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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Große Bundesliga-Überraschung Stuttgarter Höhenflug auch Bayerns Schuld
Der VfB Stuttgart fordert den FC Bayern am Sonntag im Topspiel heraus. Mit drei ehemaligen Münchnern als Säulen des Überraschungsteams der Liga.
Wenn der FC Bayern am Sonntag (19.30 Uhr) den VfB Stuttgart empfängt, hat der Südgipfel, wie das Duell der beiden Teams gerne genannt wird, diesen Namen auch wieder verdient. Der Tabellenzweite der Bundesliga trifft dabei nämlich auf den drittplatzierten VfB, das große Überraschungsteam der bisherigen Saison. Mit einem Sieg in der Allianz Arena könnten die Schwaben (31 Punkte) den Rekordmeister (32) sogar überholen und damit nach dem 1:5 am vergangenen Wochenende in Frankfurt endgültig in eine vorweihnachtliche Krise stürzen.
Diese Niederlage habe "das Feuer geweckt, das so nicht stehenzulassen", sagte Bayern-Trainer Thomas Tuchel und kündigte an: "Wir wollen eine Reaktion zeigen." Eine erste war bereits am Dienstag beim 1:0-Sieg in der Champions League bei Manchester United zu beobachten. Der zweifellos wichtigere Teil der Mission Wiedergutmachung folgt für die Bayern jetzt im Heimspiel. Dabei gilt es schließlich, im Meisterschaftskampf an Tabellenführer Leverkusen dranzubleiben und den VfB auf Distanz zu halten.
"Wir wissen um die Bedeutung", sagte Tuchel vor der "großen Herausforderung" gegen die Stuttgarter, die er "auf extrem hoher Flughöhe" wahrnimmt. Tuchel sieht beim formstarken VfB, der zuletzt Borussia Dortmund in der Liga (2:1) sowie im Pokal (2:0) besiegte und Leverkusen an den Rand einer Niederlage brachte (1:1), voller Wertschätzung "eine konstante Überperformance". Und erklärte: "Sie sind zusammen mehr als die Summe ihrer Einzelteile und stehen mit Leverkusen verdient da, wo sie stehen."
Zu dem wegweisenden Topspiel gibt es viele Geschichten zu erzählen, etwa die des Duells der Trainer, der Teams, der Torhüter und nicht zuletzt der beiden Toptorjäger Harry Kane (18 Ligatore) und Serhou Guirassy (16). Im Mittelpunkt des Aufeinandertreffens steht aber vor allem auch das Wiedersehen der Bayern mit drei Ex-Münchnern, die wichtige Säulen des Stuttgarter Überraschungserfolgs bilden: Chefcoach Sebastian Hoeneß, Mittelfeldmann Angelo Stiller und Torhüter Alexander Nübel.
So viel Bayern steckt in Stuttgarts Höhenflug
Sebastian Hoeneß: Der 41-Jährige übernahm den VfB im April auf dem letzten Tabellenplatz. Über die Relegation gegen den Hamburger SV führte seine Mannschaft noch zum Klassenerhalt und nun bis auf Rang drei sowie ins Pokalviertelfinale. Der in München geborene Sohn von Dieter Hoeneß macht sich so immer mehr seinen eigenen Namen.
"Große Kampfansagen wird es nicht geben", sagte er angesprochen auf das anstehende Familienduell mit Bayern und seinem Onkel Uli Hoeneß bei DAZN. Aber: "Wir haben Lust, nach München zu fahren und dort die Bayern zu ärgern." Ab 2017 hatte er – zunächst als U19-Coach – bereits bei Bayern gearbeitet und 2020 die U23 sensationell als Aufsteiger zur Drittligameisterschaft geführt.
15. Spieltag
Freitag, 20.12.
Samstag, 21.12.
Diese Erfahrung habe "ihm sicherlich sehr geholfen, dann auch den Sprung in den Profibereich so schnell hinzubekommen", sagte Bayerns Campus-Boss Jochen Sauer, zuletzt im t-online-Interview: "Mich wundert seine Entwicklung nicht." Wo die nach den Stationen in Hoffenheim (2020–2022) und beim VfB noch hinführen könnte? Möglicherweise sogar mal zurück nach München.
"Wir beobachten seine Entwicklung", sagte Vorstandschef Jan-Christian Dreesen im Oktober. Genau wie Dreesen werde auch er "sicherlich nichts ausschließen", ließ Hoeneß nun wissen, "aber aktuell ist es für mich kein Thema und es gehört sich nicht, konkret darüber zu sprechen."
Angesprochen auf Hoeneß wollte auch Tuchel freilich nicht "über meine eigene Nachfolge" spekulieren. "Im Moment bin ich hier", sagte er grinsend, "wer weiß, wie lange ..." Mit dem bevorstehenden Familienduell habe er nichts zu tun. "Wir werden wie immer so versuchen zu spielen, dass Uli glücklich ist", stellte er trotzdem klar. Den Stuttgarter Lauf nannte Tuchel "sehr beeindruckend, sie spielen sehr attraktiv, sehr kompakt. Und das ist die Handschrift von Sebastian."
Angelo Stiller: "So etwas wie mit Angelo Stiller sollte uns nicht mehr passieren", sagte Sauer im t-online-Interview. Warum? "Angelo hat alle Jugendmannschaften am Campus bis zur 3. Liga durchlaufen und ist dann ohne Entschädigung nach Hoffenheim gegangen, von dort für fünf oder sechs Millionen Euro weiter nach Stuttgart, wo er sich weiter sehr, sehr gut entwickelt. Da hätten wir die Früchte unserer Ausbildungsarbeit besser ernten müssen."
Während Bayern nun im zentralen Mittelfeld nach Verstärkungen sucht, überzeugt der 22-jährige Stiller genau dort als Fixpunkt beim VfB. Genau das war er zuvor schon bei Hoeneß in Bayerns U23-Meistermannschaft sowie in Hoffenheim, wohin er ihm im Sommer 2021 folgte. "Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich um ihn gekämpft habe", sagte Hoeneß über seinen Wunschspieler, den er im Sommer zum VfB holte. "Er weiß, wie ich ticke und ich weiß, was ich von ihm bekomme."
Er sehe sich "als Spielgestalter – als mutigen Spieler, der immer den Ball haben will und der Mannschaft Struktur geben möchte", sagte Stiller bei DAZN über seine Rolle. Deswegen harmoniere das gut mit Hoeneß' Vorstellungen. Mehr noch: "Er macht jeden einzelnen Spieler besser."
Und Stiller macht momentan den VfB besser. Mit 93,55 Prozent hat er die beste Passquote aller Mittelfeldspieler der Bundesliga und sich auch damit sogar in den Fokus der Nationalelf gespielt. Eine Nominierung von Bundestrainer Julian Nagelsmann wäre längst keine Überraschung mehr.
Die Bayern verließ er damals schweren Herzens, weil er dort keine Perspektive für sich sah und ihm Marc Roca und Tiago Dantas als Konkurrenten vor die Nase gesetzt wurden. "Es ist wie ein Heimatklub für mich", sagte Stiller, der aus München kommt und in der Nähe der Säbener Straße zur Schule gegangen ist. Aber: "Es war auf jeden Fall eine bewusste Entscheidung. Ich habe mich bereit gefühlt, Bundesliga zu spielen." Im Nachhinein könne man "klar sagen, dass es ein richtiger Schritt war".
Darin bestätigen dürfte ihn auch, dass die Verantwortlichen beim Rekordmeister sich mittlerweile sehr über seinen ablösefreien Abschied ärgern.
Alexander Nübel: Der Torhüter ist der dritte Erfolgsgarant des VfB Stuttgart mit Münchner Vergangenheit. Nachdem er zuvor zwei Jahre lang auf Leihbasis in Monaco gespielt hatte, ist er nun – erneut als Leihspieler – zu den Schwaben gewechselt. Dort zeigt er sein ganzes Potenzial, das auch die Bayern in ihm sahen, als sie ihn 2020 als potenziellen Nachfolger von Nationaltorhüter Manuel Neuer verpflichteten.
Er strahlt viel Sicherheit aus und hilft maßgeblich dabei, die Defensive zu stabilisieren. In acht der 17 bisherigen Pflichtspiele blieb er ohne Gegentor, im Pokal ließ er noch keinen einzigen Treffer zu. Kein Wunder, dass Sportdirektor Fabian Wohlgemuth ankündigte, nichts unversucht lassen zu wollen, den 27-Jährigen beim VfB auch über diese Saison hinaus zu halten.
Nübel steht allerdings noch bis Sommer 2025 bei Bayern unter Vertrag. Da Neuer seinen Kontrakt dort kürzlich ebenfalls bis dahin verlängert hat, hat Nübel dort wohl weiterhin keine Perspektive. Dass er zu gut für die Ersatzbank ist, zeigt er momentan jedenfalls eindrucksvoll in Stuttgart.
Dass einer der drei genannten Protagonisten noch mal nach München zurückkehren wird, ist trotzdem keinesfalls auszuschließen. Sie wären nicht die Ersten, die Stuttgart als Sprungbrett zum FC Bayern nutzen, wie unter anderem Giovane Elber, Mario Gomez oder Joshua Kimmich das in der Vergangenheit taten.
Das VfB-Kürzel, das eigentlich für "Verein für Bewegungsspiele" steht, wird in München deshalb nicht umsonst gerne auch mal anders interpretiert: als "Vorschule für Bayern". Im Fall von Hoeneß, Stiller und Nübel war es bislang allerdings umgekehrt und Bayern der Ausbildungsverein, von dem die Stuttgarter aktuell profitieren.
- Eigene Recherche
- t-online-Interview mit Jochen Sauer
- DAZN-Interview mit Sebastian Hoeneß
- DAZN-Interview mit Angelo Stiller
- Pressekonferenz von Thomas Tuchel am 15. Dezember