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Das ist Erdogans heimlicher Lieblingsklub


Überraschungsteam in der Türkei
Das ist Erdogans heimlicher Lieblingsklub

t-online, David-Emanuel Digili

27.05.2017Lesedauer: 4 Min.
Jubel bei Başakşehir nach dem Sieg beim Rivalen Fenerbahçe. Der Überraschungsklub überzeugte in den Topspielen.Vergrößern des Bildes
Jubel bei Başakşehir nach dem Sieg beim Rivalen Fenerbahçe. Der Überraschungsklub überzeugte in den Topspielen. (Quelle: imago-images-bilder)

Das RB Leipzig der Türkei? Der Präsidentenklub? Die Mannschaft, die keiner kennt? Passt alles zu Medipol Başakşehir!

Der Verein aus dem europäischen Teil Istanbuls ist DIE Überraschung 2016/17, aktuell Tabellenzweiter. Nimmt bereits sicher an der Champions-League-Quali teil, kann theoretisch noch türkischer Meister werden. Der kleinste Klub aus der türkischen Fußball-Metropole Istanbul führte die großen Stadtrivalen Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş zeitweise vor.

Verbindungen zu Erdoğan

Doch er bietet auch reichlich Zündstoff – wegen seiner Verbindung zum türkischen Präsidenten Erdoğan! Başakşehir gilt als Erdoğan-Klub, obwohl der bisher eigentlich immer einem anderen Klub die Daumen drückte. "Erdoğan ist Fener-Fan, das ist sein Lieblingsverein, aber er wird ständig mit Başakşehir in Verbindung gebracht," sagt Murat Öztürk, türkischer Journalist und Süper-Lig-Kenner, im Gespräch mit t-online.de.

Die Gründe: Klubpräsident Göksel Gümüşdağ ist mit einer Nichte der Ehefrau Erdoğans verheiratet. Als 2014 das neue Stadion des Klubs fertiggestellt wurde, kickte Erdoğan beim Eröffnungsspiel mit. Die Rückennummer 12 wird zu seinen Ehren an keinen Spieler mehr vergeben. Und: Klub- und Namenssponsor Medipol – der Konzern betreibt Krankenhäuser in der Türkei - hat beste Verbindungen in die Regierungspartei AKP.

Bevorzugte Behandlung?

Dazu kommt: Unter der Hand wird vermutet, dass Başakşehir vom türkischen Verband bevorzugt behandelt wird – wegen einer Skandal-Entscheidung vor wenigen Wochen.

Was war passiert? In einem Handgemenge nach dem 3:3 bei Rizespor griffen drei Spieler des Klubs zwei Journalisten tätlich an. Überwachungskameras nahmen den Vorfall auf. Das Urteil der Disziplinarkommission des türkischen Fußballverbands: fünf Spiele Sperre für Ufuk Ceylan und Yalçin Ayhan und nur ein Spiel Sperre für Volkan Babacan. Pikant dabei: Ceylan ist nur Ersatztorwart, Ayhan Verteidiger – Babacan dagegen ist türkischer Nationalkeeper und absoluter Fixpunkt der Mannschaft.

Die türkische Fußballlegende Ridvan Dilmen, heute TV-Experte beim Fernsehsender NTV, wütete: "So entfremden wir uns immer weiter von der Welt. Wir machen drei, vier Tage Theater, ein echter Kinofilm. Aber das Ende dieses Kinofilms gefällt mir überhaupt nicht."

"Wir wollen jedes Jahr unter die Top 5"

Allerdings: Die große Konkurrenz konnte man auch ohne vermutete Hilfe "von oben" schlagen: Aus den sechs Spielen in Hin- und Rückrunde gegen Fenerbahçe, Galatasaray und Beşiktaş holte Başakşehir bärenstarke 13 Punkte. Watschte „Gala“ am 27. Spieltag 4:0 ab, schlug zwei Wochen später auch "BJK" deutlich mit 3:1.

"Wir wollen jedes Jahr unter die Top 5", sagte Sportdirektor Mustafa Erogut kürzlich. Und das trotz eines Mini-Budgets im Vergleich zu den Großklubs: Gerade einmal 59 Millionen Euro beträgt der Gesamtmarktwert der Mannschaft (Quelle: transfermarkt.de). Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş liegen alle weit über 100 Millionen. Dazu hat der Verein die mit Abstand älteste Mannschaft der Liga, Altersschnitt: 29,3 Jahre. Die Erfahrung machte sich bezahlt: Seit dem dritten Spieltag war der Klub immer mindestens Zweiter, vom 4. bis zum 18. Spieltag sogar viereinhalb Monate lang Spitzenreiter.

Magerer Zuschauerschnitt

Doch es gibt ein Problem: Başakşehir ist zum Spitzenklub geworden – aber kaum jemand bekommt es mit. Zuschauerschnitt des Klubs: Gerade einmal 2500 Fans pro Heimspiel. Schon das Stadion ist mit einer Kapazität von 17.319 Plätzen klein ausgelegt für einen Erstligaklub.

Sind die 2500 Anhänger nun echte Hardcore-Fans? Von wegen: "Die meisten sind Studenten, die zu besonderen Konditionen ins Stadion dürfen," erklärt Öztürk. Der Verein wurde erst 1990 gegründet, hieß bis 2014 noch "Istanbul Büyükşehir Belediyespor", war quasi der Klub der Bezirksverwaltung. Bis zur Umbenennung spotteten Fans über den "Beamtenklub".

Fans ignorieren den Klub – zu Unrecht

Wie RB Leipzig in der Bundesliga haftet dem Verein heute das Image eines künstlich hochgezogenen Retortenklubs an. Auch die großen Sportmedien des Landes konzentrieren sich in ihrer Berichterstattung fast ausschließlich auf die vier großen Gala (20 Meistertitel), Fener (19), Beşiktaş (zwölf) oder Trabzonspor (sechs). "Wenn Du in der Türkei Fußball-Fan bist, hast Du eigentlich nur die Wahl zwischen diesen vier Klubs," sagt Öztürk. Öffentlichkeit und Fans ignorieren den Klub. Zu Unrecht!

Denn die größte Stärke des Teams ist: Stabiltät! Trainer Abdullah Avcı ist seit 2014 wieder im Verein, war bereits von 2006 bis 2011 Chefcoach. Die Mannschaft ist ausgeglichen besetzt, hat mit nur 27 Gegentoren die beste Abwehr der Liga. Auch im Angriff läuft es: Nur Beşiktaş (65 Tore) traf häufiger als Başakşehir (60). Gleich sechs Akteure haben fünf Treffer oder mehr erzielt. Bester Torjäger ist der bosnische Nationalspieler Edin Visca mit acht Saisontoren.

Ex-Schalker ist feste Größe

Die Strukturen im Verein scheinen bereits erstaunlich gefestigt. Während die Spielerfluktuation bei den Großklubs jedes Jahr hoch ist, sind bei Başakşehir dagegen 15 Spieler bereits zwei Jahre und länger dabei. Mannschaftskapitän ist der erfahrene Ex-Nationalspieler Emre Belözoglu, der mit mittlerweile 36 Jahren die Mannschaft anführt.

Im Winter legte das Management noch mal mit einem großen Namen nach, holte den zuletzt vereinslosen Ex-Arsenal-Star Emmanuel Adebayor. Der Togolese traf in zehn Spielen seitdem sechs Mal. Dazu kam für drei Millionen Euro Verteidiger Junior Caiçara vom FC Schalke 04.

Vorbild Deutschland

Fällt schon an diesem Wochenende die endgültige Entscheidung im Titelrennen? Başakşehir gewann am Samstag gegen den bereits als Absteiger feststehenden Tabellenletzten Adanaspor 2:1, muss nun auf einen Beşiktaş-Ausrutscher am Sonntag hoffen – ausgerechnet gegen den Vorletzten Gaziantepspor. Bei einem Sieg ist "BJK" zum 13. Mal türkischer Meister.

Trotzdem: Selbst Platz zwei ist für den kleinen Klub ein Erfolg - es könnte der Startschuss zu mehr sein. "Wir bauen den ersten türkischen Trainingskomplex nach deutschem Vorbild," erklärte Erogut kürzlich. Die Anlage soll in zwei Jahren fertig sein, mit sieben Trainingsplätzen, Jugendakadamie, Restaurants, Praxis und sogar einem Kindergarten. Öztürk: "Ich traue denen zu, dass sie langfristig oben dabeibleiben."

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