Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erster Clásico als Barça-Coach Flicks doppelte Feuertaufe: Erst die Bayern und jetzt Real
Nach dem Triumph gegen seinen Ex-Klub Bayern in der Champions League kommt es für Hansi Flick direkt zu Teil zwei seiner Feuertaufe als Barcelona-Coach. Im Clásico gegen Real Madrid steht sein Traumstart auf der Probe.
Mit einem großen 4:1-Sieg über seinen Ex-Klub FC Bayern hat Hansi Flick ein dickes Ausrufezeichen hinter seinen Traumstart gesetzt, der ihm als neuer Chefcoach des FC Barcelona gelungen ist. Mit einem zufriedenen Lächeln lief er anschließend durch die Katakomben des Olympiastadions, wohl wissend, dass er der große Gewinner dieser Champions-League-Nacht war. Der Triumph tat ihm zweifellos gut, auch wegen der Strahlkraft, die die Demütigung des Rekordmeisters in seiner Heimat Deutschland hat.
Allerdings mochte der 59-Jährige, der die Bayern 2020 zum Triple und als Chefcoach in anderthalb Jahren zu insgesamt sieben Titeln führte, aber dann als Bundestrainer scheiterte, am Mittwochabend "überhaupt nicht von Genugtuung" sprechen. Viel lieber wolle er "positiv nach vorne schauen". Flick genoss den Abend und rühmte vor allem sein aktuelles Team. Mit dem hatte Flick seinem Gegenüber, Bayerns neuem Trainer Vincent Kompany, eine Lehrstunde erteilt (mehr dazu lesen Sie hier).
Am Samstagabend steht Flick nun mit seinem ersten Clásico bei Real Madrid gleich die nächste Feuertaufe als Barça-Coach bevor. Es ist eine Woche der Wahrheit für ihn, in die er mit dem süßen Triumph gegen Bayern perfekt gestartet ist.
Nach außen hin gab sich Flick schon vor dem Wiedersehen mit dem FC Bayern cool. "Die Mannschaft wird bereit sein", sagte er mit Blick auf das brisante Wiedersehen. "Ob es Bayern München ist, ob es Getafe oder Real Madrid ist – das spielt keine Rolle."
Wirklich? Aus der rein sportlichen Sicht eines Trainers mag das vielleicht stimmen. "Aber natürlich", räumte Flick ein, "ist Bayern München etwas Besonderes in meiner Vita. Ich war als Spieler und Trainer dort sehr erfolgreich. Ich habe viele Bekanntschaften dort."
Für ihn persönlich war das Rendezvous mit seiner alten Liebe zweifellos hochemotional. Nachdem er bei seinem Herzensklub im Oktober 2019 als Chefcoach übernommen hatte, führte er die Bayern knapp ein halbes Jahr später zum historischen Sextuple – inklusive Champions-League-Triumph. Mit 70 Siegen in 86 Spielen und einer Siegquote von 81 Prozent ist Flick statistisch gesehen der beste Bayern-Trainer der Vereinsgeschichte. "Es war eine superschöne Zeit, die ich auch so in Erinnerung habe", sagte Flick. Aber jetzt habe er beim FC Barcelona ein neues Kapitel in seinem Leben aufgeschlagen.
Eberl sprach mit Flick über Bayern-Rückkehr
Durch die unrühmliche Episode ab Sommer 2021 als deutscher Nationaltrainer mit dem Vorrunden-Aus bei der WM 2022 und seiner Entlassung vor knapp einem Jahr hatte Flicks Image zuletzt etwas gelitten. Nicht aber bei Bayerns ehemaligem Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge. "Hansi ist ein sehr guter Trainer. Du gewinnst nicht sieben Titel in anderthalb Jahren, wenn du kein guter Trainer bist", sagte Rummenigge dem "Kicker".
In Barcelona hat Flick, mit dem Sportvorstand Max Eberl nach t-online-Informationen im Frühjahr auch ein konkretes Gespräch über eine mögliche Rückkehr nach München geführt hatte (mehr dazu lesen Sie hier), es fürs Erste geschafft, das erneut zu beweisen. Er ist auf dem besten Weg, den schlafenden Riesen Barça wieder wachzuküssen. Der Triumph gegen Bayern bestätigte das eindrucksvoll. Wie hat er das so schnell geschafft?
Flick küsst den schlafenden Riesen Barça wach
In der spanischen Liga führt Flick mit seinem Team die Tabelle momentan mit drei Punkten Vorsprung an. Barça ist die Mannschaft der Stunde und stiehlt seinem Erzrivalen Real damit die Show. Und das, obwohl Madrid sich im Sommer mit Kylian Mbappé als neue Attraktion im Team verstärkt hat. In den vergangenen sechs Ligaspielen gelangen dem Franzosen sechs Treffer. Auch für ihn ist es jetzt sein erster Clásico – und möglicherweise die perfekte Bühne für seinen ersten ganz großen Auftritt.
Flick hat den spätestens mit dem Triumph gegen Bayern bereits hinter sich. Bis hierhin hat er die Erwartungen ohnehin voll erfüllt. Ähnlich wie Kompany in München gewann der 59-Jährige die Gunst der Fans, Verantwortlichen und Spieler mit begeisterndem Offensivfußball schnell für sich. Mit bereits 33 Treffern schoss seine Mannschaft in Spanien die mit Abstand meisten Tore – und schon zwölf mehr als Real.
Viele Beobachter fühlen sich bereits an seinen berauschenden Start als Bayern-Trainer erinnert. Auf dem Weg zum Champions-League-Triumph räumte Flick mit den Münchnern im Viertelfinale damals übrigens auch den FC Barcelona aus dem Weg. Mit einem denkwürdigen 8:2-Sieg gab Flick sozusagen schon sein Bewerbungsschreiben bei Barça ab und brachte sich damit vor allem bei Präsident Joan Laporta nachhaltig in Erinnerung.
Barça-Präsident schrieb Flick persönlichen Brief
Der verriet kürzlich, dass er Flick eigentlich schon im Sommer 2021 als Trainer nach Spanien lotsen wollte. Weil der aber bereits beim DFB im Wort stand, klappte das nicht. Dafür nun aber drei Jahre später. Dass die Dimensionen des FC Barcelona als Weltklub diejenigen in München noch mal deutlich übertreffen, spürte Flick von Beginn an.
Genauso, wie die Verantwortlichen des Klubs diese verstehen und damit umgehen. Laporta bahnte den Deal an, indem er Flick einen handschriftlichen Brief schickte. Darin erläuterte der 62-Jährige ihm, was es bedeutet, Trainer des FC Barcelona zu sein, die Werte des Klubs und seine persönlichen Beweggründe, warum er ihn als Chefcoach wollte.
Flick war davon beeindruckt und überraschte Laporta umgekehrt damit, wie sehr er all das bereits verinnerlicht hatte. Kein Wunder, schließlich ist der FC Barcelona schon sehr lange einer seiner Traumklubs. "Für ihn gab es immer die drei Bs: Bammental, Bayern München, Barcelona", sagt jemand, der ihn seit vielen Jahren gut kennt, mit einem Augenzwinkern. Als Flick vor vielen Jahren noch sein Sportgeschäft in Bammental betrieb, wo er beim FC Victoria auch seine Trainerkarriere startete, bekam er mal eine Einladung vom FC Barcelona.
Flick erfüllt sich sein eigenes Versprechen
Im Rahmen einer Stadionbesichtigung blickte er damals im legendären Camp Nou auf die Zuschauerränge, auf denen das Klubmotto zu lesen ist: "Més que un club" – "Mehr als ein Klub". In diesem Moment machte er sich selbst das Versprechen, irgendwann mal als Cheftrainer dorthin zurückzukehren. Das hat er sich nun erfüllt, auch wenn er aufgrund von Umbaumaßnahmen im Camp Nou bislang ins Olympiastadion ausweichen musste.
"Ich bin hier total happy, ich mag die Menschen, ihre Leidenschaft, ihre Offenheit. Der Verein ist einfach grandios, es macht jeden Tag sehr viel Spaß, hier zu arbeiten", sagte Flick nun. "Das ist schön, aber auch eine Verpflichtung, alles zu geben."
Er wusste ganz genau, worauf er sich mit dem FC Barcelona einließ. Ihm war auch klar, dass der finanziell angeschlagene Klub auf dem Transfermarkt momentan keine großen Sprünge machen kann.
Laporta: "Flick hat verstanden, dass La Masia unser Schatz ist"
Also setzte er von Anfang an voll auf die zahlreichen Toptalente aus der renommierten Nachwuchsakademie La Masia, ließ teilweise bis zu 15 davon bei den Profis mittrainieren. Neben den beiden Europameistern Lamine Yamal (17) und Pedri (21) gehören Marc Casadó (21), Pau Cubarsí (17), Héctor Fort (17) oder Alejandro Balde (21) zu Flicks Stammelf. Das galt auch für Marc Bernal (17) bis zu seinem Kreuzbandriss. Nach der gleichen schweren Verletzung feierte Gavi (20) am Wochenende sein Comeback als Einwechselspieler.
5. Runde
Dienstag, 26.11.
Laporta gefällt Flicks Jugendstil. "Ich bin mehr als zufrieden, denn Flick hat verstanden, dass La Masia unser Schatz ist", sagte er schon Anfang September der Sportzeitung "Mundo Deportivo". "La Masia hat viele Spieler, aber er war mutig genug, sie in die erste Mannschaft zu holen."
Heynckes schwärmt von Flick: "Ein Kümmerer"
Flicks insgesamt positives Wirken ist auch Jupp Heynckes nicht entgangen. Von seinen spanischen Kontaktleuten habe er erfahren, "dass sich Hansi durch seine Art und sein Auftreten großen Respekt verschafft hat", sagte der frühere Erfolgstrainer von Real Madrid und dem FC Bayern dem "Kicker". Spanische Profis möchten "mitgenommen und unterstützt" werden, meinte der 79-Jährige, "Hansi kann das: Er ist zurückhaltend und empathisch. Hansi ist ein Kümmerer, er sucht die Kommunikation."
Die läuft hauptsächlich auf Englisch ab, auch wenn Flick weiter Spanisch lernt und viel auch schon versteht. Außerdem seien seine Spieler "richtig fit", stellte Heynckes fest. Der 36 Jahre alte Robert Lewandowski stehe dafür als Paradebeispiel. Unter Flicks Vorgänger Xavi war die Fitness noch ein großes Manko gewesen. Mithilfe von Athletiktrainer Julio Tous macht Flick den Stars jetzt Beine.
Das hat Flick bei Barcelona verändert
Unter ihm haben sich auch viele andere Dinge geändert. Vor den Heimspielen beordert er die Profis jetzt ins Tageshotel. Dort findet ein gemeinsames Mittagessen statt. Die Mannschaft reist anschließend geschlossen und bereits in Trainingsanzügen ins Stadion an. Zuvor geschah das noch einzeln, und die Ankunft der Stars in ihren teilweise extravaganten Outfits glich einer Modenschau. Flick greift auch disziplinarisch durch. Im Klub wird deshalb schon anerkennend von deutscher Mentalität gesprochen. Weil Jules Koundé einmal zu spät zum Treffpunkt erschien, strich Flick ihn aus dem Kader.
Die Abläufe sind jetzt professionellere. Flick hat die Zügel etwas angezogen, ohne dabei als strenger Lehrer aufzutreten. Mit seiner konsequenten Art kommt er bei den Spielern trotzdem gut an und hat – ähnlich wie damals bei Bayern – bereits zu vielen einen guten persönlichen Draht aufgebaut. Speziell Raphinha (27) sei, wie Heynckes beobachtet hat, unter Flick förmlich "aufgeblüht" und setze "nun konstant gut um, was er früher angedeutet hat".
Von "Tiki-Taka" zu "Flicki-Flaka"-Fußball
Den Brasilianer, der im Sommer noch als Abschiedskandidat galt, machte Flick zum Kapitän. In dreizehn Spielen gelangen Raphinha nun bereits neun Tore und acht Assists. Mit seinem Dreierpack war er auch gegen Bayern der überragende Mann auf dem Platz. Lewandowski funktionierte schon in München nahezu perfekt als Mittelstürmer in Flicks Offensivsystem. In dreizehn Pflichtspielen in Flicks Amtszeit bei Barça erzielte er nun ebenfalls bereits 15 Tore und lieferte zwei Vorlagen. Auch gegen Bayern gelang ihm sein erster Treffer, nachdem er bei den beiden Duellen vor zwei Jahren in der Gruppenphase der Königsklasse noch ohne Treffer geblieben war.
Schon jetzt werden Vergleiche zwischen Flicks Sturm-Trio um Lewandowski, Wunderkind Yamal (4 Tore und 6 Vorlagen in 10 Spielen) und Raphinha mit dem legendären Dreigestirn Lionel Messi, Neymar und Luis Suárez gezogen. Dahinter wirbelt auch noch der ehemalige Leipziger Dani Olmo (3 Tore in 3 Spielen), der nach einer Muskelverletzung rechtzeitig vor dem Duell mit Bayern nun ebenfalls wieder fit ist.
Seit Wochen überschlägt sich Spaniens Sportpresse mit Lobeshymnen auf die "Flick-Methode". In Anspielung auf das einst von Messi und Co. unter Pep Guardiola geprägte "Tiki-Taka"-Kurzpassspiel ist jetzt schon von "Flicki-Flaka"-Fußball die Rede. Wohin all das führen kann, hat Flick in München schon einmal erlebt.
- Eigene Recherche und Hintergrundgespräche
- Aussagen von Hansi Flick bei der Abschlusspressekonferenz in Barcelona
- Aussagen von Jupp Heynckes im Kicker (21.10.)
- transfermarkt.de: Leistungsdaten des FC Barcelona
- barcawelt.de: "Brachte mich zum Umdenken": Laporta erklärt Xavi-Aus – Flick "weiß, worauf er sich einlässt"