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Stefan Effenberg über Marco Reus: Das ändert womöglich alles


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Marco Reus
Das ändert womöglich alles

  • Florian Wichert
MeinungEine Kolumne von Stefan Effenberg

Aktualisiert am 03.12.2021Lesedauer: 7 Min.
Marco Reus (l.) hat mit dem BVB zweimal den DFB-Pokal gewonnen, noch größere Titel fehlen ihm allerdings. Stefan Effenberg (Kreis) kann sich vorstellen, dass sich das bald ändert.Vergrößern des Bildes
Marco Reus (l.) hat mit dem BVB zweimal den DFB-Pokal gewonnen, noch größere Titel fehlen ihm allerdings. Stefan Effenberg (Kreis) kann sich vorstellen, dass sich das bald ändert. (Quelle: imago-images-bilder)

Dem Dortmunder Kapitän fehlen die großen Titel, zuletzt musste er sogar spöttische Bemerkungen aus München ertragen. Jetzt hat er die Chance seines Lebens.

Die Entrüstung in Deutschland ist groß – und das vollkommen zu Recht. Robert Lewandowski hat erneut ein unglaubliches Jahr hingelegt. Er hatte mit Abstand die beste Torquote. Trotzdem hat er den "Ballon d'Or" als bester Fußballer der Welt nicht bekommen, nur die Auszeichnung zum besten Stürmer. Genauso wenig wie Jorginho von Chelsea, der seinen Klub in der Champions League und sein Heimatland Italien bei der Europameisterschaft zum Titel geführt hat – eine außergewöhnliche Leistung.

Messi hat die Auszeichnung gar nicht nötig

Der "Ballon d'Or" ist stattdessen zum siebten Mal an Lionel Messi gegangen, der ein für seine Verhältnisse überschaubares Jahr hinter sich hat. Auch ich kann diese Wahl nicht nachvollziehen – genauso wenig übrigens wie die Platzierung von Erling Haaland auf Rang elf.

Für mich gehören beide Bundesliga-Stürmer in die Top drei. Lewandowski oder Jorginho hätten zwangsläufig gewinnen müssen, erst auf den folgenden Plätzen hätte ich Karim Benzema, Messi oder Cristiano Ronaldo erwartet. Und deshalb sage ich auch: Lionel Messi hätte diesen Preis eigentlich zurückgeben müssen. Er hat ihn doch gar nicht nötig, nachdem er ihn sechsmal zu Recht und aufgrund fantastischer Leistungen bekommen hat.

Wie konnte es überhaupt zu dem zweifelhaften Urteil kommen?

Wenn Journalisten abstimmen, wird es speziell

Weltweit haben 180 Journalisten für die Wahl der französischen Zeitung "France Football" ihre Stimme abgegeben, sie aber leider aus meiner Sicht ad absurdum geführt. Das ist ähnlich wie bei der Wahl zu Deutschlands Fußballer des Jahres, die der Verband Deutscher Sportjournalisten mit dem "Kicker" durchführt. Auch dabei ist es nicht nachvollziehbar, dass Lewandowski 2020 zum ersten Mal überhaupt gewonnen hat, obwohl er seit mehr als einem Jahrzehnt aus dieser Liga herausragt.

Wenn Journalisten abstimmen, kann es schon mal sehr speziell werden. Ich würde deshalb sehr dafür plädieren, den Modus der Abstimmung zu verändern und lieber die ehemaligen Gewinner des "Ballon d‘Or" über ihren Nachfolger abstimmen zu lassen. Und genauso bei der Wahl zu Deutschlands Fußballer des Jahres, auch hier sollten die bisherigen Titelträger votieren. Das sind absolute Fachleute, hochkompetent – allein schon, weil sie wissen, was es wirklich braucht, um der beste Spieler der Welt zu sein.

So würde das zumindest nicht noch mal passieren. Und es wäre eine Farce, wenn es so weitergehen würde wie bisher.

So etwas habe ich noch nie gesehen

Für Lewandowski ist Platz zwei sicher eine Enttäuschung – wie ich ihn kenne, wird er die allerdings in Energie umwandeln und schon am Samstag im Spitzenspiel gegen Dortmund und Haaland zeigen wollen, dass er in diesem Jahr besser drauf ist als alle anderen. Und auch Haaland wird sicherlich zeigen wollen, dass er in die Top Ten gehört. Für die Bundesliga und dieses Topspiel sind das hervorragende Vorzeichen. Gut, dass Haaland wieder fit ist!

Bei seiner Einwechslung am vergangenen Samstag gegen Wolfsburg (3:1) konnte man gut beobachten, welchen Unterschied es macht, ob Haaland dabei ist oder nicht. Auf den Rängen löst seine Präsenz ohnehin eine riesige Euphorie aus – aber auch durch die eigene Mannschaft geht ein Ruck, wenn er reinkommt. Das Selbstvertrauen ist ein anderes, alles fällt ein wenig leichter. Selbst beim Gegner bewirkt es etwas, wenn Haaland den Platz betritt. Das habe ich so noch nie gesehen – erst recht nicht bei einem 21-Jährigen.

Dortmund kann um drei Titel spielen

Die wichtigste Aufgabe für Dortmund ist nun natürlich die Belastungssteuerung bei Haaland. Ich gehe fest davon aus, dass er selbst so viel wie möglich spielen möchte. Der BVB darf aber natürlich nicht das Risiko eingehen, Haaland noch mal verletzungsbedingt zu verlieren. Im Oktober ist er nach einer Pause für zwei Spiele zurückgekommen gegen Mainz und Amsterdam, daraufhin war er dann gleich wieder raus, diesmal für einen Monat. Dortmund braucht ihn bei 100 Prozent Leistungsvermögen, um den Rückstand auf Bayern in der Bundesliga nicht größer werden zu lassen und in der Rückrunde um drei Titel spielen zu können.

Denn genau das ist es, was ich Dortmund zutraue. Nach dem Aus in der Champions League hat die Borussia sehr wohl die Chance, die Europa League zu gewinnen – und womöglich auch den DFB-Pokal, wo im Achtelfinale der FC St. Pauli wartet und Bayern bereits ausgeschieden ist. Und in der Meisterschaft muss das Ziel zumindest sein, bis zum Ende ein Konkurrent für Bayern zu sein.

Die Europa League ist der zweitwichtigste Titel

Natürlich kann ich die Enttäuschung über das Aus in der Champions League verstehen, ich sage aber auch: Die hätte Dortmund ohnehin nicht gewonnen – während in der Europa League diese Möglichkeit besteht. Nicht nachvollziehen kann ich, wie verächtlich über diesen Wettbewerb gesprochen wird. Franz Beckenbauer hat ihn zwar mal den "Cup der Verlierer" genannt – für mich ist es dagegen der zweitwichtigste Titel im europäischen Vereinsfußball, der zudem eine riesige Tradition als Uefa-Cup besitzt. Eine Trophäe, die jeder Klub gerne in seiner Vitrine stehen hätte.

Wir wissen in Deutschland einfach nicht mehr, wie sich das anfühlt, nachdem in den letzten 24 Jahren kein Bundesligist gewonnen und sich die Liga teilweise blamiert hat.

Diese Saison kann für Reus alles verändern

Zumal dieser Titel nicht nur für Dortmund und Haaland ein riesiger Erfolg wäre – sondern eine ganze Karriere in ein anderes Licht rücken würde. Und zwar die von Marco Reus. Seit jeher haftet ihm der Ruf an, keine Titel holen zu können, oder zumindest keine großen. Er hat weder eine deutsche Meisterschaft noch einen internationalen Titel einheimsen können – nicht auf Vereinsebene und nicht mit der Nationalelf. Als Deutschland 2014 Weltmeister wurde, fehlte er verletzt. In der vergangenen Saison gelang ihm mit dem BVB immerhin wie schon 2017 der Sieg im DFB-Pokal.

Holt Reus in dieser Saison mit Dortmund die Euro League – und dazu vielleicht sogar erneut den Pokal, geschweige denn die Meisterschaft, dann ist das alles vergessen. Dann genießt er endgültig Legendenstatus in Dortmund und wird immer der Kapitän sein, der die Borussia zu einem der größten Triumphe der Vereinsgeschichte geführt hat. Zum Pokal in der Europa League. Und dann lässt er auch Kritiker wie Karl-Heinz Rummenigge verstummen, der sich zuletzt etwas spöttisch geäußert hat.

Womöglich wäre es Reus wie Götze ergangen

Reus hatte sich vor einigen Jahren gegen einen Wechsel zu Bayern und für Dortmund entschieden – was Rummenigge aus Reus-Sicht für einen Fehler hält.

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War das am Ende tatsächlich die falsche Entscheidung? Ich denke nicht. Reus ist ein Dortmunder Junge, der beim BVB perfekt aufgehoben ist. Bei Bayern hätte Reus in den letzten Jahren sicher auch seine Einsätze bekommen. Aber wer weiß? Womöglich wäre es ihm mit seinen Verletzungen ergangen wie einst Mario Götze oder aktuell Marcel Sabitzer. Götze ist nach drei Jahren wieder gegangen, weil das letzte Quäntchen fehlte, um sich langfristig durchzusetzen. Sabitzer hat es auch noch nicht über die Rolle des Ergänzungsspielers hinaus geschafft.

Es gibt etwas Wichtigeres als das Ergebnis

Für mich steht fest: Für Reus ist das jetzt die wichtigste Saison seiner Karriere. Und deshalb noch mal: Dieser Wettbewerb Europa League ist eine große Möglichkeit. Ein Geschenk, das Dortmund und Reus annehmen müssen.

Zunächst muss sich der BVB allerdings auf Bayern konzentrieren, zumal er durchaus etwas mehr Druck hat als der Gegner. Die Saison ist noch lang, das Rückspiel findet in München statt – diese Partie entscheidet nun also definitiv noch nicht die Meisterschaft, egal wie sie ausgeht. Deshalb gibt es auch etwas, das ausnahmsweise wichtiger ist als das Ergebnis: die Art und Weise, wie insbesondere Dortmund dieses Spiel bestreitet. Der BVB kann daraus das Selbstbewusstsein für eine erfolgreiche Saison schöpfen, sogar bei einer Niederlage.

Kahn ist zu Unrecht in der Kritik

Ich persönlich rechne mit einem Unentschieden, zumal der BVB selbstbewusst auftreten kann. "Die sollen erst mal kommen", hat Hans-Joachim Watzke gesagt, der sich ansonsten mit Kampfansagen zurückhält. Er weiß natürlich, dass die ihm schnell auf die Füße fallen können.

Ansagen sind auch beim FC Bayern gerade ein großes Thema. Viele Beobachter sowie Fans hätten sich zumindest eine von Oliver Kahn gewünscht, sowohl zu den Impfverweigerern unter den Spielern als auch zum umstrittenen Qatar-Airways-Sponsoring. Als Vorstandsvorsitzender steht er gerade zum ersten Mal richtig in der Kritik, weil er sich nicht kritisch äußerte. Es heißt an vielen Stellen: "Mensch, der Kahn, als Spieler war das ein Vulkan, der auf den Putz gehauen hat. Als Vorstandsboss sagt er plötzlich nichts mehr oder äußert sich nur noch defensiv." Ich teile diese Kritik nicht.

Was denken die Leute, was er tun soll? Gebrüll hilft nicht weiter. Und natürlich muss er sich als Vereinsboss im Anzug anders verhalten als im Torwarttrikot. Er hat diesen Posten erst seit fünf Monaten und macht das aus meiner Sicht bislang sehr gut.

Das Bild von Kahn ist vollkommen falsch

Zumal die Annahme auch vollkommen falsch ist, dass er als Spieler immer nur der Vulkan war. Natürlich hat er auf dem Platz das getan, was notwendig war, um zu gewinnen. Klar ist er da mal lauter und emotionaler geworden. Logischerweise hat er auch hinterher am Mikrofon seine Meinung kundgetan. Aber so ist er doch nicht permanent aufgetreten. Zwischen den Spielen in der Trainingswoche war er ein umgänglicher und total ruhiger Typ, der hochprofessionell gearbeitet hat. Die Annahme, dass Kahn früher ganz anders war als heute, das Bild in der Öffentlichkeit – das ist alles schlicht falsch.

Wenn man das Verhalten der Bayern-Bosse jemandem anlasten kann, dann Herbert Hainer. Der muss als Präsident und langjähriger CEO von Adidas über die Erfahrung verfügen, wie man bei einer Jahreshauptversammlung mit kritischen Themen umgeht. Fakt ist aber auch: So etwas wird dem FC Bayern sicherlich nicht noch mal passieren, weil die Verantwortlichen daraus lernen. Um die Führung beim FC Bayern mache ich mir zumindest keine Sorgen – genauso wenig wie um die zehnte Meisterschaft in Folge. Auch wenn die hoffentlich bis zum Ende der Saison spannend bleibt. Auch nach dem Topspiel Dortmund gegen Bayern am Samstag (ab 18.30 Uhr im Liveticker bei t-online).

Transparenzhinweis
  • Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
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