Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Zehn Thesen zum Ligastart Der Neuer-Nachfolger wird eine Überraschung
Am Freitag beginnt die Bundesliga – mit riesigem Potenzial für Überraschungen. Das betrifft Spieler genauso wie den Kampf um die Meisterschaft.
Die vergangenen neun Spielzeiten endeten allesamt mit dem Deutschen Meister FC Bayern München. Eine aufkommende Langeweile kann ich trotzdem keineswegs verspüren. Im Gegenteil. Die Bundesliga ist megaspannend und wird das auch bleiben. Union überrascht alle und zieht in den Europapokal ein, Gladbach stürzt ab und verpasst diesen, mit Schalke und Werder steigen frühere Topklubs ab – genau das sind doch die Überraschungen, die die Bundesliga ausmachen und uns in der vergangenen Saison beschäftigt haben. Und ich sehe die größte Chance seit zehn Jahren, dass in dieser Saison auch endlich an der Spitze eine Mannschaft steht, die die meisten dort heute nicht erwarten.
Am morgigen Freitag beginnt die neue Saison mit dem Auftaktspiel Borussia Mönchengladbach gegen den FC Bayern (um 20.30 Uhr im Liveticker bei t-online) – hier kommen meine Thesen.
Den besten Transfer hat Leipzig getätigt
Rechnet man die zunächst ausgeliehenen Angeliño und Benjamin Henrichs dazu, hat RB Leipzig rund 90 Millionen Euro ausgegeben für diverse Spieler. Zu den beiden kommen dazu: Stürmer André Silva (23 Mio.) sowie die Abwehrspieler Josko Gvardiol (19 Mio.) und Mohamed Simakan (15 Mio.). Bayern und Dortmund dagegen haben ihr Geld vorwiegend für einen Top-Transfer ausgegeben – Abwehrspieler Dayot Upamecano für knapp 45 Mio. beziehungsweise Stürmer Donyell Malen für 30 Mio.
Welche Strategie aufgeht, wird sich zeigen – für mich stechen aber doch zwei neue Spieler heraus.
Die Verpflichtung von André Silva von Frankfurt ist der vielleicht beste Transfer des Sommers insgesamt. Ich traue ihm noch mal eine Leistungsexplosion zu – um damit RB den Kick zu geben, den Pokal zu gewinnen und bis zum letzten Spieltag um die Meisterschaft mitzuspielen. Das Spiel in Leipzig ist perfekt zugeschnitten auf Silva, er wird womöglich noch bessere Zuspiele bekommen als in Frankfurt.
Der zweite Top-Transfer ist der von Torwart Gregor Kobel. Er war der Garant für die erfolgreiche Saison des VfB Stuttgart zuletzt und hat fantastische Anlagen. Der Schritt zum BVB ist genau der richtige zur rechten Zeit. Ich bin sehr gespannt, wie er mit dem höheren Druck umgeht – und traue ihm wirklich zu, nach Manuel Neuer als nächster Torwart eine Ära zu prägen. Das klingt vielleicht erstmal überraschend, aber vielleicht ist das der legitime Nachfolger von Neuer als bester Bundesliga-Torwart.
Der Bayern-Kader reicht nur unter einer Bedingung
Die Abgänge von David Alaba, Jérôme Boateng und Javi Martínez wiegen schwerer als die Verpflichtungen von Upamecano und Omar Richards. Der Kader des FC Bayern ist also Stand heute schwächer als in der Vorsaison. Trotzdem ist er für die Herausforderungen der neuen Saison gut besetzt – natürlich nur, wenn es keine großen Rückschläge in Form von Verletzungen oder Formschwächen gibt.
Ein großes Fragezeichen steht hinter Leroy Sané, der den Durchbruch noch immer nicht geschafft hat. Er muss vielleicht umdenken. Sein Ziel darf es nicht sein, ein paar Spiele auf Weltklasse-Niveau zu bestreiten, wenn er dann in den restlichen Partien unterdurchschnittlich performt. Sané muss versuchen, konstant gut zu spielen – dann kommt alles andere von allein.
Marcel Sabitzer sollte in Leipzig bleiben
Was passiert noch beim FC Bayern? Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass er Franck Ribéry oder Boateng zurückholt, die beide haben zuletzt auf dem Vereinsgelände trainiert. Oliver Kahn hat das als neuer Vorstandsvorsitzender entsprechend dementiert. Zurückrudern und jeweils eine Entscheidung gegen einen neuen Vertrag revidieren? So kenne ich Bayern auch nicht. Die Spekulationen der vergangenen Tage beruhen eher auf Fußballromantik und Träumereien. Zumal Julian Nagelsmann als neuer Trainer junge Spieler entwickeln will und muss. Kommen Boateng und Ribéry zurück, sind gleich zwei Türen für jüngere Spieler verschlossen.
Beim ebenfalls gehandelten Marcel Sabitzer dagegen ist entscheidend, was der Spieler will. Ich würde mir wünschen, dass er bis zu seinem Vertragsende im kommenden Jahr in Leipzig bleibt, sich jetzt hinstellt und sagt: "Ich bin hier Kapitän und ein wichtiger Baustein. Ich habe die große Hoffnung, in dieser Saison einen Titel zu gewinnen – deshalb werde ich meinen Vertrag erfüllen und vielleicht im kommenden Jahr den Verein wechseln." Im Frühjahr 2022 hat Sabitzer doch ganz andere Möglichkeiten – und nicht nur den FC Bayern als Option. Dann ist er 28 Jahre alt, also immer noch in einem sehr guten Alter für einen Wechsel.
Was Sabitzer nicht vergessen darf: Es gibt auch genug Beispiele von Spielern, die sich bei Bayern nicht entwickelt und durchgesetzt haben. Sabitzer wird in der Offensive nicht so extrem gebraucht wie der bereits gewechselte Upamecano in der Abwehr – die Voraussetzungen sind also ganz andere.
Es gibt eine Frage, die die Meisterschaft entscheidet
Die Chancen für einen anderen Meister als den FC Bayern stehen in dieser Saison so gut wie seit zehn Jahren nicht. Borussia Dortmund als ärgster Konkurrent hat hervorragende Voraussetzungen, weil Topstürmer Erling Haaland als Norweger keine Europameisterschaft gespielt hat – genau wie Marco Reus, der sogar freiwillig verzichtete, um sich auf diese Saison vorbereiten zu können. Beide sind topfit und extrem hungrig.
Reus hat seinem Klub bereits einen "meistertauglichen Kader" bescheinigt. Ich denke, dass es dem BVB insgesamt helfen würde, noch forscher und offensiver den Titel als das große Ziel auszurufen. Damit würden alle wissen: Da ist Druck drauf – und das würde durchaus weitere Kräfte freisetzen.
Die Frage, die die Meisterschaft entscheidet, ist aber die, wer seine Abwehr in den Griff bekommt und die Gegentore minimiert. Bayern hat letzte Saison 44 Gegentore kassiert, Dortmund sogar 46 – das sind natürlich deutlich zu viele.
Haaland und Silva haben vielleicht einen Vorteil gegenüber Lewandowski
Lewandowski bei Bayern, Haaland bei Dortmund, Silva in Leipzig – die Topklubs haben überragende Stürmer, die allesamt für 30 Saisontore oder mehr gut sind. Wird ein anderer als Lewandowski Torschützenkönig? Ganz entscheidend ist natürlich, welche Spieler es drumherum gibt, die sie einsetzen. Ich sehe die drei fast auf einem Niveau.
Wie groß ist der Hunger von Lewandowski nach den ganzen Erfolgen der letzten Jahre? Ich nehme ihm komplett ab, dass der noch da ist. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es für Haaland und Silva ein kleiner Vorteil ist, dass sie noch nicht Torschützenkönig oder Deutscher Meister geworden sind. Bei Lewandowski war es so, dass der Hunger besonders groß war, als er endlich die Champions League gewinnen wollte, weil er es eben noch nicht geschafft hatte.
Das Trainerbeben wird weitergehen
Nur vier Bundesliga-Vereine gehen mit dem Trainer in die neue Saison, mit dem sie auch in die vergangene in der ersten Liga gegangen sind: Freiburg mit Christian Streich, Hoffenheim mit Sebastian Hoeneß, Union Berlin mit Urs Fischer und Stuttgart mit Pellegrino Matarazzo. Allein statistisch gesehen wird der ein oder andere, der gerade den Verein gewechselt hat, nicht lange durchhalten und sich dann erklären müssen: War das die richtige Entscheidung, vielleicht einen Vertrag nicht erfüllt zu haben? Es kann gut sein, dass es hektisch und turbulent weitergeht auf den Trainerbänken.
Es wird ein Trio hinter dem Top-Trio geben
Gladbach, Leverkusen, Frankfurt – das sind die Klubs, die hinter Bayern, Dortmund und Leipzig um die Qualifikation für den Europapokal spielen werden. Besonders spannend wird die Frage, ob Hertha endlich mal wieder nach oben schauen kann. Allerdings bin ich da skeptisch. Der neue Sportchef Fredi Bobic hat Mittelfeldspieler Kevin-Prince Boateng zurück in die Bundesliga geholt. Dessen Weg in den vergangenen Jahren sehe ich allerdings sehr kritisch.
Boateng hat in den letzten fünf Jahren für die AC Mailand, UD Las Palmas, Eintracht Frankfurt, US Sassuolo, den FC Barcelona, Florenz, Besiktas Istanbul und Monza gespielt – also für acht Vereine. Das ist absoluter Wahnsinn und spricht nicht für ihn. Dazu kommt seine Verletzungsanfälligkeit und die Frage, ob er mit 34 Jahren das Tempo in der Liga noch mitgehen kann.
Van Bommel wird es schwer haben
Ich wünsche mir – und insbesondere auch ihm –, dass Mark van Bommel als neuer Trainer beim VfL Wolfsburg Erfolg hat. Einfach wird das allerdings nicht. Nach Platz vier in der Vorsaison muss er die Leistung zumindest bestätigen, sollte also auch den internationalen Wettbewerb erreichen. Er kann es sich nicht erlauben, mit dem VfL abzurutschen. Der Druck ist aber auch besonders groß, weil van Bommel ein großer Name ist. Ich freue mich total darüber, dass er die Herausforderung angenommen hat, aber die Messlatte ist schon sehr hoch.
Fünf Klubs machen die Absteiger unter sich aus
Die Aufsteiger Greuther Fürth, VfL Bochum sowie Köln, Bielefeld und Augsburg werden um Abstieg beziehungsweise Klassenerhalt spielen. Bei diesen Klubs reicht die Qualität im Normalfall einfach nicht für mehr. Ich gehe davon aus, dass sich Union Berlin auch im dritten Jahr Bundesliga im Mittelfeld halten wird. Union hat einfach ein hervorragendes Umfeld, Ruhe im Verein, einen Top-Trainer mit Fischer und immer wieder gute Transfers getätigt, mit denen sie Erfahrung dazu geholt haben.
Messi hätte besser das Herz entscheiden lassen
Die neue Mannschaft von Paris St. Germain mit Lionel Messi ist eine absolute Weltauswahl. Die große Frage ist: Funktioniert die auch als Team. Die Weltstars sind natürlich eitel, schauen in erster Linie auf sich statt auf die Mannschaft. Die "Galaktischen" von Real Madrid haben damals mit Luis Figo, David Beckham, Ronaldo, Michael Owen und Zinedine Zidane in zwei Jahren nur einen Supercup geholt, also auch nicht die Champions League gewonnen. Die Namen sind auch für PSG keine Garantie, dass das klappt.
Mir fällt es auch nach wie vor schwer, den Wechsel von Messi zu verarbeiten. Er wollte auf 50 Prozent seines Gehalts verzichten, um beim FC Barcelona bleiben zu können. Umso bitterer, dass das nicht gereicht hätte – und eine noch größere Gehaltskürzung aufgrund des Arbeitsrechts in Spanien unmöglich war.
Als ich den FC Bayern ein Jahr nach dem Champions-League-Sieg 2002 zum zweiten Mal verlassen habe, habe ich Borussia Mönchengladbach angeboten, für ein Mini-Gehalt zurückzukommen. Einfach, um den Kreis zu schließen und noch mal für den Verein zu spielen, mit dem ich gemeinsam weit gekommen und viele Erfolge gefeiert habe. Die Borussia hat sich damals einfach nicht zurückgemeldet, was wirklich schade war. Ich bin dann nach Wolfsburg und später Katar gewechselt. Was heutzutage komisch klingt, gilt aus meiner Sicht trotzdem: Geld ist nicht alles.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“