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EM: England enttäuscht trotz Millionenkader um Kane – "Es war scheiße"


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Englands Millionentruppe
Einmal mehr enttäuscht


Aktualisiert am 25.06.2024Lesedauer: 5 Min.
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Harry Kane: Der Bayern-Stürmer führt England als Kapitän aufs Feld. (Quelle: IMAGO/imago)

Sie sind einer der größten Favoriten auf den EM-Sieg. Doch die englische Nationalelf bleibt bisher hinter den Erwartungen zurück. Die nächste goldene Generation droht zu scheitern.

"It's coming home" ist im englischen Fußballjargon eine geflügelte Phrase. Sie stammt aus dem Refrain des Songs "Three Lions" der Band "The Lightning Seeds" von 1996, dem Jahr, in dem England die Europameisterschaft ausrichtete. Das Lied handelt vom einzigen großen Triumph der Briten, dem Weltmeistertitel 1966, den in der Folge nie wieder erreichten Höhen des englischen Nationalmannschaftsfußballs und der trotzdem bestehenden Hoffnung der Fans, dass alles irgendwann besser wird.

Die Hauptzeile des Textes, also "It's coming home" (dt. "Es kommt nach Hause"), später auch "Football's coming home" (dt. "Der Fußball kommt nach Hause"), bezieht sich auf England als sogenanntes Mutterland des Fußballs. Dieser soll, vor allem in der Form eines Titels bei einem großen Turnier, in seine englische Heimat zurückkehren, so die Idee des Songs. Seit seinem ersten Erscheinen 1996 und zwei Neuveröffentlichungen zu den Weltmeisterschaften 1998 und 2010 ist "Three Lions" deshalb zu einer inoffiziellen und von Fans vielfach gesungenen Hymne rund um die englische Nationalmannschaft geworden.

Vor allem in den vergangenen Jahren gewann das Lied noch mal massiv an Popularität. Das liegt vor allem daran, dass die englische Nationalmannschaft unter ihrem Trainer Gareth Southgate bei den letzten Turnieren zum Teil denkbar knapp an einem Titel vorbeischrammte. 2021 scheiterte sie beispielsweise erst im EM-Finale an Italien. Eine Trophäe schien gerade deshalb nur noch eine Frage der Zeit – zumal einige der besten Spieler der Welt in ihrem Kader sind. Doch die bisherigen Leistungen bei der Europameisterschaft in Deutschland 2024 machen stutzig – und nähren die Vermutung, dass der Fußball auch in diesem Jahr nicht nach Hause kommen wird.

"Es war Scheiße"

Zunächst einmal: Das Weiterkommen der Engländer ist seit gestern Abend durch das 1:1 der Italiener gegen Kroatien fix. Sie sind schon jetzt mindestens einer der vier besten Gruppendritten, die ins Achtelfinale einziehen werden. Vier Zähler hat die englische Nationalmannschaft nach zwei Gruppenspielen nämlich auf dem Konto. Eine Punkteausbeute, die zufriedenstellend sein könnte, wären die Art und Weise, wie sie sich den Sieg gegen Serbien (1:0) und das Remis gegen Dänemark (1:1) ergatterte, nicht einer Mannschaft von dieser Qualität unwürdig gewesen.

Das sah vor allem England-Legende Gary Lineker nach der Partie gegen die Skandinavier so. Im Podcast "The Rest Is Football" sagte der ehemalige Nationalspieler: "Ich kann mir keinen Engländer vorstellen, der Englands Auftritt gut gefunden hätte. Er war lethargisch, er war trist. Man könnte an viele Wörter denken, Schimpfwörter, wenn man will. Aber es war Scheiße."

Die Wortwahl, so hart sie wirkte, schien doch auch ihre Berechtigung zu haben. Denn nach der Führung durch Bayern-Star Harry Kane stellte England den Offensivfußball ein – und wurde prompt bestraft. Dänemark drückte, auch weil der Favorit sich tief in die Defensive zurückfallen ließ. Der Ausgleich durch Morten Hjulmand nach etwas mehr als einer halben Stunde war die logische Konsequenz.

Im zweiten Durchgang suchte England dann wieder vermehrt den Weg nach vorn, doch die etwas besseren Möglichkeiten hatten trotzdem die Dänen, sodass das 1:1 aus Sicht der Briten fast schon glücklich war. Alan Shearer, der wie Lineker einst für England auflief, betitelte die Leistung der Mannschaft im Nachgang bei BBC deshalb als "wirklich sehr schlecht und absolut bedenklich".

Millionenkader mit unappetitlichem Verwaltungsfußballs

Der Grund für die harsche Kritik der Ex-Nationalspieler liegt auf der Hand: Der Fußball, den England aktuell spielt, kollidiert in erster Linie mit dem eigenen Selbstverständnis als Großmacht des Sports und schürt die Angst, am Ende des Turniers mal wieder mit leeren Händen dazustehen. Denn die unansehnliche, aber noch erfolgreiche Spielweise scheint gegen schwächere Gegner gerade so zu funktionieren. Doch in den K.-o.-Spielen wird sie, so offenbar die allgemeine Sorge, kaum ausreichen, um weit zu kommen.

Dabei ist die Passivität, die England nach dem Führungstor gegen Dänemark präsentierte, ein wiederkehrendes Phänomen der Mannschaft. Schon beim ersten Gruppenspiel gegen Serbien hatte der Führungstreffer durch Jude Bellingham nicht die potenziellen Kräfte der Elf freigesetzt, sondern eine unappetitliche Form des Verwaltungsfußballs zutage gefördert. Einziges Glück der Engländer: Serbien wusste, anders als Dänemark, aus der wie von Lineker beschriebenen Lethargie kein Kapital zu schlagen.

Dabei besitzt der Kader alle Möglichkeiten, besseren Fußball zu spielen, als er es gerade tut. Denn: Nach der Angriffsreihe der Engländer würde sich im Normalfall jeder europäische Spitzenklub die Finger lecken. Allein das bisherige offensive Startquartett, bestehend aus Harry Kane, Jude Bellingham, Phil Foden und Bukayo Saka, hat einen Gesamtmarktwert von sage und schreibe 570 Millionen Euro. Und: Top-Stars wie Jack Grealish, Marcus Rashford, Jadon Sancho und Raheem Sterling haben es nicht mal ins finale Aufgebot geschafft, weil die Qualität im Angriff so hoch ist.

Trotzdem legt die Mannschaft unter Southgate einen biederen Auftritt nach dem nächsten hin. Schon die Generalprobe vor Turnierbeginn ging schief. Beim 0:1 im heimischen Wembley Stadium gegen das nicht mal qualifizierte Island war das Team nach einem frühen Rückstand um Antworten in Form von Toren bemüht – und fand sie nicht. Ein alarmierendes Zeichen für eine eigentlich von der Spielerqualität her goldene englische Generation.

Auch Beckham und Co. holten keinen Titel

Doch wie auch die letzte goldene Generation droht die jetzige zu scheitern. In den 2000ern wusste England nämlich etliche Spieler von Weltklasse-Format in seinen Reihen. Dazu zählten unter anderem Frank Lampard, Steven Gerrard, Wayne Rooney, Rio Ferdinand, John Terry und nicht zuletzt der alles überstrahlende David Beckham. Doch auch diesen Stars gelang es im Verbund nicht, einen Titel für ihre Nation zu gewinnen.

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Jetzt wird sich das Drama möglicherweise wiederholen. Denn die aktuelle Mannschaft verlässt sich viel zu sehr auf die individuelle Qualität ihrer Einzelkönner, wirkt im Kollektiv plan- und führungslos. Vor allem ihr Kapitän, auch wenn er gegen Dänemark traf, scheint noch gar nicht im Turnier angekommen zu sein. Kein Wunder also, dass Harry Kane noch einmal gesonderte Kritik von Gary Lineker erhielt.

"Ehrlicherweise bin ich der Meinung, dass Harry Kane viel besser werden muss", ging der 63-Jährige beim in Großbritannien übertragenden Sender BBC scharf mit dem Stürmer ins Gericht und kritisierte vor allem dessen unzureichendes Laufverhalten im zweiten Gruppenspiel. "Ich glaube, er hat sich kaum bewegt", so Lineker, der später in seinem Podcast in diesem Zusammenhang auch Trainer Gareth Southgate für seine taktischen Vorgaben kritisierte. "Sie sind einfach taktisch ein bisschen verloren, und das kommt leider vom Trainer", sagte er. Southgate müsse England "dazu bringen, weiter vorn auf dem Platz als Einheit zu spielen – denn im Moment sind sie keine Einheit".

So wird der Fußball nicht nach Hause zurückkehren

Englands Nationalmannschaft transportiert aktuell kein Wir-Gefühl auf dem Platz. Die Unzufriedenheit mit Team und Trainer nimmt bei Fans und Experten dementsprechend nicht ab in diesen Tagen. Im Gegenteil: Die Angst, mit einem Millionenkader früh aus dem Turnier zu fliegen, wächst kontinuierlich. Doch schon am heutigen Dienstag könnte die englische Elf sie ihren besorgten Landsleuten etwas nehmen. Um 21 Uhr trifft England in Köln im letzten Gruppenspiel auf Slowenien (im Liveticker bei t-online). Dann wird die Mannschaft ein anderes Gesicht als zuletzt zeigen wollen – und müssen. Ansonsten könnte sie nämlich Rang eins in der Gruppe C, der zu einem womöglich einfacheren Gegner im Achtelfinale berechtigt, sogar noch verlieren.

Als möglicher Tabellenzweiter in der Gruppe C wäre die Aufgabe in der Runde der letzten 16 definitiv eine kolossale. Dann träfe England nämlich auf Gastgeber Deutschland. Die Sorge vor dem frühzeitigen Aus könnte dann zur bitteren Realität werden. Einmal mehr hätte eine goldene englische Generation enttäuscht – und der Fußball würde in Form einer Trophäe mal wieder nicht nach Hause zurückkehren.

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