Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Debatte um Trikot-Hascherei Mecker, mecker, mecker
Mit zunehmender Selbstverständlichkeit bitten Fußballfans ihre Lieblingsspieler um ein Trikot oder laufen auf das Spielfeld. Muss das eigentlich sein? Ein Streitgespräch.
Das hatte Thomas Müller nun wirklich nicht verdient. Da hatte der urige Leistungsträger des FC Bayern gerade erst das hart erkämpfte 3:2 gegen RB Leipzig bewältigt, da wurde er schon mit der nächsten Herausforderung konfrontiert. Der findige Sky-Kameramann hatte zwei Zuschauer erspäht, die ein Banner mit der Aufschrift "Thomas, wir wollen ein Kind von Dir" hochhielten. Das "Kind" war durchgestrichen, stattdessen stand groß in roten Lettern "Trikot" daneben.
Vom fröhlich glucksenden Sky-Reporter Patrick Wasserziehr darauf angesprochen, konterte der 32-Jährige aber in Thomas-Müller-Art: "Ich weiß nicht, wie das mit dem Kind funktionieren kann – ich glaube, es sind zwei männliche Wesen, die sich da das Schild gebastelt haben. Aber die Trikots habe ich heute leider schon vergeben."
Nicht nur beim Bundesliga-Spitzenspiel, seit geraumer Zeit schon sind sie bei Spielen präsent wie die Bratwurst, die Fanschals und das Bier: Meist großzügig dimensionierte Plakate, auf denen in großen Lettern nur eine einzige Sache kommuniziert wird. Nein, nicht die Liebe zum Verein oder gar motivierende Worte für die eigene Mannschaft – sondern der Wunsch: "Spieler XY, bekomme ich Dein Trikot?".
Die Bitten sind nicht nur in deutschen Fußballstadien längst allgegenwärtig, ob in der Bundesliga, im DFB-Pokal oder gar bei Länderspielen der deutschen Nationalmannschaft. Unentwegt werden arglose Fußballer mit nicht enden wollenden Forderungen meist junger Fans konfrontiert, die dann auch noch bereitwillig und medienwirksam erfüllt werden. Mehr noch: Immer wieder auch werden die ganz Großen von Flitzern zu "spontanen" Selfies noch auf dem Spielfeld genötigt, ehe diese von Ordnern vom Platz gezerrt werden. Cristiano Ronaldo, Erling Haaland, Neymar oder Lionel Messi können ein Lied davon singen.
Die Frage drängt sich auf: Verlangen Fans zu viel von den Fußball-Stars?
Nein, einige der Spieler standen früher ja selbst in der Kurve
Mecker. Mecker. Mecker. Sie kennen den Spruch: Irgendwas is‘ immer. Dieses Mal sind es eben Kinder, die ihre Stars um ein Trikot bitten. Geschrieben auf Zetteln oder eben gleich auf einem großen Stück Pappe. Es stimmt, diese Bitte ist inzwischen in jedem Stadion omnipräsent. Und die TV-Kameras halten auch noch bewusst drauf. Die Frage ist: Und? Ist das wirklich ein Aufreger-Thema?
Natürlich könnte man jetzt damit argumentieren, dass die Stars auf dem Platz so viel Geld verdienen, dann können sie wenigstens auch mal ihr Trikot abgeben. Aber warum gesteht man Haaland, Lewandowski, Ronaldo und Co. nicht einfach mal zu, dass sie das gerne machen – und es vielleicht auch gar nicht so schlimm finden, wie viele inzwischen meinen.
Gerade an Cristiano Ronaldo scheiden sich die Geister. Einerseits immer im Wahn, der Beste sein zu müssen, den Fokus immer auf das Spiel gelegt. Dann gibt es aber auch die andere Seite, wie Ronaldo sich Zeit für die Fans nimmt, sie auf dem Platz vor Ordnern schützt, sie in den Arm nimmt und bereitwillig sein Trikot hergibt. Weil er in dem Moment vielleicht auch weiß, dass die Zuschauer einiges auf sich nehmen, um live im Stadion ihre Helden bejubeln zu können. Einige der Spieler standen früher bestimmt selbst in der Kurve und hätten sich gewünscht, ein Andenken erhaschen zu können. Jetzt sind sie es, die diesen Wunsch erfüllen können.
Der Fußball hat sich in den letzten Jahren weit von der Basis entfernt, weswegen der Wunsch nach mehr Annäherung zuletzt wieder größer wurde. Mit solchen Aktionen geht es in die richtige Richtung.
Für die vielen Fußballstars sind die Abgabe des Trikots, eine Umarmung oder auch ein Selfie keine große Sache – für viele Fans bedeutet das die Welt.
Ja, das Sportereignis steht im Mittelpunkt, nicht das Souvenir
Was waren das für Szenen beim Finale der Australian Open vor wenigen Wochen in Melbourne. Da hatte Rafael Nadal gerade seinen Grand-Slam-Rekordtitel Nummer 21 errungen – und plötzlich fiel ein Flitzer dem erschöpften Spanier um den Hals. Bekam auch noch sein durchgeschwitztes Shirt geschenkt! Oder wie Max Verstappen als frisch gekrönter Formel-1-Weltmeister nach dem historischen Saisonfinale in Abu Dhabi erst einmal seinen Helm einem freudestrahlenden Fan überließ.
Erinnern Sie sich an diese Szenen? Nein? Dann haben Sie völlig recht! Diese Szenen haben sich so nie zugetragen. Warum? Weil es im Tennis oder in der Formel 1 undenkbar ist, dass Fans eine Veranstaltung in eine einzige Bittstellerei verwandeln. Eine Selbstverständlichkeit wird vergessen: Das Sportereignis steht im Mittelpunkt, nicht das Souvenir.
Auf den Rängen passiert aktuell genau das, was Romantiker oft Spielern, Klubs, Sponsoren vorwerfen: Fans wollen auch noch das Letzte aus dem Sport herauspressen, befeuert vom Irrtum des Anspruchs auf ein Andenken vom Event-Erlebnis Fußball. "Aber das sind doch Kinder, denen kann man doch nicht böse sein" – das Argument zählt längst nicht mehr, bitten doch, siehe Beispiel Thomas Müller, immer häufiger stattliche Erwachsene um Trikots.
Authentisch daran ist aber nichts, weder die Geste des Stars, der kaum eine andere Wahl hat, noch die Freude des Fans, der sich überhaupt erst in Erwartung eines Geschenks sein Ticket gekauft hat, das ihm in der eigenen Wahrnehmung ja wiederum als Rechtfertigung für seinen Wunsch dient. Es gibt dafür nur ein Wort: scheinheilig.
Durch die "Bitte, bitte"-Fans, die nicht auf spontane Gesten warten, sondern sie forcieren, verliert der Fußball ein weiteres Stück Echtheit. Und gerade das ist doch eigentlich, was wir unbedingt verhindern wollen.
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