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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ungewöhnlicher Schritt Für sein Land verzichtet er auf ein Vermögen
Er gilt als Menschenfänger. Trainer Hervé Renard soll die Probleme der französischen Elf lösen. Ein harter Job. Für den er sogar auf sehr viel Geld verzichtete.
Aus Brisbane berichtet Christoph Cöln
Hervé Renards Geschichte als Trainer seines Heimatlands beginnt mit einer waschechten Meuterei. Es war im Februar 2023, da erklärte Frankreichs Starspielerin Wendie Renard plötzlich, nicht an der Weltmeisterschaft teilnehmen zu wollen. Sie wolle das "bestehende System nicht länger mittragen", sagte sie. Gemeint war das "System", das Trainerin Corinne Diacre etabliert hatte.
Wie Renard, die nicht verwandt ist mit dem Trainer Hervé Renard, erklärten zwei weitere Spielerinnen, lieber auf die WM zu verzichten, als unter der umstrittenen Diacre nach Australien und Neuseeland fahren zu wollen.
Der französische Verband (FFF) wurde von dem Aufstand kalt erwischt. Die Gremien berieten sich, dann erfolgte Anfang März tatsächlich Diacres Rauswurf. Der Trainerin sollen ihr autoritärer Führungsstil und zweifelhafte Trainingsmethoden zum Verhängnis geworden sein. Das Team war zerstritten. Der Verband soll die Missstände gekannt haben, ignorierte aber offenbar die Probleme.
Nun stand die FFF vier Monate vor dem Beginn der WM ohne Coach da. Hervé Renard witterte seine Chance. Über Mittelsmänner ließ er sich beim Verband ins Gespräch bringen, wie das Sportfachmagazin "The Athletic" berichtet. Eigentlich liebäugelten die Verantwortlichen der FFF mit einem großen Namen: Thierry Henry. Doch der frühere Weltstar, der bislang vor allem als Co-Trainer agiert hatte, sagte ab. Er fühle sich noch nicht reif für den Job.
"Diese Emotionen kannst du nicht kaufen"
Hervé Renard dagegen schon. Er wollte das prestigeträchtige Amt so sehr, dass er dafür seinen bisherigen Job aufgab, und damit ein Vermögen. Er kündigte seinen Job in Saudi-Arabien. Als Trainer der dortigen Herrenauswahl hatte Renard gerade erst Geschichte geschrieben: Sein Team besiegte bei der WM in Katar den späteren Sieger Argentinien. Eine Sensation, die Fachwelt staunte, das autoritäre Königshaus frohlockte. Und Renard? Kehrte den Scheichs den Rücken.
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"Du kannst der reichste Mensch des Planeten sein, aber diese Emotionen, die kannst Du nicht kaufen", sagte er "L'Equipe". Er meinte die Emotionen, einen Titel zu gewinnen.
Titel wären mit dem Engagement in der Wüste nur mit dem Fernglas zu sehen gewesen. In Riad winkten höchstens Achtungserfolge, zudem in Diensten eines Regimes, das sich sehr viel um ein sauberes Image und sehr wenig um Menschenrechte schert. Der Sprung auf den Chefsessel des französischen Frauenteams versprach dagegen ein gutes Renommee und bessere Chancen auf Silberware.
Dafür verzichtete Renard auf ein kolossales Gehalt, denn den Erdöl-finanzierten Job im Scharia-Staat ließ er sich fürstlich vergüten. Kolportiert wird eine Jahresgage von 1,5 Millionen Euro Grundgehalt plus umfangreiche Boni. Insgesamt soll der vierjährige Kontrakt bei den Saudis einen Wert im zweistelligen Millionenbereich gehabt haben. Dagegen nimmt sich sein aktuelles Salär beim französischen Verband fast schon bescheiden aus. 400.000 Euro Jahresgage sind es.
Der Verband hat konkrete Ziele ausgerufen
Renard selbst sagte zu den Gehaltseinbußen: "Wenn wir von dem Betrag nach Steuern sprechen, ist es zwanzigmal weniger als vorher. Aber ich habe nicht gezögert. Geld ist zwar wichtig, aber nicht das Entscheidende, wenn es darum geht, sich im Fußball weiterzuentwickeln."
Renards Arbeitspapier bei der Equipe Tricolore läuft zudem nur bis 2024, im kommenden Jahr richtet sein Heimatland die Olympischen Spiele aus. Der 54-Jährige steht also unter Druck. Nicht nur, weil Frankreich im ersten Gruppenspiel der WM gegen Außenseiter Jamaica nicht über ein 1:1 hinauskam. Als großes Ziel hatte der Verband das Erreichen des Halbfinales bei der WM und die Qualifikation für die Olympischen Spiele ausgerufen. Aber natürlich hoffen sie in Frankreich auf mehr.
Auf Vereinsebene dominiert der französische Fußball. International ging er bisher immer leer aus. Achtmal gewannen die Frauen von Olympique Lyon in der vergangenen Dekade die Champions League. Das beste Ergebnis der Nationalelf war hingegen ein vierter Platz bei der WM 2011 in Deutschland. Das soll sich unter Renard ändern, auch wenn die Vorzeichen derzeit nicht die besten sind. Er muss das Team neu aufbauen, den Verband reformieren und mit zahlreichen verletzten Spielern umgehen. Zuletzt traf es Superstar Renard. "Mir wurde die Hölle versprochen", sagte er der französischen Sportzeitung "L’Equipe". "Also gut, dann lasst uns dahin."
Als coachender Wandervogel durch Afrika
Renard gilt als guter Kommunikator. Bei der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Brasilien in Brisbane gibt er sich charmant, beantwortet geduldig alle Fragen der Reporter. Kampfansagen vermeidet er. Der 54-Jährige gewährt nur kurz Einblick in die Schwierigkeit seiner Mission. "Der Erfolg kommt nicht von allein, du musst ihn erzwingen, und das werden wir tun."
Renards eigene Karriere als Fußballer verlief unspektakulär. Er spielte fast ein Jahrzehnt für den unterklassigen AS Cannes, meist lief er für deren B-Mannschaft auf. Danach verdingte er sich bei Amateurklubs. Erst als Trainer schaffte er es auf die internationale Bühne, zog als coachender Wandervogel durch Afrika. Sambia, Angola, Elfenbeinküste, Marokko. Auf dem Kontinent erzielte er beachtliche Erfolge, wurde mit Sambia 2012 überraschend Afrikameister und wiederholte dieses Kunststück mit der Elfenbeinküste drei Jahre später.
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Renard gilt als Menschenfänger und Motivator, er schätzt klare Hierarchien, wird auch schon mal laut, geht aber in 1:1-Gesprächen auf seine Spielerinnen ein und versucht zu verstehen. Damit stellt er den Gegenentwurf zu seiner Vorgängerin dar. Corinne Diacre soll Teile der Mannschaft auch deshalb gegen sich aufgebracht haben, weil sie einsame Entscheidungen traf, wenig sprach und das Team in widerstreitende Fraktionen zerfallen ließ.
"Wir sprechen über Frauenfußball – und der ist sehr erfolgreich"
"Bei ihm dreht sich alles um Solidarität, um das Miteinander", sagte Mittelfeldspielerin Amel Majiri gegenüber "fifa.com". "Er erinnert uns ständig daran, dass egal, was wir tun, wir nichts ohne unsere Mitspielerinnen erreichen werden. Teamgeist ist sein Credo."
Renard hatte nicht viel Zeit. Gerade einmal vier Monate und wenige Testspiele blieben ihm für die Vorbereitung auf die WM. Doch in dieser kurzen Zeit hat er "das System", an dem einige Spielerinnen zuvor verzweifelt waren, umgekrempelt. Bis auf den Torwarttrainer hat er sich von den alten Mitarbeitern getrennt, er hat neue Spielerinnen integriert und die Abläufe auf den Prüfstand gestellt. Es wird jetzt härter trainiert, aber auch mehr gelacht, berichtet etwa Kenza Dali dem "The Athletic".
Und so wirkt Hervé Renard selbst am Tag vor dem wichtigen zweiten Gruppenspiel gegen Brasilien ausgesprochen gelöst, spricht bei der Pressekonferenz über die großen Momente des französischen Fußballs. "Die beste Erinnerung eines jeden französischen Fußballfans ist die des Finales 1998", schwärmt er. "Aber heute sprechen wir über etwas anderes, wir sprechen über Frauenfußball – und der ist sehr erfolgreich."
Das gilt für den Frauenfußball generell. Und für den französischen Frauenfußball im Besonderen. Jedenfalls, wenn es nach Hervé Renard geht.
- theathletic.com: "Herve Renard offers France a fresh start after Corinne Diacre’s ugly demise" (englisch, kostenpflichtig)
- lemonde.fr: "French women's football team coach Corinne Diacre fired" (englisch)
- sportspayouts.com: "Herve Renard Contract with France Women’s Teams Until 2024" (englisch)
- fifa.com: "Majri talks motherhood, Renard and World Cup hopes (englisch)
- lemonde.fr. "Saudi Arabia football coach Hervé Renard expected to take over French women's team" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und Reuters.
- Pressekonferenzen von Frankreich und Brasilien in Brisbane
- Eigene Beobachtung