Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Folgen des WM-Aus Ein herber Rückschlag
Das WM-Aus der DFB-Frauen kommt einer Katastrophe gleich. Der Frauenfußball in Deutschland droht, seine jüngst gewonnene Attraktivität einzubüßen.
Der Super-Gau ist eingetreten: Die DFB-Frauen müssen nach einem 1:1 gegen Südkorea bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland bereits nach der Vorrunde die Segel streichen. Es ist das erste Aus für ein deutsches Team in der Gruppenphase des Wettbewerbs.
Das Drama um die Elf von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ist für den DFB eine Katastrophe. Doch nicht nur der Verband wird an dem frühen Ausscheiden zu knapsen haben. Denn der große Verlierer des schlimmsten WM-Szenarios ist der Frauenfußball in Deutschland.
DFB-Frauen in England: EM-Finale 2022 mit Rekordquote
Rund ein Jahr ist es her, da begeisterten die DFB-Frauen eine ganze Republik. Bei der Europameisterschaft in England stieß das Team bis ins Finale vor und scheiterte am Ende unglücklich an den Gastgeberinnen. Dennoch: Während die Spielerinnen auf der Insel ihr Herz in jeder Partie auf dem Platz ließen, schwappte die Euphoriewelle auch nach Deutschland herüber.
Das Endspiel im altehrwürdigen Wembley Stadium sahen vor Ort mehr als 87.000 Fußballbegeisterte. In Deutschland schalteten rund 18 Millionen Fans ihre Fernsehgeräte ein, um das Team nach vorne zu peitschen. Die ARD vermeldete einen Quotenrekord. Noch nie hatten so viele Menschen in der Republik bei einem Spiel der Frauen eingeschaltet.
EM-Boom sorgte für volle Stadien
Die Niederlage im Finale war zwar bitter für die DFB-Frauen, doch der Turnierverlauf hatte für ein Interesse am Frauenfußball gesorgt, wie es zuvor wohl noch nie aufgetreten war. Der Sport rückte endlich in den Fokus. Die Dokumentation "Born for this – Mehr als Fußball", die das Team rund um das Turnier in England porträtiert, brachte zusätzliche Aufmerksamkeit. Der Frauenfußball in Deutschland bekam mehr und mehr sein verdientes Gesicht.
Auch in der Folge blieb der Frauenfußball in Deutschland am Drücker und nutze die Chance, die ihm die EM ermöglicht hatte. Der Hype um das Nationalteam spiegelte sich im Anschluss an das Turnier vor allem in der Bundesliga wider. Wo die Frauenteams zuvor noch vor ein paar Hundert Schaulustigen gespielt hatten, füllten sich plötzlich die Arenen.
- Nach WM-Desaster: Sie könnten den DFB retten
Die Eröffnungspartie der Saison zwischen Eintracht Frankfurt und Bayern München erzielte mit 23.200 Fans im Deutsche Bank Park eine erste Rekordkulisse für ein Spiel der Frauen-Bundesliga. Weitere Meilensteine folgten im Verlauf der restlichen Saison. Zur Partie zwischen Köln und Frankfurt kamen im April gar über 38.000 Zuschauer. Das Pokalfinale im Mai fand derweil sogar vor über 44.000 Fans statt – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.
Die ganze Frauen-Bundesliga profitierte
"Es ist schon so, dass man erkannt wird, man wird mehr und mehr angesprochen. Meiner Wahrnehmung nach ist schon ein Umdenkprozess eingeleitet", sagte zuletzt Friederike Repohl. Sie ist Torhüterin bei Bayer Leverkusen, einem Klub, der zwar bei den Männern durchaus erfolgreich ist, bei den Frauen aber noch keine große Rolle spielt.
Das heißt: Nicht nur in der Spitze der Frauen-Bundesliga sorgte die neue Euphorie für ein gesteigertes Interesse. Die gesamte Liga und all ihre Akteurinnen profitieren. Was lange übersehen wurde, wusste die deutsche Fußballwelt nun endlich zu zelebrieren.
Ausscheiden könnte auch finanziell ein Problem werden
"Es ist unser Ziel, diese Sichtbarkeit weiter hochzuhalten", hatte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bereits im Oktober vergangenen Jahres verlauten lassen. Was lange gelang, dürfte durch das frühe WM-Aus nun aber einen herben Dämpfer kassiert haben.
Das Nationalteam galt bei den Frauen immer als Vorzeigeobjekt. Zweimal Weltmeister, achtmal Europameister, zuletzt das begeisternde Turnier in England. Doch genauso wie der EM-Hype den Frauenfußball im vergangenen Jahr auf die Landkarte spülte, könnte die jetzige Situation dazu führen, dass die Entwicklung stagniert.
Weniger Fans in den Stadien wären eine erste Folge, schlechtere TV-Quoten ein weitere. Das wäre auch finanziell eine Enttäuschung für den Frauenfußball, der in letzter Zeit auch für Investoren und Werbepartner durch den neuen Hype immer mehr Potenzial bot. Insbesondere in Richtung Gleichberechtigung zwischen Männer- und Frauenfußball eine entscheidende Komponente.
Torpediert das WM-Aus die Entwicklung des Frauenfußballs?
Joti Chatzialexiou, Leiter der Nationalmannschaften beim DFB, sprach nach dem Ausscheiden gegenüber t-online von einem "Rückschlag für den Frauenfußball". Weiter sagte er: "Wir haben eine große Chance verpasst, für die neuen Generationen Vorbilder zu schaffen durch einen Erfolg hier bei diesem Turnier. Der ist jetzt leider nicht da." Der Frauenfußball hätte sich also nachhaltig ins kollektive Gedächtnis der Jugend rufen und damit neue Generationen prägen können – die Möglichkeit blieb ungenutzt.
Zudem hätte sich Chatzialexiou gewünscht, das Momentum für den deutschen Fußball besser zu nutzen. Dass dieses gerade bei den Frauen bis zuletzt anhielt, zeigte die Niederlage im zweiten Gruppenspiel gegen Kolumbien. Über 10 Millionen Menschen schalteten ein. Als die Männer im Juni gegen denselben Gegner spielten, wollten nur 6 Millionen Zuschauer die Partie im TV mitverfolgen.
Nach dem Ausscheiden der DFB-Frauen bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland steht der deutsche Frauenfußball also vor der Frage, ob der Misserfolg die positive Entwicklung aus dem vergangenen Jahr zumindest in Teilen torpediert. Es wäre unfassbar schade drum. Ganz auszuschließen ist dieses Szenario aber nicht.
- Eigene Recherche
- t-online: Tonaufnahme von Joti Chatzialexiou vor Ort
- tagesschau.de: "Warten auf den großen Kick"
- zdf.de: "DFB-Frauen wollen die EM-Welle reiten"
- sportschau.de: "Fußball-EM endet mit deutschem TV-Zuschauerrekord"