Alphonso Davies Wie ein Flüchtlingskind bei Bayern durchstartet
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Inmitten der angespannten Lage beim FC Bayern spielt sich der erst 18-jährige Alphonso Davies in den Vordergrund. Er hat früh gelernt, wie hart das Leben sein kann.
Wellblechhütten, dicht an dicht gedrängt. Zu viele Menschen auf zu wenig Platz. Buduburam, im Süden Ghanas am Atlantischen Ozean gelegen, war um die Jahrtausendwende ein riesiges Flüchtlingslager für Vertriebene aus Liberia.
Hier kam Alphonso Davies vom FC Bayern zur Welt, heute 18 Jahre jung, und seit dem vergangenen Wochenende mit seinem ersten Bundesliga-Einsatz von Beginn an. Der jüngste Torschütze des Rekordmeisters seit Roque Santa Cruz 1999 und der erste Profi der Münchener aus dem Jahrgang 2000, der einen Pflichtspieltreffer erzielte. Er steht bei den Bayern schon jetzt vor dem Durchbruch, dabei wird er am kommenden Samstag erst 19 Jahre alt. Der Werdegang des jungen Mannes mit dem markanten Lächeln imponiert.
Früh lernte "Phonzie", wie er von seinen Mitspielern und dem Trainerstab in München gerufen wird, die harten Seiten des Lebens kennen. Als er fünf Jahre jung war und die Familie nach Kanada auswanderte, wo Vater Debeah zunächst keine Arbeit fand.
Salihamidzic über Davies: "Er ist ein Diamant"
"Er ist ein Diamant", meinte Sportdirektor Hasan Salihamidzic, nachdem Davies am dritten Spieltag den Ball beim 6:1 gegen den FSV Mainz 05 unter die Latte gehämmert hatte. "Alphonso ist die Zukunft, aber nicht nur das: Er zeigt auch, dass er schon jetzt eine große Rolle spielen kann", meinte der Bosnier weiter über den jungen Nordamerikaner mit afrikanischen Wurzeln, dem sie an der Säbener Straße dem Vernehmen nach eine große Zukunft zutrauen.
Doch zunächst muss er sich in diesem Starensemble überhaupt durchsetzen. Hier, an der Säbener, wie die Münchener die Heimat der Bayern nennen, fiel er bei und nach öffentlichen Trainingseinheiten den Fans monatelang noch nicht mal auf, sah er schließlich aus wie ein Jugendspieler.
- t-online.de-Interview: Der Davies-Entdecker spricht
Am Samstag, beim wackeligen 2:1 gegen Abstiegskandidat Union Berlin, hatte Trainer Niko Kovac den Youngster erstmals in der Startelf gebracht, auf der Linksverteidigerposition für David Alaba. Eigentlich ist Davies offensiver Linksaußen, doch schon in der vergangenen Saison ließ Kovac den jungen Mann eine Reihe defensiver spielen. Auch im Training. Damit er die Abläufe einstudiert, damit "Phonzie" die Abwehrarbeit verinnerlicht.
Alphonso Davies mit 18 bei Kanada ein Führungsspieler
"Phonzie", der Fußballer und Mensch, erlebt aktuell einen Lernprozess im Eiltempo. Von der St. Nicholas Soccer Academy über die Edmonton Strikers ging es für ihn, damals 14 Jahre alt, ins 1.000 Kilometer entfernte Vancouver, wo er in der Nachwuchsakademie des MLS-Klubs weiter ausgebildet wurde, und mit 16 Jahren nicht nur bei den Profis seine Premiere feierte, sondern auch in der kanadischen Nationalmannschaft debütierte. In dieser ist er als Teenager heute ein Führungsspieler.
Im November 2018 ging es, damals noch 17, über den Ozean nach München. Neues Land. Neue Mentalität. Neue Umgebung. Die Umstellung muss gewaltig gewesen sein. Auch weil es seine Freundin, die kanadische Profifußballerin Jordyn Huitema, nicht zu den Bayern, sondern zu PSG nach Paris zog. Kolportierte zehn Millionen Euro Ablöse zahlte der FC Bayern den Vancouver Whitecaps für einen zu dieser Zeit noch nicht mal volljährigen Fußballer. Das sorgte für Aufsehen in Fußball-Deutschland und in der Bundesliga. Ein Vertrauensvorschuss, den Davies nunmehr rechtfertigt.
Coach Kovac ist ein großer Fan von ihm. "Phonzie hat großartige Fähigkeiten. Seine Schnelligkeit ist ein ganz großes Plus. Gegen Amerika hat er zweite Spitze gespielt, bei uns spielt er links hinten oder davor. Wir versuchen, ein Maß zu finden", erklärte der 48-jährige Kroate. "Sein Tor bedeutet für ihn Selbstvertrauen." Davies war von der Länderspielreise an die Säbener zurückgekehrt, hatte in der Concacaf Nations League gegen die USA (2:0) sein fünftes Länderspieltor erzielt – es war ein historischer Treffer, hatten die Kanadier schließlich seit 34 Jahren nicht mehr gegen den Rivalen und Nachbarn gewonnen.
Es ist seine Siegermentalität, die in München ankommt, gepaart mit einer freundlich lockeren Art. Für Davies geht es nun vor allem darum, fußballerisch die Balance zu finden auf dem linken Flügel, zwischen diszipliniertem Verteidigen und flinken Angriffen über die Flanke. Kovac sagt ihm nicht zuletzt nach, dass er noch schneller sei als der ohnehin rasante Kingsley Coman.
Alphonso Davies sucht die Balance
Doch beim zähen 3:2 gegen den SC Paderborn war er nach seiner Einwechslung zur Halbzeit ein Unsicherheitsfaktor, weil er zu wenig mit nach hinten arbeitete. "Alphonso weiß, dass er es besser kann. Wir müssen daran arbeiten, dass er sich taktisch noch verbessert", hatte Salihamidzic nach dem schmeichelhaften Sieg in Ostwestfalen gesagt und meinte nun: "Wir haben noch mal darüber gesprochen, dass er mehr Sorge für die Defensive trägt, wenn ein Gegner im Rücken wegläuft."
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Davies hat verstanden. Gegen Union wagte er sich in der ersten Halbzeit kaum nach vorne, weil er sich seiner defensiven Aufgaben besann. Kurz nach dem Seitenwechsel wurde er mutiger, bereitete das 2:0 durch Robert Lewandowski vor. Wieder ein Lernprozess, hin zu mehr Balance. So hat er auch an diesem Dienstagabend im DFB-Pokal beim VfL Bochum (20 Uhr, bei t-online.de im Liveticker) wieder die Chance auf Einsatzzeiten. Und damit auf die nächste Etappe in einer Karriere im Eiltempo.
- Eigene Beobachtungen
- tz (Print): Linksverteidiger Phonzie legt los!