch in Venezuela. Aber jetzt funktioniert wirklich gar nichts mehr in diesem Land. Die aktuelle Situation ist der Gipfel.
Machen Sie sich manchmal Sorgen um ihre Verwandten?
Derzeit leben mein Bruder, meine Großeltern und mein Onkel in Venezuela. Sorgen mache ich mir nicht, aber ich schicke immer wieder Sachen um zu helfen. Die Inflation ist schon krass. Für 50€ können die Menschen einen ganzen Monat essen. Das ist eine absolute Extremsituation.
Was muss ihrer Meinung nach passieren, dass im Land wieder Normalität einkehrt? Auch auf politischer Ebene?
Ich informiere mich nicht im Detail, wer wann was sagt. Ich bekomme aber über meinen Bruder vieles mit und es passieren derzeit in Venezuela einfach Sachen, die man nicht verstehen kann.
Dass die Menschen an einer Tankstelle zwei Stunden warten müssen, um ihr Auto zu tanken zum Beispiel. Venezuela ist das Land mit den größten Ölreserven in Südamerika, das muss man sich mal klarmachen. Das alleine reicht doch schon um zu begreifen: Irgendwas läuft da gewaltig schief.
Wie erklären Sie sich solche Absurditäten?
Ganz im Ernst: Den Verantwortlichen im Land fehlen glaube ich die Gehirnzellen. Intelligente Menschen, denen das Volk wichtig ist, würden so etwas nicht zulassen. Das hat mit gesundem Menschenverstand zu tun. Es ist so dermaßen lächerlich, wäre es nicht so tragisch.
Was ist der erste Schritt zurück zur Normalität?
Ganz einfach: Die Menschen müssen erst einmal das Mindeste bekommen, um zu überleben. Normale Klamotten und etwas zu Essen. Wenn das nicht gewährleistet ist, muss man über alles andere gar nicht reden.
Aber auch in den USA, direkt bei mir in Los Angeles, merkt man, was alles schief läuft. Überall siehst du Leute nach Geld fragen. Das Sozialsystem ist schlecht, die Menschen sind nicht krankenversichert. Muss einer zum Arzt, kann er es sich nicht leisten – und stirbt einfach auf der Straße.
Du siehst die Menschen auf den Straßen liegen und fragst dich: Ist der Mensch tot? Und ein paar Kilometer weiter steht der nächste Lamborghini. Die sozialen Unterschiede sind brutal.
Seit Januar 2018 spielen sie bei Los Angeles Galaxy.
Ich weiß nicht wo man in Europa morgens zum Training aufsteht und einem die Sonne ins Gesicht lacht. Und das fast 365 Tage im Jahr! Es ist mit Sicherheit ein Privileg für diesen Verein unter diesen tollen Bedingungen zu spielen.
Auf welchem Level befindet sich die Major League Soccer vom spielerischen Niveau?
Die MLS ist eine sehr athletische Liga, taktisch aber vielleicht nicht die beste. Aber es kommen immer mehr talentierte Spieler, wodurch das Niveau automatisch höher wird. Noch vor ein paar Jahren war das nicht der Fall.
Ich würde in Summe sagen, dass das Niveau höher ist als in der zweiten Bundesliga in Deutschland. Wie gesagt: Vielleicht nicht taktisch, aber insbesondere aufgrund der Einzelspieler, die eine wahnsinnige Qualität besitzen.
Apropos Einzelspieler: Wie ist es, mit solch einem Weltstar wie Zlatan Ibrahimovic zusammenzuspielen?
Zlatan ist ein gestörter Typ. Er ist nicht ganz normal in seiner Birne (lacht). Aber ich meine das positiv. Er ist wahnsinnig professionell, einer der extrem ehrgeizig ist und jedes einzelne Spiel gewinnen will. Egal ob im Training oder auf dem Platz.
Er ist einfach sehr kompetitiv, er lebt für den Wettbewerb. Sein Humor ist so speziell, dass die Leute ihn oft nicht verstehen. Aber die, die um ihn herum sind, wissen, wie er es meint und wie er wirklich ist.
Würden Sie ihn als Freund bezeichnen?
Naja, was heißt Freund. Wir hatten vor einiger Zeit denselben Berater und kennen uns schon ein paar Jahre. Ich sage es mal so: Wir verstehen uns sehr gut.
In den USA sind Sie ein kleiner Social-Media-Star. Würden Sie sagen, Sie leben ihren Traum?
Ja natürlich. Hier ist alles super professionell organisiert und die Atmosphäre ist fantastisch. LA Galaxy befindet sich, was die Rahmenbedingungen angeht, auf einem Niveau mit den europäischen Topklubs wie Real Madrid oder Bayern München. Und die Region Kalifornien tut sein Übriges.
Werden Sie auf den Straßen erkannt?
Nein, überhaupt nicht. Hier kann Justin Bieber herumlaufen, es interessiert keinen Menschen. In LA gibt es so viele Stars, dass es die Menschen gewohnt sind, einen Prominenten zu sehen. Du gehst mal hier entlang und siehst Stevie Wonder, du gehst dort entlang und siehst David Beckham. Du gehst ins Restaurant und da ist wieder ein Anderer.
Sie Sind 1990 in Bülach in der Schweiz geboren, waren als Fußballprofi in der Schweiz, Italien, Deutschland, Spanien und England aktiv – ehe es Sie 2018 in die USA zog. Hatten Sie irgendwann einfach die Schnauze voll von Europa?
Eigentlich überhaupt nicht. Aber LA Galaxy ist nun einfach mal der größte Verein in den USA. Ich wollte diese einmalige Möglichkeit ergreifen und auf einem anderen Kontinent neue Erfahrungen sammeln. Der Fakt, dass es sich um LA handelte, hat mich sehr motiviert hierherzukommen, viele große Spieler haben hier gespielt. Das musste ich ausprobieren.
Sie durchliefen alle Jugendmannschaften der Schweiz, entschlossen sich 2011 dann aber für das Land ihrer Mutter, Venezuela, zu spielen. Warum diese Entscheidung mit damals Anfang 20?
Das hat mit meinem Bruder zu tun. Er ist zwei Jahre älter als ich und hat sich vor mir entschieden, für Venezuela zu spielen. Das war wie eine Kettenreaktion, sodass ich gemeint habe: Lass uns zusammen für das gleiche Land spielen. Ich wollte nicht, dass es wie bei den Boateng-Brüdern so ist, dass der eine für das eine und der andere für das andere Land spielt.
Gab es Kritik von Schweizer Seite?
Mein damaliger Trainer in der Schweiz hat mich angerufen und war natürlich nicht so begeistert von meiner Entscheidung. Das Angebot für Venezuela zu spielen kam aber zu einem Zeitpunkt, als die WM-Qualifikation gerade losging – und da habe ich die Chance ergriffen.
Wie sehen Sie ihre Chancen im Nationalteam?
Letztes Jahr war es ein wenig schwierig für mich. Ich litt unter starker Tendinitis (Sehnenreizung, Anm. d. Red.) und konnte verletzungsbedingt nicht 100 Prozent geben. Jetzt fühle ich mich gut und warte auf meine nächste Chance.
Eingefleischte Fans kennen Sie aus ihrer Zeit vom MSV Duisburg. Von Sommer 2014 bis Sommer 2016 spielten Sie bei den Zebras. Wie denken Sie heute über diese Periode ihrer Karriere?
Ich hatte eine wunderschöne Zeit in Duisburg. Mit einem Mitspieler von damals, Enis Hajri, bin ich bis heute sehr gut befreundet und habe auch noch Kontakt zu seiner Familie. Aber die gesamte Atmosphäre beim MSV war toll, die Fans haben mich damals super aufgenommen. Ich habe mich geliebt gefühlt.