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Robert Enke: Frau Teresa über Suizid – "Es ist alles schwarz im Kopf"


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Teresa Enke über Tod ihres Mannes
"Robbie war ein sehr starker Mensch – aber die Krankheit kam, wann sie wollte"

  • T-Online
InterviewVon Alexander Kohne

Aktualisiert am 10.11.2024Lesedauer: 9 Min.
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Deutscher Nationaltorwart: Heute vor 15 Jahren nahm sich Robert Enke das Leben. (Quelle: IMAGO/Sportfoto Zink / Daniel Marr/imago)
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Heute vor 15 Jahren starb Nationaltorwart Robert Enke. Er litt an Depressionen und warf sich vor einen Zug. Hier spricht seine Witwe Teresa Enke offen über die wohl schwersten Stunden ihres Lebens.

Am 10. November stand die Fußballwelt plötzlich still: Der deutsche Fußball-Nationaltorwart nahm sich unweit seines Heimatortes Empede das Leben. Mit nur 32 Jahren warf er sich vor einen Zug.

Seine Frau Teresa berichtete danach, dass der talentierte Keeper von Hannover 96 seit Jahren mit einer Depressionserkrankung zu kämpfen hatte. Die Öffentlichkeit war schockiert, zur Trauerfeier in der Arena am Maschsee kamen rund 35.000 Menschen – darunter auch der Bundestrainer und die komplette Nationalmannschaft.

Millionen Menschen bewegte das Schicksal des zurückhaltenden, oft nachdenklich wirkenden Torwarts, und selbst im harten Geschäft Profifußball bekam das Thema psychische Gesundheit und der Umgang mit Depressionen zumindest einen anderen Stellenwert. Eine wichtige Rolle hat dabei auch Enkes Frau Teresa gespielt. Im Interview blickt die heute 48-Jährige zurück und spricht über ihren Einsatz im Kampf gegen die Krankheit.

t-online: Frau Enke, heute jährt sich der Tod Ihres Mannes Robert zum 15. Mal. Wie oft denken Sie noch an den 10. November 2009 zurück?

Teresa Enke: Unter dem Jahr nicht mehr so oft. Dieser Jahrestag ist bei mir nicht so präsent, wahrscheinlich ein bisschen aus Selbstschutz. Ich bin mit meinen Gedanken eher bei den schönen Momenten, den Geburtstagen beispielsweise, aber nicht bei Robbies Todestag. In den ersten Jahren nach seinem Tod war das noch anders: Da wusste ich genau, was zu welcher Minute damals passiert ist, und habe es bewusst noch mal durchlebt.

Robert Enke
Robert Enke (Quelle: imago)

Robert Enke

Der Torwart wurde 1977 in Jena geboren und spielte für den dortigen FC Carl Zeiss, Mönchengladbach, Benfica Lissabon, FC Barcelona, Fenerbahçe Istanbul, CD Teneriffa und Hannover 96. Er lief achtmal für die deutsche Nationalelf auf. Am 10. November 2009 nahm sich Enke an einem Bahnübergang in Eilvese das Leben.

Der Tod Ihres Mannes beherrschte damals die Medien. Sie standen plötzlich im Fokus der Öffentlichkeit, haben auf einer Pressekonferenz von seiner Depression berichtet. Wie haben Sie das damals erlebt?

Man funktioniert einfach und reflektiert das in dem Moment gar nicht. Das mit der Pressekonferenz war eine spontane Eingebung, nachts um drei oder vier Uhr, als wir in unserem Haus überlegt haben: Wer spricht – sein Berater Jörg Neblung, der Psychiater oder der Pressesprecher? Irgendwann habe ich gesagt: "Ich möchte über Robert sprechen, weil ich auch die Person war, die am nahsten dran war." Auch wenn ich vorher nie in der Öffentlichkeit stand und das auch nicht mein Bestreben war, war es mir einfach ein Bedürfnis, das für ihn zu tun.

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Bei der Trauerfeier im Hannoveraner Stadion waren Zehntausende Menschen – darunter auch die Spitzen des Deutschen Fußball-Bundes. Der Verband versprach damals, dass das Thema Depression in den Fokus genommen und dafür sensibilisiert werden soll. Was hat sich seitdem getan?

Der Profifußball hat sich nicht verändert. Es gehört dazu, dass Spieler mit Druck, Kritik und Beschimpfungen umgehen müssen. Das können wir nicht ändern. Aber es gibt schon mehr Akzeptanz für das Thema und mehr Ansprechpartner wie Psychologen und Psychiater. Es ist wichtig, dass intern Hilfsangebote bestehen – denn das Drumherum kann man nicht ändern. Der Fußball ist der Fußball und da gehören gewisse Sachen einfach dazu.

Das hört sich etwas resigniert an.

Das soll es nicht. Aber man muss sich klar machen, dass das Geschäft in einigen Bereichen nun einmal so ist, wie es ist. Das hat erst einmal nichts mit Depression zu tun. Robbie hat sich nicht wegen des Konkurrenzkampfs in der Nationalelf umgebracht oder weil Fans ihn beschimpft haben –, sondern weil er krank war und eine Depression hatte.

Generell hat sich das Thema psychische Gesundheit im Fußball, die Akzeptanz dafür in den Vereinen, in der Trainerausbildung und im Nachwuchsbereich, aber schon sehr verändert.

Dennoch gibt es auch anderthalb Jahrzehnte nach dem Tod Ihres Mannes Plakate, in denen negativ auf psychische Krankheiten angespielt wird. In Dortmund tauchte in Bezug auf Ralf Rangnicks Burnout-Erkrankung beispielsweise ein Plakat auf, auf dem stand: "Burnout Ralle: Häng Dich auf!" Was haben Sie gedacht, als Sie davon gehört haben?

Natürlich ist der Fußball eine Plattform, auf der sich viele Menschen herausnehmen, über andere Menschen zu urteilen, weil sie denken, dass diese so viel Geld verdienen und das dann aushalten müssen. Man muss Aufklärungsarbeit leisten, um zu zeigen, dass eine Depression keine Schwäche ist, sondern eine Krankheit, die jeden treffen kann. Und die man gut behandeln kann, wenn man früh genug damit beginnt.

Apropos Aufklärungsarbeit: Wenn Sie die Krankheit in zwei, drei Sätzen für Leute zusammenfassen müssten, die sich damit wenig auskennen, wie sähen die aus?

Es ist eine Stoffwechselkrankheit, die beispielsweise durch eine genetische Präposition ausgelöst werden kann oder auch begleitend durch ein traumatisches Erlebnis. Da spielen vielfältige Faktoren wie Schicksalsschläge, Trennungen, Veränderungen im Leben mit hinein – und zwar auch positive. Diese können eine Depression auslösen – wie bei Robbie.

Als er wenige Monate vor seinem Tod seine dritte Depression bekommen hat, war er auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Karriere. Eigentlich war alles gut: Robbie ist im Sommer 2009 als Nummer eins der deutschen Nationalmannschaft und Papa nach Portugal in den Urlaub geflogen – und danach ist es auf einmal losgegangen. Er konnte sich das selbst nicht erklären. Bei den Depressionen davor gab es konkrete Auslöser – wie die schlimme Zeit beim FC Barcelona und Fenerbahçe Istanbul (als die Fans ihn massiv angefeindet haben, Anm. d. Red.). Das war 2009 ganz anders – was zeigt: Kein Mensch ist davor gefeit.

Im Buch "Robert Enke – Ein allzu kurzes Leben" von Autor Ronald Reng beschreibt der Vater Ihres verstorbenen Mannes im Hinblick auf eine Situation in der Jugend von Carl Zeiss Jena wie folgt: "Damals muss diese Qual begonnen haben. Die Angst vor Fehlern setzte ihm zu", …

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… wobei es gar nicht sein muss, dass man nur Angst hat, die geforderte Leistung nicht zu bringen, sondern auch vor einem anderen Umfeld, einer neuen Mannschaft oder einer neuen Stadt. Es waren bei Robbie viele Faktoren. Ihm hat nicht der Leistungsdruck Angst gemacht, sondern das ganze Drumherum. Er war ein Mensch, der sehr viel Routine und Sicherheit brauchte.

Ein Beispiel dazu: Als wir während seiner Zeit bei Benfica in Lissabon gewohnt haben (1999 bis 2002, Anm. d. Red.), waren wir mit dem Hund spazieren und der hat immer an einem bestimmten Baum sein Geschäft verrichtet. Irgendwann hat er mit einem Grinsen zu mir gesagt: "Das gibt mir Sicherheit, dass er jeden Tag unter diesen Baum macht." Dann mussten wir beide lachen. Für seine Depression gab es unterschiedliche Gründe, aber sicherlich die dauernde Veränderung, die vielen Umzüge – aber nicht den Leistungsdruck. Ein gesunder Robbie hatte keine Angst vor den Gegnern – im Gegenteil.

Sie sprachen die Umzüge an – und die Zeit in Istanbul im Sommer 2003. Dort wurde er von den Fans nach einem 0:3 im ersten Spiel zum Sündenbock gemacht. Danach sind Sie nach Köln zu Berater und Freund Jörg Neblung gezogen, wo Ihr Mann eine Therapie begonnen hat. Wie haben Sie das damals geheim gehalten?

Die Zeit in Istanbul war ganz schlimm. Vor allem war für Robbie schlimm, dass er keine Rückendeckung bekommen hat von Trainer Christoph Daum. Nach wenigen Wochen ist er von dort geflüchtet, hat den Vertrag aufgelöst und ist nach Köln gegangen, um sich behandeln zu lassen. Er hatte vorher zwar bei Barcelona gespielt, war aber vor allem im Ausland bekannt. In Deutschland war der Fokus nicht so auf ihn gerichtet.

Die Behandlung hatte Erfolg. Im Januar 2004 schrieb er in sein Tagebuch: "Ich bin im Moment glücklich und zufrieden." Danach wurde Ihre Tochter Lara geboren, die mit nur zwei Jahren an einem Herzfehler starb. Wie hat Ihr Mann das verarbeitet?

Das war ein sehr schwerer Schlag. (Enke macht eine kurze Pause) Aber danach hatte er keine Depressionen. Es war eine normale Trauerphase und -bewältigung, was auch daran lag, dass wir uns – wegen Laras Krankheit – mit dem Thema Tod auseinandergesetzt hatten. Ein solch traumatisches Ereignis hätte sicher eine Depression auslösen können. Aber auch das zeigt: Robbie war ein sehr starker Mensch – aber die Krankheit kam, wann sie wollte. Und in diesem Fall eben nicht.

Sie haben die Krankheit Ihres Mannes jahrelang miterlebt und klären mit der Robert-Enke-Stiftung seit 15 Jahren über Depressionen auf. Was hat sich seit seinem Tod in der öffentlichen Wahrnehmung der Krankheit geändert?

Da hat eine deutliche Veränderung stattgefunden. Es wird viel offener darüber gesprochen. Zudem vergeht kaum eine Woche, in der eine bekannte Person aus Musik, Sport oder Gesellschaft sich nicht öffentlich dazu bekennt, eine Depression zu haben oder gehabt zu haben. Es wird viel mehr berichtet – und, weil es eben normaler geworden ist, auch nicht mehr so reißerisch.

Laut einer Studie ist jeder fünfte bis sechstes Deutsche in Laufe seine Lebens von einer Depression betroffen. Dennoch dauert es oft ein bis anderthalb Jahre, bis Betroffene einen Therapieplatz bekommen. Warum ist das so schwierig?

Das ist fatal, weil die Depression so viele Menschen betrifft und bei einer schweren Ausprägung – genauso wie beispielsweise Krebs – tödlich enden kann. Durch Corona und die im Zuge dessen gestiegenen Krankheitszahlen wurde das Problem noch verstärkt. Wir merken das in unserer Stiftungsarbeit: Vor Corona haben wir, wenn man sich über die Website an uns gewandt hat, oft innerhalb von einer Woche einen Therapieplatz vermittelt. Jetzt fällt das deutlich schwerer. Da muss die Politik etwas machen, denn – ich sage das jetzt mal provokant – entweder wird der Patient behandelt und gesundet oder er ist tot.

Sie haben die Stiftung angesprochen, die Sie nur zwei Monate nach dem Tod Ihres Mannes gegründet haben. Was macht diese genau?

Wir haben deutschlandweit ein Netzwerk von Psychologen und Psychiatern aufgebaut und vermitteln diese an Leute, die sich bei uns melden und ihre Probleme schildern. Außerdem gehen wir mit einem Robert-Enke-Stand in die Fußballstadien, um den Menschen seine Geschichte dort näherzubringen und für das Thema Depressionen und psychische Gesundheit zu sensibilisieren. Natürlich hilft der Name Robert Enke dabei.

Es ist wichtig, dass man das Thema in der Gesellschaft thematisiert und darüber spricht. Das hilft auch Betroffenen, die sehen: Wir sind nicht vergessen und es gibt viele Leute in der Gesellschaft, die sich um uns kümmern. Das hatte Robbie nicht. Da gab es so etwas noch nicht. Er hat sich allein gefühlt und gedacht: Ich bin der einzige Depressive im Profifußball. Was natürlich nicht gestimmt hat.

Martin Amedick (ehemaliger Fußballprofi, der seine Depression ebenfalls öffentlich gemacht hat, Anm. d. Red.) und Ronald Reng (Autor des Buches "Robert Enke – Ein allzu kurzes Leben") gehen in die Nachwuchsleistungszentren der Klubs, um die Jugendlichen dort für das Thema zu sensibilisieren. Mittlerweile besuchen wir auch Schulen – beispielsweise mit unserem Virtual-Reality-Projekt "Impression Depression".

Worum geht es da?

Wer nicht selbst betroffen ist, kann ganz schwer nachvollziehen, wie sich depressive Menschen fühlen. Ich habe Robbie damals immer danach gefragt, um es besser zu verstehen. Er sagte dann: "Es ist so, wie wenn alles schwarz ist in Deinem Kopf. Es gibt keine Sonne, kein Licht. Und wenn Du Glück hast, siehst Du ganz am Ende des Tunnels ein ganz kleines Lichtchen flackern. Wenn Du zwei Minuten in meinen Kopf wärst, würdest Du durchdrehen."

Das haben wir zum Anlass genommen, diesen Zustand mit einer Virtual-Reality-Brille zu simulieren. Mit Kopfhörern, über die beispielsweise eine innere Stimme nachgestellt wird, die sagt: "Du bist so schlecht, du kannst nichts." Dazu bekommt man eine Bleiweste angezogen, um die Schwere, die Betroffene empfinden, besser nachvollziehen zu können. Ich glaube, Robbie hätte gelacht und gesagt: "Das nennt ihr Depression. Das ist nur ein kleiner Abklatsch." Uns ist das natürlich bewusst, aber es vermittelt zumindest einen Eindruck.

Ich habe mich damals immer gefragt, warum Robbie in der Depression einfach nicht aufstehen wollte, und konnte das manchmal schwer nachvollziehen. Nach den ganzen Jahren und den vielen Gesprächen ist mir heute klar, dass es vergleichbar damit ist, jemandem mit zwei gebrochenen Beinen zu sagen: "Steh jetzt endlich auf!"

Angehörige von an einer Depression erkrankten Menschen stehen oft hilflos daneben. Was raten Sie diesen?

Sie sollten die Erkrankten nicht bedrängen, aber für sie da sein. Oft wollen Depressive ihre Ruhe haben. Sie können auch mal ungehalten werden und sagen: "Lass mich bitte in Ruhe!" Man sollte aber trotzdem ab und zu sagen: "Wie sieht's aus? Kannst Du doch Hilfe gebrauchen?" Wichtig ist dranzubleiben, es nicht persönlich zu nehmen, denn Betroffene können es oft gar nicht so zurückgeben.

Wenn jemand depressiv ist, ist es für diesen Menschen sehr schwierig, im Alltag zu funktionieren. Umso schwieriger ist es aber, sich dann noch einen Arzt oder eine Selbsthilfegruppe zu suchen. Deshalb sollte man als Angehöriger Hilfsangebote geben. Aber: Es ist schwierig, wenn die andere Person es nicht will. Das ist immer ein schmaler Grat. Man sollte sich jedoch nicht abschrecken lassen und trotzdem immer wieder nachhaken.

Zum Abschluss: Wenn Sie im Hinblick auf den Umgang mit einer Depression einen Wunsch frei hätten, was wäre dieser?

Mein Traum wäre, wenn Depression genauso salonfähig ist wie beispielsweise ein Meniskusabriss und es gesellschaftliche Normalität ist, zu sagen: "Mir geht es psychisch nicht gut. Ich gehe in Therapie und komme dann wieder." Es hat sich schon eine Menge getan, doch gerade im Profisport überlegen Betroffene es sich aber immer noch dreimal, ob sie während oder nach ihrer Karriere mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit gehen.

Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.

Verwendete Quellen
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