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Zum Chelsea-Spiel: Der Fußballgott schuldet Eintracht Frankfurt viel Europa


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Zum Chelsea-Spiel
Der Fußballgott schuldet der Eintracht viel Europa

  • Lars Wienand
MeinungVon Eintracht-Fan Lars Wienand

Aktualisiert am 02.05.2019Lesedauer: 8 Min.
Im Herzen von Europa, Europa im Herzen: Alle Heimspiele der Eintracht in der Euro League sind ausverkauft, zu den Spielen in der Fremde reisten die Fans in Rekordstärken an. t-online.de-Redakteur und Eintracht-Fan Lars Wienand erklärt den Frankfurter Hunger auf europäische Spiele.Vergrößern des Bildes
Im Herzen von Europa, Europa im Herzen: Alle Heimspiele der Eintracht in der Euro League sind ausverkauft, zu den Spielen in der Fremde reisten die Fans in Rekordstärken an. t-online.de-Redakteur und Eintracht-Fan Lars Wienand erklärt den Frankfurter Hunger auf europäische Spiele. (Quelle: imago-images-bilder)

"Und wir werden Deutscher Meister", hat t-online.de-Redakteur Lars Wienand selbst in der Zweiten Liga mitgesungen. Jetzt hat sein Verein Eintracht Frankfurt nach dem 1:1 gegen Chelsea noch Chancen aufs Finale – und er schreibt dem Fußballgott: Danke, aber es war fällig.

Es ist die 88. Minute, als Oka Nikolov den aus 60 Metern als Flanke geschlagenen Ball ins Tor rollen lässt: 2:3, der Endstand im Waldstadion. Auf dem Heimweg im ungemütlichen März-Regen trumpfen dann Fans von Eintracht Trier auf: Ihr Klub sei die wahre Eintracht.

Ich werde mich an diese Prüfung erinnern, an dieses Spiel zum Vergessen von 2003, wenn ich nach dem 1:1 in Frnakfurt durch die Tore zum Londoner Stadion Stamford Bridge gehe. Mit Eintracht Frankfurt im Halbfinale in der Europa League beim FC Chelsea: Was der Fußballgott uns jetzt beschert hat, fühlt sich noch nicht real an. Aber richtig.

In diesem Text geht es um Momente, wie sie Fans fast aller Vereine kennen und um manche, die vielleicht doch Eintracht-speziell sind. Es geht um Zitterpartien, um viele enttäuschte Hoffnungen und um großen Jubel, wenn das Schlimmste abgewendet ist. Und darum, wie Enttäuschungen auch Demut lehren und dazu führen, Erfolge richtig auszukosten.

Dass da auf dem Spielplan fürs Halbfinale neben Arsenal, Valencia und Chelsea auch die Eintracht steht, ist der Beweis, dass Träume im Fußball eben doch manchmal wahr werden, so absurd sie auch erscheinen. Und absurd, das waren sie bei meiner Eintracht, dem Verein mit den 70.000 Mitgliedern und den vier Abstiegen.

Wenn es tatsächlich mal etwas besser lief in den vergangenen Jahren, dann kam der damalige Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen: "Visionen haben im Fußball nur diejenigen, die keine Informationen haben". So impfte er es uns Fans über 13 Jahre lang ein. Graue Maus sein – "unter den gegebenen Umständen ein außerordentlicher Erfolg". Heribert Bruchhagen glaubt nicht an den Fußballgott.

Wir Frankfurt-Fans wissen es jetzt besser: Wer sich den Glauben daran bewahrt, dass es auch wieder andere Zeiten geben kann, der kann sich vielleicht irgendwann im Halbfinale der Europa League beim Gesang "Europacup – in diesem Jahr" kneifen. Das kontinentale Frankfurter Abenteuer sollte auch Fans anderer Vereine Mut machen.

2002 standen wir vor dem Aus

Alle Hoffnung ist eigentlich im Sommer 2002 dahin: In der Kommunalpolitik in Frankfurt überlegen sie damals ernsthaft, vielleicht auf einen anderen Verein zu setzen. Frankfurts wichtigster Spieler wird der Anwalt Christoph Schickhardt. Vor dem Endspiel im neutralen Schiedsgericht der DFL geht er in die Offensive: "Bei der Eintracht stimmte zwar in der langen Vereinsgeschichte immer etwas nicht", sagt er Reportern, "aber diesmal kann das Schiedsgericht nur auf Lizenzerteilung entscheiden." Es ist die letzte Chance, zumindest weiter in der – schlimm genug – zweiten Liga zu spielen. Auch daran werde ich noch mal denken, bevor das Halbfinale gegen Chelsea angepfiffen wird.

Die Starterlaubnis hatte die DFL der Eintracht nicht erteilt, weil sie die Gültigkeit einer Millionenbürgschaft anzweifelte. Das "Kicker"-Saisonheft mit dem Spielplan ist schon gedruckt, Frankfurt ist am Saisonbeginn zu Gast bei der zweiten Mannschaft des 1. FC Kaiserslautern – in der Regionalliga Süd. Wenn die Eintracht dafür die Bedingungen erfüllt. Ansonsten Oberliga Hessen.

Doch die Eintracht bekommt die Lizenz. Natürlich, sagen wir Eintracht-Fans. Wir wussten ja vorher, dass es ein Komplott der DFL gewesen sein muss, die unsere Eintracht raus haben will, und dass ein neutrales Schiedsgericht das aufheben wird.

Viele Fans anderer Vereine schäumen, der Urteilsspruch ist für sie letzter Beweis, dass die DFL mit Sitz in Frankfurt die Frankfurter Eintracht bei allem deckt. Die Frankfurter sind jetzt die Lizenzbetrüger und die "DFL-Lieblinge". Ich weiß nicht, was demütigender war. Das – oder der Jubel im Eintracht-Forum: "Nie mehr unter Haching." Unterhaching war abgestiegen und wäre bei einem Lizenzentzug in der Liga geblieben.

Lesewarnung: Hier kommt Rostock 1992

"Spiegel online" nennt die Lizenzentscheidung für Frankfurt den "größten Erfolg in der 103-jährigen Vereinsgeschichte". Das ist böse. Die Eintracht hat 1980 den Uefa-Cup gewonnen, 1960 stand sie im "besten Finale aller Zeiten" im Wettbewerb der Landesmeister (und verlor 3:7 gegen Real Madrid). Sie war 1959 Meister und wäre es 1992 ganz bestimmt geworden, wenn da nicht in Rostock …

Eintracht-Fans jaulen an dieser Stelle auf. Der klare Elfmeter, den Schiedsrichter Alfons Berg aus Konz am letzten Spieltag nicht gegeben hat. Ich weiß nicht, wie lange nach Abpfiff ich noch wie erstarrt vor dem Radio gestanden habe. Wir haben uns verlassen gefühlt von Dir, Fußballgott.

Die Jahre haben uns dann aber gelehrt, dass sich auch auf anderem Niveau überschwänglich jubeln lässt. Nichtabstieg durch einen Übersteiger von Jan-Age Fjörtoft zum 5:1 über Kaiserslautern 1999? Aufstieg wegen vier Tore in den letzten zehn Minuten am letzten Spieltag 2003, in der Bundesliga-Konferenz im Radio begleitet mit dem unvergesslichen Satz zum entscheidenden 6:3: "Das ist geiler als Sex. Meine Freundin möge mir verzeihen! Meine damalige Freundin stand neben mir im Stadion, sie hat den Satz verstanden. Ich glaube nicht, dass ich mich bei einem Weiterkommen in Chelsea mehr freuen könnte. Der Unglaube würde aber größer sein.

25 Millionen weg, Probleme da

Dabei haben sie uns schon im Mai 2000 gesagt, dass wir ganz groß rauskommen werden. 25 Millionen Euro zahlt der amerikanische Vermarktungsgigant Octagon damals für 49,9 Prozent der Anteile, damals eine Riesensumme. Der "schlafende Riese" wird geweckt, heißt es. Wenn sie euch das sagen: Achtung! Unter Dilettanten schießt auch viel Geld nicht unbedingt Tore. Das Geld war weg, die Lage schlimmer als je zuvor.

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Immerhin ist 2000 auch das Jahr, in dem Peter Fischer Präsident des e. V. wird, der Mann, der eine AfD-Anhängerschaft für unvereinbar mit der Eintracht-Philosophie hält und sich nicht lange bitten lässt, wenn Fans mal wieder "Peter gibt einen aus" singen. Peter gibt oft einen aus.

Nach dem Einstieg des Investors sieht es zunächst auch gut aus, nach dem 13. Spieltag und einem 2:1 über die Bayern stehen wir auf Platz fünf und die Euphorie ist groß: Europa, wir kommen! 21 Spieltage und zwei Trainer später müssen wir in die zweite Liga.

Im letzten Spiel der Saison steht "Gott vergiebt – Wir nicht" auf einem Plakat. Im Fußballhimmel hat man uns die Rechtschreibung vergeben – und die Aktion von Fans. Dutzende Grabkreuze mit den Namen von Spielern wurden in der Fankurve in die Höhe gereckt, besonders oft mit dem Name Horst Heldt. "Todesstrafe für Adler-Mord" stand auf Bannern. Heute wäre das ein Skandal. Damals ist es eine Randnotiz, niemand hegt die Befürchtung, ein Verrückter könnte das ernst nehmen. Es finden sich nicht mal Bilder davon im Netz.

Als die Eintracht Jürgen Klopp weinen ließ

Und dann wollen in der Zweitliga-Saison 2003 die Mainzer statt der Eintracht aufsteigen. Beim Karnevalsverein reden sie immer wieder davon, die Nummer 1 in der Region zu sein. Am letzten Spieltag schießt Frankfurt in den letzten zehn Minuten drei Tore, Mainz kassiert eins und die Eintracht steigt mit der um ein Tor besseren Differenz auf. Auf dem Rasen weint der Mainzer Trainer bitterlich, ein gewisser Jürgen Klopp. Ich gebe zu: Das Video davon haben wir im Fanbus besonders gerne gesehen.

2004 steigen wir wieder ab. Die Hoffnung auf ein Wunder beim Spiel in Hamburg ist schnell dahin, aber Haha, es gibt ja was zum Trost: "DAZKE!" steht auf riesigen Buchstaben in der HSV-Kurve, ein "N" ist falsch herum gehalten worden. "DAZKE" verwenden Eintracht-Fans heute noch. Das bleibt im kollektiven Gedächtnis, wenn sonst nichts erinnernswert ist.

Die Eintracht steigt mit Friedhelm Funkel wieder auf und zieht 2006 ins Pokalfinale gegen Bayern ein. Claudio Pizarro trifft einmal, Oliver Kahn hält kurz vor Schluss eine Hundertprozentige, und in der Stadt sehe ich nur feiernde Eintracht-Fans. Es ist irgendwie ein Trost. Wenn wir sie auf dem Platz nicht besiegen, feiern wir sie eben weg. Und wir werden in diesem Jahr durch die Pokalteilnahme wieder zu Eintracht Frankfurt international.

Pipi-Langstrumpf-Beben bei Bröndby

400.000 Aufrufe hat ein unscharfes YouTube-Video von der folgenden Frankfurter Europa-Euphorie. Der Aha-Moment ist nach 30 Sekunden zu sehen. Die Tribüne hebt und senkt sich im Stadion von Bröndby Kopenhagen, als die Fans auf die Melodie von Pipi Langstrumpf hüpfen. Erste Runde überstanden.

Alle Heimspiele sind ausverkauft, natürlich. Im letzten Gruppenspiel in Istanbul zeigen wir und ein Taxifahrer, dass in einen Kombi vom Flughafen in den Stadtteil Besiktas acht Eintracht-Fans passen. Und Fenerbahce zeigt, dass nach 0:2-Rückstand zwei Bälle ins Frankfurter Tor passen und mit dem Unentschieden die Türken statt Frankfurt weiter europäisch spielen dürfen. "Sentürk zerstört Eintracht-Traum", titelt der "Kicker".

Hoffnungen und eine Rückrunde der Schande

2009/2010 und 2010/11 riecht es wieder nach Europa. Doch nach starker Hinrunde klappt gegen Saisonende nichts mehr. 2010/11 kommt es noch bitterer. Das letzte Spiel der Hinrunde gewinnen wir 1:0 gegen den Tabellenführer Borussia Dortmund, wir sind durch den 14. Saisontreffer von Thefanis Gekas bis auf drei Punkte an den Europacup-Plätzen dran. Die Träume blühen.

Gekas macht danach kein Tor mehr, die Mannschaft holt in der Rückrunde noch ganze acht Punkte. Abstieg. Und Gegner in der nächsten Saison sind Cottbus und der FSV Frankfurt. Vierter Abstieg. "Fahrstuhlmannschaft", heißt es. Beim letzten Spieltag zur Meisterfeier in Dortmund wollen sich zumindest einige Fans noch einen Titel holen: "Deutscher Randalemeister 2011", steht auf dem Banner. Es passt ins Selbstverständnis: Irgendwo ist die Eintracht ganz vorn dabei. Der dumme Spruch verfolgt den Verein mit der gewaltigen und manchmal gewalttätigen Fanszene noch lange.

Es geht wieder rauf, sogar bis in den Europapokal 2013/2014. Fünf Siege in den sechs Gruppenspielen dort, alle Heimspiele natürlich ausverkauft. In Bordeaux beim 2:2 sind unter den 20.000 Zuschauern 12.000 in Orange gekommen, es sind die Frankfurter.

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Die UEFA vermeldet einen neuen Zuschauerrekord für den Wettbewerb. Trainer Armin Veh schwenkt eine riesige Eintracht-Fahne vor dem Block, mehr Glückseligkeit geht kaum.

Wieder reicht 2:0-Führung nicht

In Porto wird für unseren Marsch zum späteren 2:2 von der Polizei die Stadtautobahn gesperrt. Aber im Rückspiel wiederholt sich die Istanbul-Erfahrung: Die Eintracht führt 2:0, Porto gleicht aus. Dann fällt das 3:2 – und das 3:3 kurz vor Schluss. Im Sechzehntel-Finale ist der Frankfurter Europa-Traum wieder vorbei.

2016 droht der Abstieg und vor dem ersten Relegationsspiel gegen Nürnberg wird bei Marco Russ Krebs diagnostiziert. Er spielt trotzdem mit bei der wichtigsten Nebensache der Welt – und verursacht zu aller Tragik noch ein Eigentor.

Wir gewinnen das Rückspiel in Nürnberg und auf der Rückreise leidet "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt auf dem Platz neben mir über seinem Text. Er ist FCN-Fan. "Nürnberg verpasst den Aufstieg", beginnt er. "Doch auch nach einer lausigen Relegation bleiben die Fans ihrem Verein treu. Warum eigentlich? Und wie lange noch?"

Weil sie Träume haben, Träume von großen Siegen. Wie die Eintracht 2017: Pokalfinale gegen Dortmund, ein Sieg, und wir würden europäisch spielen. Ich zahle Hunderte Euro für eine völlig überteuerte Karte mit versteckten Gebühren bei Viagogo – und sehe ein 1:2. Kein Europa.

Ein Jahr später ist die Eintracht in der Liga nach einer starken Hinrunde eingebrochen, die direkte Europa-Qualifikation ist verspielt, als sie wieder im Finale steht. Gegen Bayern – die Eintracht ist klarer Außenseiter. Die Saison ist eigentlich im Eimer, die Münchner werden sicher gewinnen. Ich erwarte nichts.


Es wird ein 3:1-Sieg für die Eintracht. Der erste Titel seit 30 Jahren und die direkte Qualifikation für die Euro League mit dem Halbfinal-Einzug.

Wir haben es uns verdient. Und wir wissen es zu schätzen.

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