Nationalmannschaft Löw bleibt Löw bis zum Ende: Abschied nach EM
Frankfurt/Main (dpa) - Joachim Löw hat schon immer gemacht, was er will. Der Rekord-Bundestrainer und umjubelte Weltmeister-Macher von Rio 2014 bleibt sich ungeachtet rapider abgestürzter Sympathiewerte auch bei seinem nun doch plötzlichen Abschied selber treu.
Nicht nach dem WM-Desaster in Russland 2018, nicht nach dem sportlichen Abstieg aus Europas Elite-Zirkel in der Nations League und auch nicht im großen Sturm der öffentlichen Entrüstung nach der schwarzen Nacht von Sevilla kündigte der Ewige Jogi seinen Rückzug an.
Löw hat auch nach der 0:6-Demütigung im vergangenen November gegen seinen Dauer-Rivalen Spanien einfach abgewartet. Und geht nun doch nach der Europameisterschaft in diesem Sommer - so ist es zumindest der Anschein - selbstgewählt, aus eigenem Antrieb. Nach 15 Jahren als Bundestrainer. Verkündet per Pressemitteilung an einem banalen Dienstag im März, kurz vor dem Start der WM-Qualifikation für 2022.
"Ich gehe diesen Schritt ganz bewusst, voller Stolz und mit riesiger Dankbarkeit, gleichzeitig aber weiterhin mit einer ungebrochen großen Motivation, was das bevorstehende EM-Turnier angeht", wurde Löw in der Mitteilung des Deutschen Fußball-Bundes zitiert.
Der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen will Löw aber erst mit 48 Stunden Verzögerung am Donnerstag bei einer Pressekonferenz mit DFB-Präsident Fritz Keller.
Auch diese zeitliche Lücke passt zum Typ Löw, der eben nur zur Verfügung steht, wenn es ihm passt. Zwangs-Einbestellungen vor dem DFB-Präsidium oder öffentliche Erklärungen wie nach dem historischen WM-Vorrunden-Aus und nach der jüngsten Spanien-Pleite waren ihm immer zuwider. Mit dem Argument einer Analyse-Auszeit schob er diese Termine immer zeitlich hinaus. Lange gaben ihm seine großen Erfolge recht, das System Nationalmannschaft hatte mit ihm einen genialen Vordenker und Anleiter.
Die von den Corona-Auswirkungen beeinträchtigte EM wird nun sein siebtes und letztes großes Turnier als Chefcoach sein. Er überholt damit Helmut Schön und stellt eine weitere Rekordmarke in seiner beispiellosen DFB-Karriere auf. Die meisten Spiele (189) und die meisten Siege (120) hat er unter anderem schon. Kein Nationalcoach in 211 FIFA-Ländern ist länger im Amt. Einen festen Platz in den Rekordbüchern hat der höchste Sieg in einem WM-Halbfinale, das legendäre 7:1 gegen Brasilien 2014.
Ist dieser Abschied also überraschend? Ja und nein. Unerwartet ist der Zeitpunkt. In der kommenden Woche nominiert Löw seinen Kader für die ersten drei Länderspiele des Jahres gegen Island (25.3.), in Rumänien (28.3.) und gegen Nordmazedonien (31.3.). Vor einer Woche startete er noch eine Interview-Offensive, in der er nicht den Hauch eines Anscheins erweckte, seinen Vertrag bis zur WM im kommenden Jahr in Katar nicht erfüllen zu wollen. Seine Gedanken eines Neuaufbaus gingen immer sogar noch bis zur Heim-EM 2024.
Auch darauf war sein personeller Umbruch angelegt, der ihn mit der Ausbootung der Ex-Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng vor zwei Jahren zur wohl streitbarsten Personalentscheidung seit dem Abschied von Capitano Michael Ballack 2010 motivierte. Eine Entscheidung, die bis heute permanent ausstrahlt und ihn öffentlich angreifbar machte. Das seit Russland bröckelnde Denkmal Löw nahm auch diesen Widerstand stoisch hin. Sein eigener Orbit war und blieb immer der einzige Maßstab, bis heute.
Logisch erscheint der Rücktritt unter der Annahme, dass Löw die Zeichen der Zeit erkannte. Womöglich auch die Stimmungen im DFB. Nichts wäre ihm mehr zuwider gewesen, als gehen zu müssen, statt selbst zu gehen. Vehement intervenierte er noch gegen DFB-Präsident Keller, der einen freiwilligen Rückzug nach der EM als elegante Lösung ins Spiel gebracht haben soll. Indiskretionen aus dem inneren Zirkel brachten Löw in Rage. Nun vollzieht er diesen Schritt doch.
"Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Joachim Löw. Der DFB weiß, was er an Jogi hat, er ist einer der größten Trainer im Weltfußball", sagte Keller nun. Löw habe den deutschen Fußball über Jahre hinweg wie kaum ein anderer geprägt. "Dass er uns frühzeitig über seine Entscheidung informiert hat, ist hoch anständig. Er lässt uns als DFB somit die nötige Zeit, mit Ruhe und Augenmaß seinen Nachfolger zu benennen", sagte Keller.
Die Debatte um einen Nachfolger ist aber ohnehin längst im Gange. Favoriten sind der in Liverpool gerade strauchelnde Jürgen Klopp, der am Dienstag aber eine Amtsübernahme im Sommer mit Verweis auf seinen noch bis Mitte 2024 laufenden Vertrag bei den Reds ausschloss, und der sicher verfügbare Ralf Rangnick. Die junge Generation um Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel müsste aus guten Verträgen bei RB Leipzig und beim FC Chelsea losgeeist werden. Wie auch Löws Ex-Assistent Hansi Flick, eine sehr charmante Lösung, der der FC Bayern aber ganz sicher mit aller Macht im Wege stehen würde.
Dass Löw den Stab an seinen Assistenten Marcus Sorg übergibt, ist unwahrscheinlich. Zu groß ist der Wunsch nach einem klaren Schnitt. Eher könnte U-21-Coach Stefan Kuntz einspringen, sollten Klopp oder Rangnick nicht verfügbar sein. Beim Konzept-Trainer Rangnick bliebe die Frage, wie der 62-Jährige mit DFB-Direktor und Chefentwickler Oliver Bierhoff harmonieren würde. Zwei Planungsalphatiere unter einem Dach - Konflikte wären programmiert.
Die Reaktionen aus der Bundesliga spiegeln die Stimmungslage wider. Anerkennung ja, größeres Bedauern nein. "Joachim Löw hat eine enorm erfolgreiche Ära des deutschen Fußballs geprägt, mit dem Gewinn der WM 2014 in Brasilien als Höhepunkt. Der DFB ist ihm zu großem Dank verpflichtet", sagte Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. "Löw hat in seiner Zeit als Bundestrainer Großartiges für den deutschen Fußball geleistet", sagte Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. "Joachim Löws Entscheidung verdient viel Respekt, weil es sich um eine Entscheidung der eigenen Stärke handelt."
Löw hatte das Amt nach der Weltmeisterschaft 2006 übernommen. Zuvor war er zwei Jahre lang Assistent von Bundestrainer Jürgen Klinsmann gewesen, der ihn überraschend zu seinem wichtigsten Zuarbeiter für das Sommermärchen machte. Die Emanzipation von Klinsmann gelang Löw schnell. Fünf Mal führte er die DFB-Elf mindestens bis ins Halbfinale bei EM und WM. Die Krönung war der WM-Triumph am 13. Juli 2014 im Fußball-Heiligtum Maracanã von Rio de Janeiro mit der von ihm zur Titelreife gebrachten Generation um Philipp Lahm, Manuel Neuer und Miroslav Klose.
"Dankbar bin und bleibe ich gegenüber dem DFB, der mir und der Mannschaft immer ein optimales Arbeitsumfeld bereitet hat", sagte Löw. Für die EM verspüre er "weiterhin den unbedingten Willen sowie große Energie und Ehrgeiz". Bei dem um ein Jahr verschobenen Turnier trifft die Nationalmannschaft in der Gruppenphase im Juni in München zunächst auf Weltmeister Frankreich, Europameister Portugal und Außenseiter Ungarn. In der Allianz Arena soll die Ära Löw aber nicht enden. Das Ziel ist Londons Fußball-Tempel Wembley mit dem Finale am 11. Juli. Es wäre Löws 201. Länderspiel als Bundestrainer. "Er hat sich einen würdigen Abschluss verdient", sagte Rummenigge.