Ausländische Journalisten mit EM-Kritik "Die Menschen sollten gewarnt werden"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die EM in Deutschland ist stimmungstechnisch ein voller Erfolg. Journalisten aus dem Ausland finden im Gespräch mit t-online deshalb lobende Worte für das Turnier, äußern aber auch scharfe Kritik.
Von der Heim-EM berichten Noah Platschko und William Laing
Volle Stadien, spannende Spiele und Millionen Fußballfans, die auch abseits der Partien mit stimmungsvollen Aktionen für Gänsehautmomente sorgen: Die Europameisterschaft in Deutschland kann, abgesehen vom nicht beeinflussbaren, wechselhaften Wetter, schon jetzt als ein erfolgreiches und erinnerungswürdiges Unterfangen gewertet werden – zumindest aus Gastgebersicht.
Denn: Wie 2006 bei der hier ausgetragenen Weltmeisterschaft scheinen auch dieses Mal das harmonische Miteinander und eine gesunde deutsche Willkommenskultur zentrale Säulen des Turniers zu sein. Fans, die in diesen Tagen gemeinsam zu den Spielen in den Arenen marschieren, Erinnerungsfotos mit dem gegnerischen Anhang schießen oder beim Public Viewing zusammen gebannt auf die riesigen Bildschirme in den offiziellen Fanzonen starren, sind beileibe keine Seltenheit.
Immer wieder bringen ausländische Fans zudem ihre Wertschätzung für das Turnier in Deutschland sichtbar zum Ausdruck. So auch ein Schotte, der sich beim Fanmarsch seiner Nation in Köln vor dem Spiel gegen die Schweiz bei einem t-online-Reporter für die Gastfreundschaft während der EM bedankte. Ein erstes Indiz dafür, wie positiv die EM von den Fans aus dem Ausland wahrgenommen wird.
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Doch spiegelt das wirklich die allgemeine Gefühlslage zur Europameisterschaft wider? t-online hat sich auf Spurensuche begeben und mit Journalisten aus verschiedenen EM-Teilnehmerländern gesprochen. Das Lob für das Turnier ist immens. Doch besonders ein Vorfall ruft auch deutliche Kritik hervor.
EM in Deutschland "wirklich richtig geil"
Carrie Brown ist als Moderatorin für den britischen TV-Sender beIN Sports bei der Europameisterschaft unterwegs. Deutschland kennt sie bereits bestens. 2020 begleitete sie während des Corona-Lockdowns das Europa-League-Finale in Köln. Weil keine Fans ins Stadion durften, hätten die Funktionäre den Lärm machen müssen, erzählt sie t-online.
"Es war herzzerreißend", so Brown, die in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Europameisterschaft in Deutschland hervorhob. Die EM sei das Turnier, "das Europa gebraucht hat". Deutschland habe sich zudem "als Gastgeber hervorragend geschlagen", gibt Brown zu Protokoll.
Lobende Worte findet auch ihr englischer Kollege Andy Dillon vom Boulevardblatt "The Sun". "Es ist ein großartiges Turnier", betont er im Gespräch mit t-online. "Als ich erfahren habe, dass es in Deutschland stattfinden würde, war mir klar, dass es fantastisch werden würde."
Mischi Wettstein vom Schweizer Nachrichtenportal "Nau" schlägt in eine ähnliche Kerbe: "Ich finde, es ist eine super EM bis jetzt. Man merkt, es wird an jedem Spieltag eine Schippe draufgelegt." In den Städten sei die Stimmung ebenfalls hervorragend. "Es ist wirklich richtig geil", so der "Nau"-Chefreporter für Fußball.
Alberto Martínez vom spanischen Sport-Onlinemedium "Revelo" zeigt sich wiederum besonders von der Organisation begeistert. Er erklärt t-online: "Für mich ist es eine sehr professionelle Veranstaltung."
Ein Versprechen, dem nicht nachgekommen wurde
Alles gut also bei der EM? Mitnichten. Denn vor allem die komplizierte An- und Abreise zu einzelnen Spielen führte zu Irritationen bei den Journalisten. Besonders Gelsenkirchen musste viel Kritik einstecken. Nach dem Spiel zwischen England und Serbien mussten Fans teilweise stundenlang auf Züge warten. Die Situation führte vor Ort zu überfüllten Bahnhöfen und einer Menge Frust bei den Betroffenen.
"Der Transport war schwierig", sagt Carrie Brown, die das Spiel in Gelsenkirchen besucht hat. "Wenn es dann so spät ist, dann nimmt das vielen Fans die Freude am Turnier, wenn sie nicht zurückkommen und nicht reisen können." Grundsätzlich zeigt sie auch Verständnis für die Situation. So habe jedes Land seit dem Corona-Lockdown Probleme, was den Personalbedarf und die Infrastruktur angehe.
Zudem seien die schottischen und englischen Fans "nach Europa gekommen, mit dreimal so vielen Fans, wie überhaupt in jedes Stadion hier passen". Das würde die Infrastruktur ohnehin ausreizen. "Aber dieses Turnier wurde als eines verkauft, bei dem man mit dem Zug fahren kann", so Brown. Ein Versprechen, dem offenbar nicht vollends nachgekommen wurde.
Kritik äußerte sie zudem daran, dass man die Fans im Vorfeld nicht genug über Gelsenkirchen informiert habe. "Ich denke, die Menschen sollten gewarnt werden, wenn man ein Stadion hat, um das herum nicht viel los ist", sagt Brown. Und: "Man sollte die Fans auch einfach warnen, dass ihre Kreditkarten nicht akzeptiert werden."
Chaos, Panik und Heimweh aufgrund der Deutschen Bahn
Alberto Martínez, der wie Carrie Brown beim England-Spiel in Gelsenkirchen war, teilt die Kritik seiner englischen Kollegin hinsichtlich des Transports. "Es war sehr chaotisch nach dem Spiel, denn die Leute mussten drei, vier Stunden warten, um einen Zug zu nehmen und ins Zentrum zu gelangen", so Martínez. Seine Kritik bezog sich aber nicht nur auf Gelsenkirchen. Für ihn könne man an jedem der Austragungsorte durchaus Dinge besser machen. Zum Beispiel auch in Dortmund.
"Da waren beim Spiel Italien gegen Albanien 50.000 albanische Fans. Sie mussten alle draußen vor dem Stadion warten, um reinzukommen", so Martínez. "Dort ist es aber sehr eng. Es war sehr chaotisch und gefährlich und womöglich eine Paniksituation für Leute, die klaustrophobisch sind."
Derweil fühlt sich Andy Dillon nach seinen Erfahrungen mit dem deutschen Transportwesen geistig schmerzhaft in die eigene Heimat zurückversetzt: "Von der Deutschen Bahn bekomme ich Heimweh, weil sie mich so sehr an Großbritannien erinnert", erklärt er. Jeder Zug sei demnach zu spät, einige würden in andere Richtungen fahren als erwartet. "Es fühlt sich an, als wäre ich zu Hause, wo ich nicht zu Hause bin."
Sicherheit? "Gibt Fans, die mehr kontrolliert werden müssen"
Trotz der durchaus einheitlichen Kritik der Journalisten gibt es aber noch eine gute Nachricht aus deutscher Perspektive: Sicher fühlen sie sich hier grundsätzlich alle. Daran ändern auch die jüngsten Vorfälle nichts, wie zum Beispiel der Messerangriff von Mannheim vor dem Turnier, der Schieferhammer-Vorfall in Hamburg vor dem ersten EM-Spiel der Niederländer und die Ausschreitungen in den Straßen von Gelsenkirchen vor der Partie der Serben gegen England.
"Das ist das Unangenehme an Großanlässen. Da musst du immer mit so was rechnen", fasst es Mischi Wettstein nüchtern zusammen. "Gehört vielleicht irgendwie dazu, aber ich finde, man hat es bis jetzt richtig gut im Griff."
Auch Andy Dillon will die Sicherheitsfrage nicht zu hoch hängen. "Natürlich haben sich ein paar Fangruppen gegenseitig attackiert, aber das ist wie an einem normalen Samstagabend in Hamburg, München oder Leeds", sagt er.
Alberto Martínez findet zumindest, dass im Falle einiger Anhänger die Sicherheitsmaßnahmen erhöht werden sollten. "Es gibt einige Fans, die mehr kontrolliert werden müssen", erläutert der Spanier. "Serbien wäre ein Beispiel. Bei der Türkei gegen Georgien gab es auch einen Vorfall im Stadion." Seiner Meinung nach müsse "präventiver gehandelt werden". Wenn die Polizei eingreift, sei sie dabei aber sehr effektiv, lobt er. Und auch Carrie Brown adelt die Ordnungshüter für ihren bisherigen Einsatz bei der EM: "Ihre Reaktionen sind brillant und man merkt es nicht einmal, weil die Party einfach weitergeht."
- Gespräche mit den genannten Journalisten
- Eigene Recherche