Die Welt beneidet Deutschland Warum junge deutsche Spieler wie Özil und Götze so stark sind
Von Jörg Runde
Die Geschichte ist ein Auszug aus dem Buch "Traumberuf Fußballprofi - Der harte Weg vom Bolzplatz in die Bundesliga".
Mario Götze hat es geschafft. Er ist ganz oben auf der Karriereleiter eines Traumberufs, ihm und vielen Teamkollegen fliegen die Herzen der Fans zu. Götze spielt für die derzeit beste Mannschaft Europas. Millionen Jugendliche in Deutschland eifern ihm nach und träumen von einer ähnlich spektakulären Laufbahn. Bei einer Umfrage (Studie Iconkids & youth 2010) unter Jungs zwischen sechs und zwölf Jahren gaben 17,3 Prozent der Befragten den Berufswunsch Fußball-Profi an. Auf den Plätzen zwei und drei in der Umfrage folgten weit abgeschlagen Polizist (10,1 Prozent) und Pilot (7,5 Prozent).
In Deutschland ist man wieder stolz auf seine Fußballer. Auch bei internationalen Top-Klubs sind deutsche Nationalspieler gefragt wie nie zuvor. Bei der WM in Brasilien geht die DFB-Auswahl als Topfavorit an den Start.
Erich und die Knalltüten war gestern
Zur Jahrtausendwende war an so viel Glanz nicht einmal zu denken, der deutsche Fußball lag am Boden. Die Schlagzeilen in der Presse waren vernichtend. “Deutschland schämt sich für euch”, titelte die “Bild-Zeitung”. Als “Mega-Blamage” bezeichnete der Kölner “Express” das, was sich am Abend des 20. Juni 2000 in Rotterdam abspielte. Als “lustigste Mannschaft der Welt” verspottete Harald Schmidt in seiner Show die deutsche Nationalelf und sprach von “Erich und die Knalltüten”.
Der deutsche Fußball war weltweit nur noch eine Lachnummer und hatte den absoluten Tiefpunkt erreicht. 1:1 gegen Rumänien und 0:1 gegen England endeten die ersten Partien des EM-Turniers. Zum Abschluss kam das Team von Bundestrainer Erich Ribbeck gegen eine portugiesische B-Elf unter die Räder. 0:3 hieß es nach desolaten 90 Minuten. Das peinliche EM-Aus war besiegelt und jeglicher Respekt vor der großen Fußball-Nation Deutschland hatte sich in Luft aufgelöst.
Beckenbauer spottet über Rumpelfüßler
Taktisch und technisch hinkte die DFB-Auswahl den Kontrahenten meilenweit hinterher. Die Fußball-Welt spielte längst mit Vierer-Abwehrkette, verteidigte im Raum und presste organisiert vor. Deutschland hingegen bot den 39-jährigen Lothar Matthäus als Libero auf. Spielerisch bekamen Dietmar Hamann, Mehmet Scholl und Co. nichts zu Stande. Als “Rumpelfüßler” bezeichnete Franz Beckenbauer, Weltmeister als Spieler und Trainer, die DFB-Kicker spöttisch.
Die Auswirkungen dieser unsäglichen Darbietung waren verheerend. Die Vereine in allen Landesverbänden des DFB verzeichneten ein gewaltiges Nachwuchsproblem. Immer weniger Kinder und Jugendliche wollten in einem Klub Fußball spielen. Der Juni des Jahres gilt heute als Wendepunkt, in dieser Zeit fand endgültig ein Umdenken statt.
Weise und Vogts als Treiber
Verantwortliche des DFB und der Bundesliga-Klubs holten längst entwickelte Konzepte zur Nachwuchsförderung aus den Schubladen, setzten sich an einem Tisch und machten Nägel mit Köpfen. Es entstand eine Talentförderung, die heute weltweit ihresgleichen sucht und bereits eine erste herausragende Spielergeneration hervorgebracht hat.
Einer der maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt war, ist Ulf Schott. Der Diplom-Sportwissenschaftler, der auch die A-Trainerlizenz besitzt, arbeitet seit 1997 beim DFB. Seit dem 1.Juni 2012 leitet er die Verbands-Direktion Jugend, Spielbetrieb, Trainerwesen, Internationale Kooperationen, Talentförderung und Schule. Gemeinsam mit Dietrich Weise und Berti Vogts trieb er die Talent-Förderung seinerzeit voran.
Druck durch die WM-Bewerbung
Rückblickend erzählt er: "Schon vor der WM 1998 gab es Überlegungen, im Nachwuchsbereich einiges zu ändern. Die WM-Bewerbung für 2006 stand auf dem Plan. Da haben wir uns gefragt: Haben wir eine Mannschaft? Und was müssen wir tun, um eine schlagkräftige Truppe zu haben."
Erklärend fügt Ulf Schott an: „Bis dahin war die Nachwuchsarbeit föderal organisiert. Also jeder Landesverband hat nach seinen Vorstellungen gearbeitet. Der DFB hat nur die Nachwuchs-Nationalmannschaften betreut. Damals entstand die Idee, auch neben den Nationalteams etwas zu machen und ein gemeinschaftliches Konzept zu entwickeln. Dietrich Weise war derjenige, der als Trainer eingestellt wurde und verantwortlich war. Ich sollte das Konzept mitentwickeln und umsetzen.“
120 Stützpunkte machen den Anfang
Der erste Entwurf wurde im März 1998 vorgestellt und beinhaltete den Aufbau von 120 Stützpunkten. „Da die WM 1998 ziemlich in die Hose ging, wurde es in Abstimmung mit Berti Vogts sofort umgesetzt“, erzählt Schott. Zur Erinnerung: Bei der WM in Frankreich scheiterte Deutschland nach durchgehend mäßigen Leistungen im Viertelfinale an Kroatien.
Der Prozess der Jugendförderung war jedenfalls angeschoben und wurde zwei Jahre später sogar noch deutlich beschleunigt. Schott: „Nach der schlechten EM 2000 war der öffentliche Druck in Deutschland noch größer, etwas zu machen. Das kam uns entgegen, denn wir konnten unsere Ideen noch schneller umsetzen. Auch die Bundesliga-Vereine waren sich damals einig, etwas machen zu müssen.“
Vor allem im Bereich der 11-14-Jährigen sollte etwas passieren. Es wurden deutschlandweit rund 350 Stützpunkte geschaffen. Jeder Standort wurde mit zwei bis drei qualifizierten Trainern besetzt. Talente der Region werden seitdem dort gesichtet und gefördert. Außerdem dienen die Stützpunkte als Fortbildungsmaßnahmen für Nachwuchstrainer.
Die Liga wird zu ihrem Glück gezwungen
Auch die Leistungszentren der Bundesliga-Klubs wurden auf Initiative von DFL und DFB schon vor der EM 2000 beschlossen. Die Bundesliga-Klubs kamen nach der EM noch einmal mit dem DFB an einen Tisch. Es wurde ein Kriterienkatalog aufgesetzt, mit den Vereinen besprochen und geplant. Für 2.Liga-Vereine wurden die Leistungszentren erst ein Jahr später Pflicht.
„Natürlich haben die Vereine nicht Hurra geschrien. Es hieß in den Manager-Runden immer: Nachwuchsarbeit ist wichtig aber so wichtig auch nicht. Aber durch die schlechte EM konnte keiner öffentlich etwas gegen die Planung sagen“, blickt Ulf Schott auf die Anfangszeit zurück. Auch der damalige Manager des SC Freiburg und heutige DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig erinnert sich: „Wir mussten die meisten Klubs zu ihrem Glück zwingen.“
Moderne Trainingszentren werden gebaut
Heute besteht absolute Einigkeit, die Vereine geben teilweise sogar mehr Geld für die Nachwuchsförderung aus, als vorgeschrieben. Rund 80 Millionen Euro waren es in der Saison 2011/2012. Die 36 deutschen Fußballklubs bilden jährlich 5000 Jugendspieler aus, kosten lassen sie sich das rund 2,5 Millionen Euro. Bei den Top-Klubs sind es sogar rund 5 Millionen Euro. Viele Klubs, darunter der FC Bayern, der Hamburger SV und der VfB Stuttgart, investieren bereits in die Infrastruktur und bauen derzeit hochmoderne Akademien mit Internat und Trainingszentrum.
Seit der Einführung der Leistungszentren wurden bis zum Sommer 2013 mehr als 700 Millionen Euro investiert. Auch der DFB steckt immer mehr Geld in sein Talentförderprogramm. Rund 1000 Honorar-Trainer arbeiten derzeit an den 366 DFB-Stützpunkten. 21 Millionen Euro lässt sich der Verband die Unterstützung der Jugendarbeit jährlich kosten. Auch die DFB-Eliteschulen werden darüber finanziert.
Deutsche Klubs garantieren Top-Ausbildung
Beim Blick auf die Leistungszentren wird schnell klar: Der Ausbildungsstandort ist in Deutschland fast schon Nebensache. Talente, die sich heute dazu entschließen ihre Liebe und Leidenschaft Fußball zum Beruf zu machen, werden in allen 46 zertifizierten Leistungszentren gut auf den Job vorbereitet. „Das ist Fakt. Wenn du als junger Spieler einen Platz in einem Leistungszentrum hast, bekommst Du garantiert eine gute Ausbildung. Die Vereine unterscheiden sich nur marginal. Es gibt verschiedene Philosophien, die Qualität ist aber sehr ähnlich“, sagt Ernst Tanner, lange Zeit Leiter der Leistungszentren von 1860 München und 1899 Hoffenheim.
Ernst Tanner, heute Nachwuchschef bei Red Bull in Salzburg, sieht vor allem in der finanziellen und strukturellen Initiative der Vereine den Schlüssel zum heutigen Erfolg. „In den Vereinen liegt der Ursprung des Talentebooms. Die Spieler, die heute in die Bundesliga kommen profitieren von der hervorragenden Ausbildung. Sie sind technisch und taktisch auf extrem hohen Niveau. Und sie sind als Persönlichkeit in der Regel sehr weit.“
Juniorenspiele sind taktisch auf hohem Niveau
Spiele der A-Jugend-Bundesliga seien laut Ernst Tanner nicht selten taktisch und technisch hochwertiger als 2. oder 3.Liga-Spiele. „Man sieht, dass die Spieler bestens vorbereitet sind.“
Lob für diese Entwicklung gibt es aus der ganzen Welt. Vereins- und Verbandsvertreter reisen nach Deutschland, um Anregungen zu erhalten. Delegationen aus Brasilien, Argentinien und den USA schauten bereits zur Weiterbildung in den verschiedenen Einrichtungen vorbei. Und auch die Europäer blicken neidisch auf die Bundesliga und den DFB.
Großes Lob aus Frankreich
Stellvertretend sagte Ex-Bayern-Profi Willy Sagnol, seit einigen Jahren in verschiedenen Funktionen für den französischen Fußball-Verband tätig, in einem Interview mit dem „kicker“: “Deutschland wird den europäischen Fußball in den nächsten zehn Jahren dominieren.“