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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Leverkusens Finalgegner In Bergamo hat man seine Prinzipien
Im Finale der Europa League trifft Leverkusen auf Atalanta. Der Klub aus Bergamo wartet bereits seit über einem halben Jahrhundert auf eine Trophäe – und könnte als Gegner unangenehmer nicht sein.
Italienische Stürmer treffen vor allem zu Hause. Ob Ciro Immobile, Simone Zaza oder Gianluca Scamacca – sobald einheimische Torjäger die Serie A verlassen und sich im Ausland versuchen, stockt zumeist der Motor. Für Scamacca blieb es mit der Saison 2022/23 bei einem einjährigen Intermezzo in Diensten des Premier-League-Teams West Ham United, bevor er die Rückreise antrat und sich dem ambitionierten Team von Atalanta B.C. anschloss. In Bergamo, mit Trainerlegende Gian Piero Gasperini, scheint Scamacca wieder zu funktionieren. 18 Tore in 41 Pflichtspielen in dieser Saison belegen das.
6. Runde
Mittwoch, 11.12.
Donnerstag, 12.12.
Nun folgt für Atalanta mit Gasperini und Scamacca das wichtigste Pflichtspiel des Jahres, nämlich das Finale in der Europa League gegen Bayer Leverkusen (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online). In der Ära Gasperini, die 2016 begann, bestritt das Team aus Bergamo bereits drei Endspiele in der Coppa Italia, zuletzt vor einer Woche gegen Juventus. Alle gingen jedoch knapp verloren. Als Atalanta zum letzten Mal eine wichtige Trophäe gewann, war der heute durch und durch grauhaarige Cheftrainer fünf Jahre alt und von Scamacca noch weit und breit keine Spur. 1963 siegte Atalanta im italienischen Pokal. Seitdem herrscht Titeldürre.
Ein Mitglied der Ballbesitz-Elite
Und trotzdem machen die "Nerazzurri" seit einigen Jahren von sich reden. Das hat mit zwei Dingen zu tun: Zum einen bringt Atalanta regelmäßig hochklassige Spieler hervor, die meist für gutes Geld verkauft werden. Rasmus Højlund und Cristian Romero sind die prominentesten Beispiele. Zum anderen hat Gasperini eine spezielle Spielphilosophie geprägt, die es so nur selten in den europäischen Top-Ligen zu finden gibt. Atalanta gehört wie auch Brighton und der VfB Stuttgart aktuell zu jenen "kleinen" Teams, die einen dezidiert Ballbesitz-orientierten Fußball zeigen, bei dem sich die Spieler nicht davor scheuen, wohldurchdachte Passstafetten in der eigenen Spielfeldhälfte auszuspielen.
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Im Fall von Atalanta beginnt alles mit der 3-5-2/3-4-2-1-Grundformation und dem Positionsspiel der zwei Sechser. Diese rücken nämlich im Spielaufbau bewusst auf die Außenbahnen, während die nominellen Flügelspieler weiter nach vorn schieben. In diesem Kontext ist es besonders schmerzhaft, dass Marten de Roon, der wichtige zentrale Mittelfeldspieler, ebenso wie der Ex-Schalker Sead Kolašinac im Finale von Dublin nicht dabei sein werden.
De Roon und Kolašinac haben oftmals gemeinsam die linke Seite bespielt. Nun müssen andere aushelfen. Aber genau darin liegt ohnehin eine gewisse Stärke des Gasperini-Systems. Der 66-Jährige kann regelmäßig neue Spieler integrieren, weil er vor allem spieltaktischen Prinzipien folgt und nicht einfach nach individueller Klasse aufstellt.
Scamacca schafft Räume für andere
In jedem Fall agieren die Sechser in der ersten Phase des Spielaufbaus oftmals aus der Breite heraus. Ganz anders als Granit Xhaka und Robert Andrich bei Bayer Leverkusen, wo die zentralen Mittelfeldspieler zumeist in der Mitte bleiben. Von der Außenbahn aus werden in der Spielgestaltung von Atalanta anschließend schnelle Passspielzüge etwa über den Zehner Teun Koopmeiners oder Charles De Ketelaere initiiert, anschließend erfolgt das steile Anspiel auf einen der nach vorn sprintenden Außenbahnakteure.
Scamacca wiederum ist trotz seiner Stärke am Ball zunächst wenig bis gar nicht in die Spielgestaltung eingebunden. Meist lässt sich eher sein nomineller Nebenmann De Ketelaere ein Stück weit zurückfallen. Dafür bleibt Scamacca in der Nähe der gegnerischen Innenverteidiger und bringt sich für Abschlüsse nach Zuspielen von außen oder auch von De Ketelaere in Position. Als Schattenstürmer fungiert derweil Koopmeiners. So manches Mal zieht nämlich der 1,95 Meter große Scamacca die Aufmerksamkeit auf sich, um wiederum Räume für den Niederländer dahinter zu schaffen.
Xhakas Ruhe ist gefragt
Für Leverkusen geht es unterdessen im Finale am Mittwoch darum, nicht zu aggressiv gegen die Spielgestaltung von Atalanta vorzugehen. Denn die Lombarden wollen den Gegner ein Stück weit herauslocken, um anschließend mit schnellen und präzisen Passfolgen die Linien zu durchbrechen. Auch wenn Leverkusen gerne beispielsweise mit dem rechten Flügelläufer Jeremie Frimpong sowie den drei Offensivspielern aufrückt und die Räume zustellen möchte, könnte das gegen Atalanta nach hinten losgehen, sollte es der neue Deutsche Meister zu häufig probieren.
Auf der anderen Seite des Spielfeldes muss Leverkusen die eigene Ballsicherheit nutzen. Atalanta spielt ein aggressives Pressing mit Scamacca und De Ketelaere im Zentrum und schnellen vorschießenden Bewegungen von den Spielern dahinter. Hier kommt es gerade auf das Umschauverhalten und die Ballruhe von Granit Xhaka an, damit dieser im richtigen Moment wieder den Rückpass zu den eigenen Abwehrspielern spielt.
Ziel von Leverkusen bleibt es wie gehabt, den Ball zu Florian Wirtz in die offensiven ZwischenrLäume zu bringen. Ist der Spieler der Saison erst einmal am Ball, hat Leverkusen entscheidende Agilitätsvorteile gegen Atlantas Restverteidigung. In diese Räume erst einmal zu gelangen, ist die große Herausforderung. Nicht ohne Grund blieben die "Nerazzurri" bereits 20-mal in dieser Saison ohne Gegentor.
- Eigene Beobachtungen/ Recherche
- Taktikanalyse von Constantin Eckner