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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte über Investoren "Die 50+1-Regel ist nicht mehr zu halten"
Der Fußball wird in den kommenden 15 bis 20 Jahren mehr und mehr zur Wirtschaftsbranche und damit weitere Investoren anlocken. Diese These vertritt Prof. Dr. Volker Tolkmitt im Gespräch mit t-online.de.
Der Ökonom spricht über das Engagement in Klubs wie 1899 Hoffenheim oder RB Leipzig und sagt, warum die 50+1-Regel aus seiner Sicht langfristig nicht zu halten ist.
t-online.de: Herr Tolkmitt, beginnen wir mit einem Blick in die Zukunft: Werden alle Bundesliga-Klubs in 20 Jahren automatisch mit einem großen Konzern oder Investor in Verbindung gebracht?
Volker Tolkmitt: Das ist zu erwarten. Als Fan hoffe ich zwar, dass kleinere Klubs weiter erfolgreich arbeiten und sich für das internationale Geschäft qualifizieren. Dauerhaft wird das sicher nicht zu realisieren sein. Das schließt natürlich positive Ausreißer nicht aus, In spätestens 15 bis 20 Jahren wird der Fußball aber noch viel mehr als Wirtschaftsbranche angesehen werden als heute. Auf europäischem Niveau erfolgreich werden nur noch Klubs sein, die ein entsprechendes wirtschaftliches Umfeld bieten können.
Klubs, die einen großen Konzern im Rücken haben?
Ich würde es nicht auf einen Konzern alleine begrenzen. Angesichts der Wachstumszahlen denke ich eher an ein Konsortium aus Beteiligungsgebern oder Sponsoren.
Nach Hoffenheim vor einigen Jahren drängt mit RB Leipzig ein weiterer Klub aus den Niederungen des Fußballs in die Bundesliga. Wo sehen Sie hier Parallelen?
Es sind Großinvestoren, die sich vorgenommen haben, Fußball als Wirtschaftsbranche zu betrachten. Sicherlich spielt auch eine gewisse Mentalität oder Altruismus eine Rolle: das Ziel, im Fußball etwas tun zu können und seine Präferenzen auszuleben. Der wirtschaftliche Gedanke aber ist der gleiche. Dietmar Hopp hat in Hoffenheim nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die wirtschaftliche Selbstständigkeit des Klubs erreichen will.
Und in Leipzig?
Der Großinvestor bei RB strebt meines Wissens ebenfalls eine wirtschaftliche Selbstverantwortung an. Die Markteintrittsbarrieren sind einfach so hoch, dass ohne einen solchen Investor der Sprung in die europäische Wettbewerbsfähigkeit gar nicht möglich ist. Ähnlich ist es auch in Wolfsburg oder zukünftig vielleicht in Ingolstadt.
Welche positiven Auswirkungen haben Engagements von Red Bull, SAP oder auch VW auf die Region?
Die Leute sind erfreut, dass sich jemand des lokalen Klubs annimmt und damit auch große Investitionen in die Region trägt. Wir haben entsprechende Multiplikatoreffekte für die regionale Wirtschaft. In einem Umfeld mit großer Fußball-Tradition wie Leipzig, wo es weit und breit keinen Bundesliga-Klub gibt, ist die Bedeutung noch größer als in Städten mit mehreren großen Vereinen.
Und abseits des sportlichen Aspekts?
Da werden natürlich Millionensummen in die Infrastruktur investiert und damit Arbeitsplätze geschaffen. Dazu werden Bekanntheitsgrad und Attraktivität der Stadt an sich erhöht. Das sind Fakten, die in der Diskussion oft vernachlässigt werden.
Viele kriselnde Traditionsklubs beklagen den Aufschwung von Klubs wie Hoffenheim, Leipzig oder Ingolstadt. Wie sehen Sie das?
Ich halte das für eine emotionale Debatte. Viele Traditionsklubs sind heute in unteren Ligen zu finden, weil sie sich nicht auf den finanziellen Zeitenwandel eingelassen haben oder weil einfach die Ressourcen nicht da waren.
Was unterscheidet das Engagement von Red Bull von dem von VW, Bayer, Audi oder Allianz bei anderen Profiklubs?
Das ist eine schwierige Frage. Bei SAP ist das Engagement an einer Einzelperson festzumachen, die sowohl an Klub als auch am Unternehmen großes persönliches Interesse hat…
…Dietmar Hopp. Und bei Leipzig?
Da ist es sicher etwas anders, hier überwiegt der finanzielle Aspekt. Aber es scheint mir, dass es auch hier eine persönliche Affinität zum Fußball gibt, ebenso wie den Willen, etwas für den Standort zu tun. Ich würde die Motivation einzelner Investoren generell nicht stärker in Frage stellen als anderer Sponsoren. Aus rein wirtschaftlicher Sicht grenzt Red Bull und Dietmar Hopp von anderen ab, dass sie klar sagen: Ich möchte Entscheidungen treffen und durch bewährte Methoden der Unternehmensführung sicherstellen, dass das Geld auch gut investiert ist. Da spielt der Glaube an sich selbst eine große Rolle, weil die handelnden Personen die Unternehmen groß gemacht haben. In Hamburg dagegen gibt es keine klare Entscheidungsstruktur, unter diesem Missmanagement leidet auch der Investor.
Die Beispiele Hamburger SV und 1860 München zeigen, dass die Zusammenarbeit mit einflussreichen Investoren nicht immer unkompliziert ist. Welche Voraussetzungen müssen für eine erfolgreiche Arbeit erfüllt sein?
Auch da gibt es Parallelen zur Wirtschaftswelt. Wenn es zu Firmenübernahmen oder Fusionen kommt, spielen Kommunikation und Unternehmenskultur eine große Rolle. Ein Investor muss sich auf die Region einlassen und genau überlegen, wo ein Engagement lohnt. So ist beispielsweise die Fankultur ein wichtiger Faktor, die Struktur rund um den Standort ein anderer.
Wie versuchen sich Konzerne vor Fehlinvestitionen zu schützen?
Sie machen zur Bedingung, dass sie selbst über die Verwendung ihrer Gelder entscheiden, um das Risiko des Investments zu minimieren. Hoffenheim und RB Leipzig sind die besten Beispiele dafür.
Ist der Einstieg von Investoren im Fußball die logische Weiterentwicklung von Mäzenatentum und Sportsponsoring?
Ja. Fußball ist mittlerweile ein Milliardenmarkt, stetig wachsend. Das weckt natürlich das Interesse von professionellen Investoren und drängt das klassische Mäzenatentum, was auch immer etwas mit Selbstdarstellung zu tun hat, in den Hintergrund. Es wirkt schlicht und ergreifend der Wettbewerb. Aus Studien wissen wir, dass wirtschaftliche Kompetenz in Verbindung mit Investitionen in die Mannschaft mittel- bis langfristig zum Erfolg führt. Das ist sowohl in Hoffenheim als auch in Leipzig zu sehen. Positiv formuliert: Professionelles Management ist das, was dem Sponsoring früher gefehlt hat. Nur dann wird der Fußball für Investoren interessant.
Kleinere Vereine, die über eine breite Palette von Sponsoren verfügen, arbeiten mittlerweile genauso wirtschaftlich, wie Klubs mit einem Investor im Rücken. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Attacken auf RB?
Fußball ist ja zum Glück auch Herzensangelegenheit. Es ist natürlich nachvollziehbar, dass Anhänger von kleineren Vereinen mit beschränkten Mitteln neidvoll auf die neue, finanzstarke Konkurrenz schauen. Erfolg ist stärker als je zuvor abhängig von Infrastruktur und Region. Früher hat etwa Rot-Weiß Oberhausen in der Bundesliga gespielt. Ohne jemanden zu nahe zu treten: Kleinere und regional verankerte Klubs, die zudem aus strukturschwachen Gebieten kommen, werden es in Zukunft schwer haben.
Ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Kommerzialisierung die 50+1-Regel noch zeitgemäß?
Das ist das heißeste Eisen hier in Deutschland. Es ist ja bekannt, welche Klubs damit ein Problem haben. Mittelfristig ist sie aus meiner Sicht nicht zu halten. Ich habe den Eindruck, dass es ein Agreement zwischen Klubs und DFL gibt, dass die 50+1-Regel nicht juristisch auf ihre Zulässigkeit überprüft wird. Solange die Bundesliga in Europa wettbewerbsfähig bleibt, wird die Regel wohl Bestand haben. Sie hat eine mentale Wirkung, soll den Ausverkauf der Vereine verhindern und damit die Identifikation stärken. Die Effekte sind klar. Dennoch gehe ich von einer Duldung aus: Wenn die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet ist, werden sich die Bundesligavereine und DFL schnell darauf verständigen, die Regelung abzuschaffen.
Das Interview führte Michael Glang
Prof. Dr. Volker Tolkmitt lehrt seit 1996 an der Hochschule Mittweida. Zuvor war er bei der Berufsakademie Berlin und der Sachsen LB tätig. Nähere Informationen zur Person finden sie hier.