Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Neue Giftpfeile Was hinter der BVB-Attacke auf Salihamidzic steckt
Die Champions-League-Saison beginnt heute mit einem Kracher. Geht es hier genauso heiß her wie in der Bundesliga? Meine Prognose.
"Salihamidzic sollte seine Klappe halten und sich zu den Themen von Bayern München äußern. Was glaubt er eigentlich, wer er ist?“
Für Außenstehende klingt die Aussage krass – ich dagegen muss über die Wortwahl von BVB-Manager Michael Zorc schmunzeln. Denn ich fühle mich an die Zeiten von Uli Hoeneß beim FC Bayern erinnert, der immer mal wieder mit einer Aussage bewusst polarisiert hat. Nun fliegen also endlich wieder ein paar Giftpfeile zwischen Dortmund und München hin und her. Es ist doch schön, wenn es etwas zu diskutieren gibt.
Zumal die Sätze von BVB-Manager Michael Zorc so womöglich nicht gefallen wären, wenn Dortmund einen Fehlstart hingelegt hätte. Wenn es nicht läuft, hält man eher den Mund. Nun steckt auch dahinter, dass der BVB aus einer Position der Stärke und des Selbstbewusstseins agieren kann. Wer austeilt, muss auch einstecken können – und das können sowohl Salihamidzic als auch Zorc.
Was ist überhaupt passiert?
Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidzic hatte bei "Sky90" infrage gestellt, dass BVB-Kapitän Marco Reus zuletzt bereits vor dem dritten von drei Länderspielen vom DFB abgereist war – offiziell aufgrund von Knieproblemen. "Es ist schon manchmal verwunderlich, dass man von der Nationalmannschaft wegfährt und dann zwei, drei Tage später wieder spielt", so "Brazzo", "unsere Spieler bleiben da und spielen immer."
Damit wollte er ein Zeichen setzen wie einst Hoeneß – und daran ist grundsätzlich nichts falsch. Im Nachhinein muss man dennoch sagen: Das hätte er sich schenken können, zumal ich inhaltlich zumindest teilweise eher bei Zorc bin.
Nicht unbedingt bei dem von Dortmund erwähnten Vergleich zum Fall Thomas Müller. Der war aufgrund von Adduktorenproblemen noch vor dem ersten Länderspiel wieder abgereist. Laut Bundestrainer Hansi Flick hätte er zwar in der Tat mit "heißer Nadel" im letzten Spiel in Island wieder spielen können und wollte dies womöglich auch, weil er immer spielen will. Das wäre allerdings genauso schwachsinnig und unnötig gewesen wie ein Einsatz von Reus.
Der hat nun mal eine besondere Verletzungsgeschichte hinter sich, weshalb ich absolut verstehen kann, wenn er sich in Absprache mit Dortmund und dem DFB genau wie Müller schont – übrigens nicht nur für die Bundesliga, sondern genauso für die Champions League.
Die beginnt heute mit dem Kracher FC Barcelona gegen den FC Bayern München (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online) in der Gruppenphase – und zwar hoffentlich mit genauso viel Feuer wie derzeit in der Bundesliga steckt. Die deutschen Vertreter haben auf jeden Fall hervorragende Chancen, für Furore zu sorgen und das Achtelfinale zu erreichen. Hier kommt meine Prognose:
FC Bayern: Der Gewinner der noch jungen Saison ist zweifellos Supertalent Jamal Musiala. In vier Bundesligaspielen war er an vier Toren beteiligt, zuletzt beim 4:1 in Leipzig der Mann des Spiels mit einem Traumtor und einer Torvorbereitung. Er ist erst 18 Jahre jung und hat doch schon den nächsten Schritt gemacht in diesem Jahr. Natürlich werden die Forderungen lauter, dass er endlich in einem großen Spiel von Anfang an spielen muss. Ich denke auch, dass er sich diese Chance verdient hat. Und er wird sie auch bekommen.
Ob der derzeit angeschlagene Serge Gnabry, Thomas Müller oder Leroy Sané: In den nächsten Wochen wird Trainer Julian Nagelsmann immer mal wieder einen der Stars rausnehmen – und Musiala wird viele Spiele machen in dieser Saison. Das Gerede, dass für ihn in dieser Mannschaft kein Platz ist oder andere Stars vor ihm zittern müssen, ist kompletter Quatsch.
Mit Musiala und insbesondere der langjährigen Achse aus Torwart Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Thomas Müller und Robert Lewandowski gehört Bayern für mich eindeutig wieder zu den Favoriten in der Champions League – wobei für mich gilt: Der Favoritenkreis ist so groß wie nie zuvor. Manchester City, Paris St. Germain, der FC Chelsea, Bayern, Atlético Madrid, der FC Liverpool und Manchester United gehören dazu – das sind sieben Mannschaften, die schon fast allein die Viertelfinalrunde ausfüllen würden. Und das, obwohl der FC Barcelona, Real Madrid sowie die italienischen Klubs für mich nicht mehr zu den Favoriten gehören. Juventus Turin beispielsweise hat in der Serie A ohne Cristiano Ronaldo nur einen Punkt aus drei Spielen geholt. Das Barça ohne Lionel Messi ist nicht mehr das von früher.
Dafür kann Manchester United nach vielen enttäuschenden Jahren endlich wieder um den Titel mitspielen – die Mannschaft von Trainer Ole Gunnar Solskjær hat einen Wahnsinnskader und neben Ronaldo auch Spieler wie den früheren Real-Verteidiger Raphaël Varane oder den Ex-Dortmunder Jadon Sancho verpflichtet. Sie haben also fast so aufgerüstet wie Paris.
Die entscheidende Frage bei diesen Klubs und insbesondere bei PSG: Machen die Zauberer auch die Drecksarbeit? Bei den Galaktischen von Real Madrid haben sie das damals nicht gemacht – deshalb hat es auch nicht für einen Champions-League-Titel gereicht.
Prognose: Der FC Bayern gehört zu den Favoriten, dementsprechend ist alles drin bis zum Titel. Die Gruppe wird er gewinnen – bei allem Respekt vor dem FC Barcelona.
VfL Wolfsburg: Die Mannschaft von Trainer Mark van Bommel ist wie ein Chamäleon. Sie passt sich ihrem Gegner extrem gut an. Sie spielt keinen Hurra-Fußball, der einen vom Hocker reißt. Sie bringt genau das auf den Platz, was es braucht, um stabil und erfolgreich zu sein – ob im bisherigen Bundesligaverlauf gegen ein Topteam wie RB Leipzig oder einen Abstiegskandidaten wie Bochum oder Fürth. Deshalb ist der VfL auch zu Recht ohne Punktverlust national Tabellenführer.
Für van Bommel ist es – auch im Gegensatz zu Dortmund-Trainer Marco Rose – ein riesiger Vorteil, dass er aus seiner Spielerkarriere genau weiß, worauf es ankommt. Er hat hundertfach für den FC Barcelona, Bayern oder den AC Mailand in wichtigen Spielen auf dem Platz gestanden und für die defensive Stabilität seiner Mannschaften gesorgt. In Wolfsburg hat er dafür als Trainer eine Top-Mannschaft zur Verfügung – mit einer Top-Bank. Zuletzt beim 2:0 in Fürth saßen dort Kevin Mbabu, Daniel Ginczek, Dodi Lukebakio, John Anthony Brooks oder Renato Steffen. So viel Power hatte der VfL nicht immer.
Auch in Bezug auf die Belastungssteuerung mit der Doppelbelastung kennt sich van Bommel aus. Sie ist die größte Herausforderung in dieser Saison.
Prognose: Der FC Sevilla ist der Favorit in der Wolfsburger Gruppe – und auch Lille und Salzburg sind nicht zu unterschätzen. Ich bin mir aber sicher, dass der VfL im Januar noch im Europacup vertreten sein wird, also mindestens Platz drei in der Gruppe erreicht.
Borussia Dortmund: Für die Zuschauer ist ein 4:3 gegen Bayer Leverkusen wie am vergangenen Wochenende in der Liga natürlich ein Fest. Aber: Es hat auch mal wieder aufgezeigt, wo die Dortmunder Probleme liegen – und zwar in der Defensive. Neun Gegentore nach vier Spielen sind viel zu viele – mehr haben in dieser Saison nur Hertha BSC und Fürth bekommen.
Marco Rose steht als Trainer für Offensivfußball, hat allerdings auch in der vergangenen Saison mit Borussia Mönchengladbach schon 56 Gegentore bekommen. Damit ist klar, was beim BVB über Erfolg und Misserfolg entscheiden wird: die Stabilität und damit verbunden die Frage, ob Rose die Balance findet. Findet er sie, kann es eine grandiose Saison mit einem Titel werden. Gelingt ihm das nicht, droht eine enttäuschende Spielzeit – in der Liga und erst recht in der Champions League.
Über die Offensive brauchen wir nicht zu diskutieren. Topstürmer Erling Haaland gehört zu den besten Angreifern der Champions League. Und auch drumherum ist die Borussia hervorragend aufgestellt.
Prognose: Dortmund kommt in der Gruppe weiter – womöglich als Tabellenerster. Insgesamt ist das Viertel- oder sogar Halbfinale drin.
RB Leipzig: Was gibt es Schöneres, als in der Champions League bei Manchester City antreten zu dürfen? Auf jeden Fall nicht viel. In der Bundesliga hat RB mit drei Punkten aus vier Spielen einen Fehlstart hingelegt. Nun werden sie mit dem allerhöchsten Niveau konfrontiert, das es in Europa gibt.
Trotz der Probleme in der Liga und der zahlreichen Abgänge sage ich: Die Leipziger haben in den vergangenen Wochen immer wieder betont, wie stark ihr Kader ist und welche Ambitionen sie haben. Deshalb werden sie daran gemessen und müssen nun auch mit dieser Todesgruppe zurechtkommen. Geht es hier weiter wie in der Liga, haben sie eben in der Champions League in dieser Saison nichts zu suchen.
Prognose: In einer Gruppe mit Paris und Manchester City muss der dritte Platz der Anspruch sein, also die Qualifikation für die Europa League.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“