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Vor BVB – FC Bayern: "Die Illusion des Fußballs als Kulturgut ist zerplatzt"


Interview
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Fanforscher Jonas Gabler
"Die Illusion des Fußballs als Kulturgut ist zerplatzt"

  • Noah Platschko
InterviewEin Interview von Noah Platschko

Aktualisiert am 26.05.2020Lesedauer: 5 Min.
Thomas Müller mit Gesichtsmaske: Die Bundesliga erlebt mit den Geisterspielen eine völlig neue Herausforderung.Vergrößern des Bildes
Thomas Müller mit Gesichtsmaske: Die Bundesliga erlebt mit den Geisterspielen eine völlig neue Herausforderung. (Quelle: Poolfoto/imago-images-bilder)

Der BVB empfängt den FC Bayern zum Liga-Topspiel. Doch das Stadion bleibt leer. Die große Frage: Wie und wo verfolgen die Fans beider Vereine die Partie? Ein Fanforscher sucht nach Antworten.

Wer schießt die Tore der Partie? Bleibt der BVB am Rekordmeister dran? Kann Mats Hummels wirklich auflaufen? Es ist das Spiel der Spiele in Deutschland: Der Tabellenzweite Borussia Dortmund empfängt am Dienstagabend (ab 18.30 Uhr im Liveticker bei t-online.de) Spitzenreiter Bayern München. Und vor einem Kracherspiel wie diesem stapeln sich die Fragen der Fans. Jonas Gabler aber beschäftigt sich mit viel grundlegenderen Dingen des Profifußballs – speziell mit Blick auf diese besondere Partie.

Der Diplom-Politologe und Mitbegründer der Kompetenzgruppe Fankulturen & Sport bezogene soziale Arbeit (KoFaS) spricht im Interview mit t-online.de als Fanforscher über das anstehende Topspiel in der Bundesliga. Und er erklärt, wie sich die Rolle der Fans durch die Corona-Krise auf Dauer verändern könnte.

t-online.de: Herr Gabler, das Verhalten vieler Fan- und Ultra-Gruppierungen seit Ausbruch der Pandemie ist vorbildlich, bislang gab es kaum bis gar keine größeren Versammlungen. Wie sieht es vor dem Topspiel am Dienstagabend aus?

Jonas Gabler (38): Große Versammlungen rund um die Stadien wird es nicht geben. Das kann ich mir nicht vorstellen. Die spannendere Frage ist, inwieweit sich die Millionen Zuschauer und Fans im Land damit begnügen, das Spiel allein zu sehen – oder ob man sich doch privat trifft. Aber das betrifft dann nicht Ultras oder die organisierte Fanszene, sondern alle, die Fußball im Fernsehen konsumieren und verfolgen.

Mittlerweile sind Biergärten und teilweise auch Bars wieder geöffnet, die Wetterprognose für Dienstag kündigt für Dortmund und München Sonne und circa 20 Grad an. Wird es zu einem größeren Anlauf kommen?

Ich bin gespannt. Die Infektionszahlen sind im Moment sehr niedrig. Bars und Betriebe stehen zudem unter einem finanziellen Druck. Ich kann mir vorstellen, dass der ein oder andere sagt: "Lassen wir ein paar mehr rein." Dann drohen saftige Geldstrafen.

Andere Betreiber wiederum werden sich strikt ans Infektionsschutzgesetz halten. Was die Fans selbst angeht, glaube ich, dass viele aus Selbstschutz zu Hause bleiben und das Spiel nur im Radio oder im Ticker verfolgen werden. Wir werden keine Rückkehr zur Normalität erleben.

In den vergangenen beiden Wochen zeigte Sky jeweils die Konferenzen zur Kernzeit im Free-TV. Diese Sonderaktion ist nun ausgelaufen. Erhöht dies nicht die Gefahr etwaiger Versammlungen?

Nicht jeder hat ein Sky-Abo. Ich schätze, dass es aus epidemiologischer Sicht sinnvoller wäre, solche Angebote bis zum Ende der Geisterspiele fortzuführen. Auf der anderen Seite ist die Konferenz für Fans eines bestimmten Teams ohnehin nicht so interessant. Ich hoffe auf das Verantwortungsbewusstsein der Leute, keine Corona-Fußball-Partys in den eigenen vier Wänden zu veranstalten.

Je wichtiger eine Partie, desto emotionaler die Fans. In circa einem Monat fällt voraussichtlich die Entscheidung über Auf- und Abstieg sowie die Meisterschaft. Glauben Sie, dass die Emotionen zu kontrollieren sein werden, wenn die Fans mit ihrem Team mitfiebern und dieses Erlebnis mit Freunden teilen wollen?

Die Normalität bleibt weit, weit weg. So wie die meisten Menschen bis vor der Krise den Sport verfolgt haben, sprich mit Freunden, Bekannten, in Fanklubs – das ist und bleibt momentan nur eingeschränkt möglich. Auch noch Ende Juni, wenn es in die heiße Phase geht. Da hoffe ich auf die Vernunft der Leute.

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer befürchtete jüngst, Fans würden sich vor den Stadien versammeln – und das, obwohl zahlreiche Fanszenen schon seit Wochen ankündigten, die Spiele zu boykottieren. Unwissenheit oder Kalkül?

Herr Mäurer hat in der Vergangenheit nicht unbedingt immer mit Fachwissen über Fußballfankultur geglänzt. Darum vermute ich, dass es Unwissenheit war. Er knüpft damit an weitverbreitete Diskurse an, Fußballfans und gerade Ultras pauschal zu verteufeln und zum Feindbild zu machen. Alle Verlautbarungen von Fans im Vorfeld der letzten Spieltage wiesen daraufhin, dass sie sich an die Regeln und Vorgaben halten. Mäurers Befürchtungen sind für mich schwierig nachzuvollziehen.

Wie schätzen Sie nach nun zwei absolvierten Spieltagen die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz des Restarts ein?

Man kann es nicht pauschal sagen. Wir haben auf der einen Seite den Großteil der organisierten Fanszenen, die vor dem Restart dagegen waren und ihre Meinung bis heute auch nicht geändert haben. Was nicht unbedingt heißt, dass die Spiele nicht verfolgt werden. Man kann dagegen sein und trotzdem gucken.

Darüber hinaus glaube ich, dass es viele gab, die Fußball ohnehin weitestgehend im Fernsehen verfolgt haben. Für die ändert sich verhältnismäßig wenig. Und dann gibt es noch eine dritte Gruppe, die sich generell nicht für Fußball interessiert. Bei diesen Menschen herrscht ein großes Befremden, dass der Fußball wieder loslegen durfte.

Wie stehen Sie zu dieser Thematik?

Ambivalent. Ich sehe das Dilemma der DFL und die Schwierigkeit, bestehende (TV-)Verträge einzuhalten. Das Ganze ist komplizierter und kostspieliger, als sich der ein oder andere Fan das vorstellen mag. Trotzdem läuft der Fußball Gefahr, einen Imageverlust zu erfahren. Bei Teilen der Fans, aber auch bei anderen Teilen der Gesellschaft, die sagen: "Das hat mit Sport nichts mehr zu tun." Das ist der Knackpunkt.

Was genau ist der Knackpunkt?

Der Fußball ist nun vordergründig eine Unterhaltungsindustrie. Und wir sehen, dass diese Industrie funktioniert. Die Illusion des Fußballs als Kulturgut ist zerplatzt. Das, was nun passiert, widerspricht dieser Illusion, an deren Aufrechterhaltung der Fußball in Form der Verbände und Vereine in der Vergangenheit mitgewirkt hat. Der Fußball ist gut beraten, nach der Krise wieder eine gute Balance zwischen Unterhaltungsindustrie und gesellschaftlichem Kulturgut herzustellen. Da ist es dann auch mit kleinen kosmetischen Eingriffen nicht getan.

Glauben Sie, dass die Fangruppen gestärkt aus dieser Krise gehen werden?

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Das Unterhaltungsprodukt Fußball lebt einfach von den Fans im Stadion. Man sieht derzeit, dass die Atmosphäre auf dem Feld eine andere ist. Auf dem Feld fehlt komplett eine Emotionalisierung, die sich auch von den Rängen auf die Spieler überträgt. Das hat man gerade bei den Derbys zwischen Hertha und Union sowie Dortmund gegen Schalke gesehen.

Die Corona-Krise hat Argumente für eine inhaltliche Auseinandersetzung zwischen den Fanorganisationen, den Vereinen und den Verbänden geliefert. Christian Seifert (Geschäftsführer der DFL, Anm. d. Red.) will auch eine Taskforce "Zukunft Profifußball“ einberufen. Andererseits kann ich mir auch vorstellen, dass schnell business as usual einkehrt, weil der Leidensdruck bei den Vereinen wieder geringer werden wird. Es kann dann sein, dass zwar Maßnahmen getroffen werden, die aber den organisierten Fans nicht ausreichen werden.

Wie könnten diese aussehen?

Es könnte eine Art Sicherheitsfonds geben. Dass ein Verein mehr Kapitalrücklagen haben muss und Vorgaben getroffen werden, dass die Klubs bei einer Aussetzung des Spielbetriebs nicht gleich Gefahr laufen, in die Insolvenz zu gehen.

Doch ob sich grundsätzlich etwas daran ändert, dass die Interessen der TV-Kanäle oder der Sponsoren stärker gewichtet werden als die der Fans im Stadion – oder ob ans Mark und die Verteilung der TV-Einnahmen herangegangen wird und die Entwicklung, dass die Liga mehr und mehr zweigeteilt wird, eingedämmt und gestoppt wird, daran habe ich meine Zweifel.

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