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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampfansage "Kann doch nicht sein, dass Männer darüber entscheiden"
Bei der Fußball-WM der Frauen fielen die Rekorde. Das Spiel wird wohl nach diesem Turnier nicht mehr dasselbe sein. Doch ein Problem könnten die Männer sein.
Aus Brisbane berichtet Christoph Cöln.
Als der Schlusspfiff bei dieser Weltmeisterschaft ertönte, fielen die "Matildas" auf den Rasen. Enttäuschte Gesichter, leere Blicke. Australiens Spielerinnen hatten das Spiel um Platz drei verloren. Noch lange nach Spielende rangen die meisten von ihnen nach Worten. Nur eine Spielerin wirkte erstaunlich aufgeräumt: Clare Polkinghorne.
"Die vergangenen vier Wochen waren unglaublich, was wir als Team erreicht haben, ist außergewöhnlich, und zwar auf wie auch neben dem Platz", sagte die 34-jährige Abwehrspielerin. Sie wusste um die historische Bedeutung dieser WM. Die Fußballerinnen hatten den Männern in vielerlei Hinsicht den Rang abgelaufen. "Wir haben hoffentlich eine Menge Leute inspiriert und sie stolz gemacht."
Polkinghorne ist die Veteranin bei den "Matildas". Seit 2006 spielt sie für das Nationalteam, hat alles erlebt, den Aufstieg der australischen Fußballfrauen aus der Bedeutungslosigkeit, den Kampf um Anerkennung, den Vertrag mit dem australischen Fußballverband, der 2019 gleiche Bezahlung von männlichen und weiblichen Nationalspielern festschrieb. Und nun den spektakulären Himmelsturm ihres Teams bei der WM im eigenen Land. Trotz anfänglicher Skepsis.
Nicht mal die Taxifahrerin wusste, was Sache ist
"Was rund um die Spiele abging, hätten wir uns vor dem Turnier niemals vorstellen können", sprach Polkinghorne in die Reportermikrofone. "Den Einfluss, den wir auf die Fans hatten und auf die Menschen, die jetzt erst zu Fans geworden sind. Das war weit mehr, als wir uns jemals erträumt hatten."
Während Australiens Fußballfrauen zumindest bis zum Halbfinale vom WM-Titel träumten, musste der große Rest des Landes erst aus dem Dornröschenschlaf gerissen werden. Denn darin hatte sich der Fußball auf dem fünften Kontinent bislang weitgehend befunden, auch der Frauenfußball. Australien liebt Rugby, Australian Rules Football, Cricket, Basketball, Netball. Hätten diese weitgehend von Männern dominierten Sportarten eine WM Down Under ausgetragen, wäre die Begeisterung vermutlich von Anfang an enorm gewesen.
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Zu Beginn des Frauenfußball-Turniers hingegen hatten die wenigsten Australier auf dem Schirm, was da überhaupt abging. Nicht mal die Taxifahrer, sonst eigentlich die härteste Währung für alles, was gerade angesagt ist, hatten einen Plan. ("In welcher Rugbyliga spielen die 'Matildas' noch gleich?", fragte eine von ihnen.) Auch die großen Zeitungen überschlugen sich nicht gerade mit publizistischer Vorfreude auf das Weltturnier der Frauen, für das der australische Fußballverband lange und gegen große Vorbehalte gekämpft hatte.
Der englische Verband hat sich inzwischen entschuldigt
Vier Wochen später ist alles anders. Rekord-Einschaltquoten im Fernsehen, Rekordzahlen bei den Zuschauern in den Stadien, Rekord-Neuanmeldungen in den Fußballklubs, und selbst die sonst so notorisch verstopften Straßen waren bei den K.-o.-Spielen der "Matildas" verdächtig leer. Auch in anderen Ländern brach das Turnier Quotenrekorde. Frauenfußball, plötzlich ein Straßenfeger?
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"Ja", sagt Autorin Fiona Crawford. "Es ist verrückt. Wir wussten, dass dieser Erfolg möglich sein könnte. Aber dann zu sehen, wie es wirklich passiert, das ist irgendwie surreal." Crawford begleitet die "Matildas" seit mehr als einem Jahrzehnt. "Ich war mir sicher, dass sich das Land hinter dem Team vereinen würde. Aber das Ganze hat dann Ausmaße angenommen, die ich immer noch nicht ganz begreifen kann."
Die Sozial- und Sportwissenschaftlerin hat zwei Bücher über den langen Kampf der Frauen in der Männerdomäne Fußball geschrieben. Über die Widrigkeiten, die die Ur-"Matildas" im vergangenen Jahrhundert ertragen mussten, den Spott über die vermeintliche Unzulänglichkeit ihres Tuns. Das zeitweilige Platzverbot durch den damals noch maßgeblichen englischen Fußballverband (FA), das einem Bann gleichkam. Die Begründung dafür, dass Frauen nicht auf den Plätzen der Männer spielen sollten: "Das Fußballspiel ist in jeder Hinsicht ungeeignet für Frauen und sollte daher nicht unterstützt werden".
Fiona Crawford
Die Autorin, Redakteurin und Wissenschaftlerin beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit sozialen Fragen und Umweltproblemen ebenso wie mit Kunst und Fußball. Sie schreibt für große australische und europäische Zeitungen und lehrt an der Universität Queensland am dortigen Technology's Centre for Justice. Ihre beiden Bücher über Frauenfußball tragen die Titel Never Say Die: The Hundred-Year Overnight Success of Australian Women's Football und The Matilda Effect.
Die FA hat sich längst für die jahrzehntelange Diskriminierung der Fußballerinnen in Australien entschuldigt. Wie es die Geschichte wollte, stand Englands Nationalteam am Sonntag in Sydney im Finale, verlor dort aber mit 0:1 gegen Spanien.
Kaum um die WM-Organisation geschert
Im Endspiel hätten die "Matildas" auch gerne gestanden. Doch auch ohne den finalen Triumph markierte ihr Erfolg, wie auch der vieler anderer kleinerer Fußballnationen bei diesem Turnier, einen gründlichen Wandel im Weltfußball der Frauen. Während Favoriten wie Deutschland, Kanada, Brasilien oder die USA vorzeitig rausflogen, zeigten Newcomer wie Jamaika, Kolumbien oder Nigeria, welches Potenzial in dem Sport steckt.
Wie nachhaltig diese Erfolge bei der WM sind, wird sich erst noch zeigen. Vieles wird davon abhängen, ob der Frauenfußball sich nicht nur auf dem Platz, sondern auch in den Verbänden wandelt.
"Afrikas Fußball ist im Aufwind, er wächst unaufhörlich", sagte Nigerias Stürmerin Ifeoma Onumonu im Gespräch mit t-online. "Unser Problem ist die fehlende Sichtbarkeit. Wir bekommen ja nicht die Unterstützung wie Teams in Europa, deswegen unterschätzen uns die Leute. Niemand hat vor dieser WM an uns geglaubt, außer wir selbst. Und jetzt, nun ja, werden einige Leute wohl endlich anfangen, an uns zu glauben."
Onumonus Kritik zielte auch auf den eigenen Fußballverband (NFF). Der hatte seinen Nationalspielerinnen ebenso wie dem Trainer in der Vergangenheit offenbar immer wieder die Gehaltszahlungen verweigert, soll sich kaum um die WM-Organisation geschert haben und wollte den Spielerinnen sogar die Prämien vorenthalten.
Ähnliches galt für Jamaikas "Reggae Girlz". Erst eine Crowdfundingkampagne hatte ihnen die Reise zur WM ermöglicht. Vom Verband gab es hingegen wenig Unterstützung. Völlig überraschend zog Jamaika dann in die Runde der letzten 16 ein und warf dabei Brasilien mit Weltstar Marta aus dem Turnier. Trotz aller Schwierigkeiten.
Die Hindernisse für die Fußballerinnen sind nach wie vor groß. Zurück in der Heimat werden viele Teams auf die gleichen Probleme treffen wie zuvor. Und die haben offenbar auch mit der Dominanz der Männer in den entscheidenden Positionen des Sports zu tun.
Diese WM könnte eine Zäsur bedeuten
"Frauenfußball ist nicht nur eine kleinere Version des Männerfußballs", sagt Autorin Crawford. "Die Atmosphäre, das Publikum, das Spiel an sich, die Interaktion mit den Fans, alles ist anders." Tatsächlich war die Stimmung bei diesem Turnier nach Meinung vieler Beobachter so ausgelassen und friedlich, so familiär und unaufgeregt, wie es bei einer Männer-WM kaum denkbar wäre.
"Es kann doch nicht sein, dass fast immer nur Männer darüber entscheiden, wie das mit dem Fußball zu laufen hat", meint Crawford. "Die Männer meinen das ja nicht böse, sie sind nicht gegen Frauenfußball, aber sie kennen sich mit dem Spiel der Frauen zu wenig aus", gibt sie zu bedenken. "Und dann treffen sie eben Entscheidungen, die vielleicht für den Männerfußball funktionieren, aber Frauenfußball ist nun mal ein komplett anderes Produkt."
"Ich glaube, dass bei diesem Turnier der Grundstein für eine große Zukunft des Frauenfußballs gelegt worden ist", sagt die Schwedin Magdalena Eriksson im Gespräch mit t-online. "Die ganze Welt hat dieses Turnier gefeiert, es war so viel Gutes zu spüren, so viel Freude bei den Menschen. Und das ist doch das Entscheidende: Frauenfußball ist nicht aggressiv, es gibt hier keinen Hass, einfach nur Freude."
Fußball ist also keine Männerdomäne mehr? "Nein, es ist kein Spiel, das Männer exklusiv haben. Fußball ist für jeden. Und jeder ist willkommen", sagt Erkisson.
Diese WM könnte also in vielerlei Hinsicht eine Zäsur einläuten. Sportlich haben sich die Machtverhältnisse im Weltfußball der Frauen bereits verschoben, auf dem Platz begehren die kleinen Teams auf, die Nationen des sogenannten Globalen Südens. Auf den Tribünen merken die Zuschauer, dass es auch ohne Krawall und Hassgesänge geht. Und in den Verbandszentralen beginnt vielleicht bei dem ein oder anderen Funktionär das Umdenken. Denn die Fußballerinnen wollen sich nicht länger von anderen vorschreiben lassen, wo ihre Grenzen sind.
Oder, wie es Nigerias Abwehrspielerin Rofiat Imuran formulierte: "Den jungen Mädchen da draußen, die gerne Fußball spielen wollen, sage ich nur eins: Folgt euren Träumen. Lasst euch von niemandem unterkriegen. Arbeitet hart. Und nehmt euch, was euch zusteht!"
- Eigene Beobachtungen bei den Spielen der WM
- Gespräche mit den Spielerinnen in der Mixed Zone
- Interview mit Fiona Crawford
- Interview mit Magdalena Eriksson, Rofiat Imuram und Ifeona Onumuno
- theguardian.com: "Normal Wednesday is cancelled: Australia clears the decks to watch Matildas semi-final" (englisch)
- espn.com. "Nigeria in pay dispute with FA after World Cup exit - FIFPro" (englisch)
- footballaustralia.com: "History of the Matildas" (englisch)
- abc.net.au: "Out of the shadows: How women’s football flourished after 50 years of darkness" (englisch)
- sbs.com.au. "How crowdfunding and Bob Marley's daughter helped get Jamaica to the Women's World Cup" (englisch)
- forbes.com: "The Women's World Cup Was TV's Most-Watched Show Amid Record-Breaking Viewership" (englisch)