Zwischenzeugnis 100 Tage Pep
Von Mark Weidenfeller
"Guten Tag und Grüße Gott, meine Damen und Herren." Mit diesen Worten begrüßte Pep Guardiola die anwesenden Journalisten bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im Dienste des FC Bayern. Das war am 24. Juni und ist somit mittlerweile genau 100 Tage her. Zeit für ein erstes Zwischenfazit. Wie hat sich der spanische Trainer bislang beim Rekordmeister geschlagen?
Ein Blick auf die Zahlen verrät: sehr ordentlich. Zehn von zwölf Pflichtspielen wurden gewonnen. Lediglich im Super-Cup-Finale gegen Dortmund (2:4) gingen die Triple-Bayern als Verlierer vom Platz, in Freiburg reichte es nur zu einem Unentschieden (1:1). Doch es läuft noch lange nicht alles rund. Denn nicht nur Philipp Lahm gab zu: "Wir haben ein bisschen Zeit gebraucht, um uns an ihn zu gewöhnen". Auch Mario Mandzukic verriet: "Ich hatte Probleme mit Guardiolas System."
Aber was genau ist eigentlich Guardiolas System? Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen dem neuen Trainer, Sportvorstand Matthias Sammer und Präsident Uli Hoeneß? Und wie findet sich der Spanier in seiner neuen Heimat zurecht? t-online.de hat Pep unter die Lupe genommen und versucht, genau diese Fragen zu beantworten.
Das System
Tiki Taka, falscher Neuner, fluide Spieler. Die Diskussionen über die neue Taktik des Rekordmeisters waren ebenso vielfältig wie kontrovers. „Das System ist nicht wichtig“, erklärte Guardiola immer wieder. Und dennoch hat er einige Veränderungen an dem in der Vorsaison so erfolgreichen Team vorgenommen.
Vor allem das Mittelfeld hat er kräftig durcheinander gewirbelt. Nachdem in der letzten Saison Bastian Schweinsteiger und Javi Martinez auf der Doppelsechs zu einem Weltklasse-Duo heranreiften und die Mannschaft zum historischen Triple führten, gibt es dieses Traumpaar inzwischen nicht mehr. Guardiola baut – wie beim FC Barcelona - auf drei variable Spieler in der Schaltzentrale.
Auf der Sechser-Position hat sich etwas überraschend Philipp Lahm durchgesetzt. "Er ist für mich der intelligenteste Spieler, den ich je trainiert habe", lobte Guardiola seinen Kapitän, den er als rechter Außenverteidiger für verschenkt hält. Vor Lahm setzt Guardiola auf zwei technisch starke Spieler wie Bastian Schweinsteiger oder Toni Kroos. Gemeinsam bilden sie so ein Dreieck, das an das magische Barca-Herzstück Sergio Busquets, Xavi und Andres Iniesta erinnern soll.
Entscheidend im System Pep sind aber vor allem die ständigen Positionswechsel. Stoßstürmer Mandzukic taucht schon mal auf dem Flügel auf, Arjen Robben plötzlich in der Spitze, Franck Ribéry am eigenen Strafraum. Bei Ballbesitz rücken zudem die beiden Außenverteidiger mit ins zentrale Mittelfeld und schaffen so eine Überzahl, die "taktisch nicht zu verteidigen" ist, wie Ex-Nationalspieler Christoph Metzelder nach dem 4:0-Kantersieg auf Schalke feststellte.
Genau das will Guardiola sehen. "Wir wollen das Spiel kontrollieren", sagte er immer wieder. Die Bayern setzen auf Ballbesitz. Aber anders als noch unter Louis van Gaal werden Ball und Gegner ständig laufen gelassen. Das Spiel des Rekordmeisters ist geprägt von scharfen, klaren Pässen, die Bälle werden mit möglichst wenigen Kontakten weitergeleitet. "Das Positions- und Passspiel der Bayern ist überragend. Es ist enorm schwierig, überhaupt mal in einen Zweikampf zu kommen", erkannte Kevin-Prince Boateng neidlos an.
Fazit: Die Bayern-Spieler haben etwas Zeit gebraucht, um die Ideen des neuen Übungsleiters zu verstehen. Inzwischen wird die Handschrift von Pep aber immer deutlicher sichtbar, auch wenn der perfekte Barca-Stil noch ein gutes Stück entfernt ist. Der Optimismus ist nach wie vor groß: "Ich bin ziemlich sicher, dass diese beiden Kulturen langsam verwachsen. Ich bin überzeugt, dass daraus etwas ganz Fruchtbares entstehen kann", sagte Hoeneß.
Die Zusammenarbeit mit Sammer und Hoeneß
Dem Bayern-Präsidenten ist noch immer anzumerken, wie sehr es ihn freut, den wohl begehrtesten Trainer der Welt an die Säbener Straße gelockt zu haben. Der 42-Jährige ist für Hoeneß ein echter Volltreffer: "Es macht sehr, sehr viel Spaß, mit ihm zu arbeiten. Er ist ein total offener Mensch, trägt sein Herz auf der Zunge. Ich bin sehr happy, dass wir ihn hier haben", sagte Hoeneß.
Wie kommunikativ Guardiola ist, merkten die Bayern-Verantwortlich besonders deutlich auf der fast schon legendären Pressekonferenz im Trainingslager am Gardasee. Dort plauderte der Trainer offenherzig aus, dass er unbedingt Thiago Alcantara vom FC Barcelona nach München holen würde: "Thiago oder nix", sagte er und verkündete somit - zur großen Überraschung und Freude der anwesenden Medienvertreter - einen Mega-Transfer bevor dieser überhaupt perfekt war.
Eigentlich unvorstellbar beim FC Bayern. Dachte man. Denn nur wenige Tage später landete Thiago dann tatsächlich am Münchner Flughafen und gehört seitdem zum Kader des Rekordmeisters. Eine Geschichte mit enormer Aussagekraft: Denn Guardiola weiß ganz klar, was er will. Und ihm ist (fast) jedes Mittel recht, um seine Ziele (in diesem Fall die Verpflichtung Thiagos) zu erreichen.
Er ist dabei, den FC Bayern umzukrempeln. Doch er tut das nicht so presslufthammerartig wie Jürgen Klinsmann, der Buddhas aufstellen ließ, eine Bibliothek einrichtete und vollmundig ankündigte, „jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser machen“ zu wollen. Guardiola geht geschickter vor. Er gibt sich sympathisch, wirkt aufgrund seines Akzents immer ein wenig zurückhaltend und vermeidet großspurige Ansagen.
Das kommt gut an in München. Vor allem seine akribische Arbeit überrascht alle. "Er hört trotz seiner Erfolge nicht auf, täglich zu arbeiten", sagte Hoeneß. Selbst an trainingsfreien Tagen sitze Guardiola oft bis spät in den Abend am Klubgelände und brüte über Verbesserungsmöglichkeiten. Das gefällt auch Sammer, der eine ähnliche Besessenheit an den Tag legt. "Ich rede täglich mit Matthias", sagte Guardiola, der sportlich auf einer Wellenlänge mit dem Sportvorstand liegt.
Fazit: Guardiola ist in der großen Bayern-Familie angekommen und weiß genau, wie der Verein funktioniert. Er hat sich für den Weg der leisen Revolution entschieden – und fährt damit bislang bestens. "Das Wichtigste bei Pep ist für mich, dass ich in ihm einen wunderbaren Menschen und einen Vereinsfreund erkenne", sagte Sammer. Das Verhältnis zu Hoeneß und Sammer könnte nicht besser sein.
Wie gefällt es Pep?
Neben dem Sportlichen ist also auch das Menschliche von enormer Bedeutung beim FC Bayern. Und auch das scheint zu stimmen. Guardiola hat mehrmals betont, dass er sich pudelwohl fühlt in der bayrischen Landeshauptstadt. München findet er "supersupersuper".
So supersupersuper, dass er sogar darüber nachdenken soll, einen renovierten Bauernhof im Süden der Stadt zu erwerben. Selbst das Oktoberfest gefällt dem bekennenden Weinliebhaber "Schönschönschön. I like it. Bier und Party", sagte er.
Fazit: Guardiola hat noch viel vor beim Rekordmeister und in München. Nach seiner Zeit beim FC Barcelona brauchte er eine neue Herausforderung. Diese hat er beim FC Bayern gefunden, Guardiola brennt förmlich auf die kommenden Aufgaben. "Sobald ich das Feuer nicht mehr spüre, gehe ich zum Präsidenten, um mich zu verabschieden", sagte er. Momentan ist die Beziehung zwischen Pep und den Bayern allerdings erst dabei, richtig zu entflammen.