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WM 2018 – Gruppe D: So hat Island eine Chance gegen Argentinien


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Jolly Sverrisson
So hat Island eine Chance gegen Argentinien

  • David Digili
InterviewVon David Digili

16.06.2018Lesedauer: 7 Min.
Islands Kapitän Gunnarsson führt die Mannschaft an. Sverrisson (oben) hofft, dass der Mittelfeldspieler noch fit wird.Vergrößern des Bildes
Islands Kapitän Gunnarsson führt die Mannschaft an. Sverrisson (oben) hofft, dass der Mittelfeldspieler noch fit wird. (Quelle: ap)
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Der Ex-Bundesligastar und U21-Trainer der Insel-Kicker über die Chancen des Außenseiters in der Hammergruppe mit Argentinien, die größte Stärke der Mannschaft – und die Talentsuche unter 350.000 Einwohnern.

Eyjólfur Sverrisson ist mitverantwortlich für den Aufschwung in Islands Fußball. Der frühere Bundesligaspieler (251 Einsätze für Hertha BSC und den VfB Stuttgart, Deutscher Meister 1992 mit dem VfB) trainiert seit 2009 die U21 des Verbands von der Insel – und hat viele Talente zu den Profis gebracht.

Seit dem starken Auftritt bei der EM 2016, als erst im Viertelfinale gegen Gastgeber Frankreich Schluss war, sind die Isländer im Weltfußball angekommen. 2018 kam der nächste Erfolg: Die erste erfolgreiche WM-Quali. In Russland warten nun in Gruppe D Argentinien (heute ab 14:45 Uhr im Live-Ticker bei t-online.de), Nigeria und Kroatien.

Vor dem Auftakt in die Hammergruppe spricht "Jolly" über die Chancen des Außenseiters, die größte Stärke der Mannschaft – und die Talentsuche unter 350.000 Einwohnern.

t-online.de: Herr Sverrisson, gibt es wieder eine isländische Invasion, dieses Mal in Russland, so wie bei der EM 2016 in Frankreich?

Eyjólfur "Jolly" Sverrisson (49): Ja, ein großer Teil von uns wird dort sein, auf jeden Fall. Ich glaube schon, dass wir da zahlreich vertreten sein werden. Einige müssen ja leider zuhause bleiben, um sich um die Touristen zu kümmern (lacht), da geht der schwarze Peter an manchen nicht vorbei.

Wie wird denn entschieden, wer dieses Mal mitreisen darf? Vielleicht die, die 2016 nicht dabei waren?

Das könnte gut sein (lacht). Irgendwie wird es funktionieren. Aber die ganze WM wird hier natürlich auch auf Leinwänden gezeigt, da verpasst keiner etwas. Ich bin auch extra zum Argentinien-Spiel rüber geflogen.

Was zeichnet für Sie die isländischen Fans besonders aus?

Die Freude, die positive Einstellung. Sie gehen optimistisch in jedes Spiel, wollen einfach Party machen und Spaß haben. Die sind nur da, um ihre Mannschaft zu unterstützen, egal, was passiert. Das sagen hier auch alle: „Genießen“.

Das Gleiche kann man ja auch über die Mannschaft sagen…

Ganz genau! Das ist ja auch eine unserer Stärken: Positiv und unbelastet in jedes Spiel zu gehen, mit Leidenschaft und Freude. Wir wissen: Wir können jeden schlagen – aber auch gegen jeden verlieren. Es kommt auf den Moment an, da müssen alle an einem Strang ziehen. Das ist den Spielern bewusst.

Besteht da die Gefahr, dass man sich auf Dauer aber doch selbst zu viel Druck auferlegt, wenn man weiß: Wir können mithalten und möchten mehr?

Das sehe ich nicht. Die Mannschaft versucht einfach, abzurufen, was sie kann und immer ein bisschen mehr zu schaffen. Vielleicht auch getragen von einer Euphorie, die sie über sich hinauswachsen lässt. Gerade bei einem großen Turnier ist schließlich alles möglich. Es kann ja auch in die andere Richtung gehen. Aber da denkt niemand dran. Alles, was die Spieler wollen, ist, den Moment zu genießen, alles zu geben. Denn natürlich gibt es auch andere Dinge, die eine Rolle spielen.

Zum Beispiel?

Natürlich ist es auch ein wenig Glückssache. Beispielsweise, ob der Ball nun an den Pfosten geht oder doch ins Tor. Das kann man aber nicht beeinflussen. Man kann nur die eigene Leistung beeinflussen, und wenn du dir den Allerwertesten aufgerissen hast, dann hast du alles richtig gemacht. Und das wird die Mannschaft auch umsetzen.

Island hat schon 2016 bei der EM überrascht – was macht für Sie die Mannschaft 2018 aus?

Wir haben natürlich keine Einzelspieler, die ein Spiel entscheiden. Wir müssen als Kollektiv auftreten. Da können wir uns keine Schwächen erlauben. Die ganze Mannschaft muss also funktionieren. Und: Der Zusammenhalt ist extrem groß. Alle wissen: Blüht die Mannschaft auf, kann auch der einzelne Spieler aufblühen. Das ist unsere absolute Stärke und auch unsere Mentalität. Die Spieler haben das verinnerlicht. Sie wissen, was sie bringen müssen, um Erfolg zu haben.

Was hat sich in den zwei Jahren seit der EM verändert?

Eigentlich nichts (lacht). Viele dachten ja, es würde schwierig werden, den Erfolg der EM zu bestätigen. Aber dann sind wir in der WM-Quali Gruppensieger geworden. Das hat niemand erwartet. Ich glaube einfach, die Mannschaft geht auch bescheiden in jedes Spiel, weiß aber auch, dass alles möglich ist. Der Rest ist dann unser Wikingerblut (lacht). Wir sind ja auch geprägt vom Wetter: Das ändert sich hier gefühlt jede Stunde zehn Mal. Auf diese Situationen muss man sich einstellen – auch auf dem Platz. Vor allem darf man eines nicht vergessen:

Ja?

Wenn man sieht, in welchen Ligen und in welchen Mannschaften unsere Spieler spielen – in anderen Ländern gibt es das so ja kaum. Da spielen alle in höheren Ligen, bei großen Klubs, sind Stars.

Wann begann diese Entwicklung? Sie sind bereits seit 2009 U21-Nationaltrainer…

Ich würde sagen: Mit der isländischen Mannschaft, die 2010 die deutsche U21 4:1 geschlagen hat und davor schon 2:2 in Deutschland gespielt hat. Wir haben Deutschland hinter uns gelassen in der Quali-Gruppe, haben es zum Turnier nach Dänemark geschafft – und vier Jahre später sind aber viele Spieler aus der deutschen Mannschaft Weltmeister geworden.

Quasi eine Initialzündung?

Ja, denn da haben auch viele hier begriffen: „Wir können was!“ Und diese Gewinnermentalität besteht seitdem. Das war die erste Generation, die hier komplett durch das Jugendprogramm gegangen ist. Ein Beispiel: Alle Spieler aus dem WM-Kader haben vorher auch die U21 durchlaufen. Das macht es doch aus. Überall wird das gleiche System gespielt, überall wird auf die gleichen Charaktereigenschaften Wert gelegt, und das zahlt sich nun aus.

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Trainer ist seit 2013 Heimir Hallgrimsson, erst zusammen mit dem Schweden Lars Lagerbäck, nun alleine. Was zeichnet ihn aus?

Heimir sagt es auch selbst: Dieser Erfolg gehört dem ganzen Land. Allen Jugendtrainern, die die aktuellen Nationalspieler entdeckt und hervorgebracht haben. Jeder auf der Insel hat irgendwie seinen Anteil daran.

Island hat 350.000 Einwohner, also keinen unendlichen Vorrat an Spielern, aus denen man schöpfen kann…

Das sieht man ja auch: Im Handball sind wir vorne dabei, im Basketball sieht es in der WM-Quali auch nicht schlecht aus. Und die Frauen gehören im Fußball auch zu den besseren Mannschaften. Wikinger sind eben sportlich (lacht).

Was glauben Sie: Wann gibt es den ersten isländischen Weltstar?

Die Möglichkeit besteht natürlich. Ich glaube schon, dass wir irgendwann mal einen wirklich kompletten Spieler hervorbringen, der auch weltweit bekannt werden kann. Aber wie gesagt: Wir sind ja nicht so viele, deswegen müssen wir vielleicht etwas länger warten. Aber auf jeden Fall: Wenn es dieses Talent irgendwann einmal geben sollte, dann wird es schnell erkannt – denn bei uns kennt jeder jeden, da geht an keinem etwas vorbei (lacht).

Wer ist der Schlüsselspieler in der Mannschaft? Natürlich kennen die deutschen Fans besonders Alfred Finnbogason aus Augsburg. Ist er besonders wichtig?

Alfred ist genauso wichtig wie alle anderen. Er ist natürlich unser Scorer. Er ist immer da, wenn ein Ball in den Sechzehner kommt. Die Art, wie er die Bälle antizipieren kann, ist sensationell. Er hat ja auch in der Bundesliga gezeigt, dass er Tore machen kann. Ich finde, er ist immer noch in der Entwicklungsphase und wird besser und besser. Das spricht für sein Potenzial. Ich habe mich sehr gefreut, dass er sich in der Bundesliga so durchgesetzt hat – in den letzten Jahren gab es ja nicht viele von uns bei Euch. Gespannt bin ich aber auch auf Gylfi Sigurdsson…

…der Ex-Hoffenheimer, der mittlerweile beim FC Everton in der Premier League spielt…

Er ist unser Freistoßspezialist und vielleicht unser bester Spieler. Er war lange verletzt und kommt jetzt wieder zurück. Wir hoffen, dass er in guter Verfassung ist. Und unser Kapitän Aron Gunnarsson, der leider verletzt ist und es vielleicht nicht bis zum ersten Spiel schafft.

Bei der WM warten jetzt Argentinien, Nigeria und Kroatien - kann Island da überraschen?

Es ist alles offen. Die Chancen stehen für uns gegen Argentinien nicht anders als gegen die anderen Gruppengegner. Es wird wirklich auf die Tagesform ankommen. Wir können gegen jeden verlieren und müssen immer über uns hinauswachsen.

So gesehen hat Argentinien gegen Island ja mehr zu verlieren als andersrum…

Das ist es. Ich glaube auch, dass die Argentinier gegen uns etwas mehr Ballbesitz haben werden als wir (lacht). Wir werden aber unsere Gelegenheiten suchen, auch gegen so eine Weltklassemannschaft. Unser größter Vorteil ist unsere Überlegenheit in der Luft (Island ist mit einer Durchschnittsgröße von 1,85 m das größte Team der WM, Anm. d. Red.). Vielleicht aber…

Ja?

…vielleicht ist dieses Spiel ja gar nicht das Wichtigste, wenn wir weiterkommen wollen. Es gibt ja noch zwei weitere Gruppenspiele. Aber wer weiß. Ich erinnere ja gerne an Folgendes…

Und zwar?

Bei der EM 2016 haben wir in der Gruppe gegen Portugal unentschieden gespielt, sind beide weitergekommen und Portugal wurde später Europameister. Also wird Argentinien dann vielleicht jetzt Weltmeister (lacht).

Wer ist denn eigentlich Ihr Weltmeistertipp?

Spanien. Sicherlich ein überraschender Tipp. Ich glaube, die werden den Titel holen und damit viele überraschen. Ich glaube, auf den plötzlichen Trainerwechsel gibt es eine Trotzreaktion. Spanien wird sich durchschleichen und es wieder machen – oder: Es geht alles in die Hose. Dazwischen gibt es nichts für die Spanier.

Und wer wird bester Spieler des Turniers?

Schwierig…natürlich fällt mir Lionel Messi zuerst ein. Das glaube ich auch. Messi hatte bei der WM bisher noch nicht so überragende Auftritte, das könnte endlich sein Turnier werden. Aber gegen Island kann er sich trotzdem gerne ausruhen (lacht).

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