Bei Bankettrede Bayern-Boss stichelt gegen Trainer Tuchel
Mit dem 3:1 in Istanbul feierten die Münchner einen wichtigen Erfolg. Chef Jan-Christian Dreesen konnte sich dennoch einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.
Thomas Tuchel verließ die "Hölle" von Istanbul mit einem seligen Lächeln. Und das wich auch nicht aus seinem hageren Gesicht, als sich sein Chef Jan-Christian Dreesen nach der kurzen Busfahrt vom Rams Park ins noble Teamhotel "Raffles" in Istanbul einen kleinen Seitenhieb gegen den Trainer des FC Bayern erlaubte.
"Ich bin sicher", sagte Vorstandsboss Dreesen im feudalen Ballsaal unter goldener Deckenbeleuchtung über die kommenden Aufgaben mit der erwarteten Rückkehr von Manuel Neuer, "dass die Kreativität des Trainers auch da wieder Früchte tragen wird". Seine Spitze in Sachen Kaderplanung, bei der er mit Tuchel seit Wochen über Kreuz liegt, versah Dreesen am Ende vergnügt mit einem "lieber Thomas".
"Verrückte" erste Halbzeit
Es war die passende Pointe eines wilden Abends in ohrenbetäubendem Lärm, den die Bayern laut Dreesen "wie neben einem Düsenjet" erlebten. Und in dessen Verlauf die Personaldebatten heftigst wieder aufflammten, sich in Wohlgefallen auflösten – und schließlich von höchster Stelle neu entfacht wurden. Nach Dreesens Bankettrede hatten er und Tuchel an Tisch 25 über goldumrandeten Tellern mit Silberbesteck bei gegarter Rinderschulter und Baklava reichlich Gelegenheit, sich auszutauschen. Und beide Seiten hatten gute Argumente.
Die "verrückte" erste Halbzeit (Dreesen) beim 3:1 (1:1) bei Galatasaray, in der die Bayern im überkochenden Hexenkessel so viele Torschüsse zuließen wie noch nie in 45 Minuten Champions League (16), schien Tuchel zu bestätigen: Das letzte Aufgebot noch ohne Neuer, der am Samstag gegen Darmstadt zurückerwartet wird, war den stürmischen Türken nicht gewachsen.
"Kompliziert" nannte Tuchel diese Phase. Chefkritiker Matthias Sammer wurde bei Prime Video deutlicher: "Das würde mich nachdenklich machen", sagte er. "Das ist nicht das erste Mal." Und Galatasaray, Höllenlärm hin oder her, sei nicht "high level". So, bilanzierte Sammer streng, "wird es schwierig werden".
Doch die zweite Hälfte bestätigte Dreesen, der den Kader mehrfach für ausreichend erklärt hatte und diesbezüglich nicht zum ersten Mal auf Tuchels "Kreativität" zu sprechen kam. Nach den Treffern von Kingsley Coman (8.) und Mauro Icardi (30., Foulelfmeter) brachten Torjäger Harry Kane (73.) und Jamal Musiala (79.) einen glücklichen Sieg. Rang eins in Gruppe A ist gefestigt, das Achtelfinal-Ticket könnte schon im Rückspiel am 8. November gebucht werden.
Optimistische Blicke nach vorne
Vor ein paar Wochen noch, sinnierte Kapitän Joshua Kimmich, wäre eine solche Reaktion "wahrscheinlich nicht" möglich gewesen. "Daher sind wir auf jeden Fall einen Schritt weiter." Torwart Sven Ulreich ergänzte nach seinem vorerst wohl letzten Spiel als Neuer-Vertreter stolz: "Wir haben den Gegebenheiten getrotzt." Matthijs de Ligt meinte: "Am Ende waren wir erwachsen."
Auch Tuchel sah Positives. "Unsere vordere Reihe ist halt immer extrem gefährlich", sagte er. Insbesondere Kane, obwohl der diesmal lange nicht eingebunden war. Tuchel staunte über die "Bierruhe" des Engländers, der beim Bankett bis Mitternacht Autogramme schrieb und konstatierte: "Wir werden jede Woche besser."
Und so blickte die Reisegruppe am Mittwochmittag auf Sonderflug TK 3272 nach München doch noch "sehr optimistisch" nach vorne, wie Dreesen versicherte. Auf das voraussichtliche Comeback von Neuer etwa, das Tuchel aber noch nicht bestätigen wollte. "Wir werden erst mit Manu reden", sagte er.
Stellvertreter Ulreich jedenfalls beteuerte, er werde sich "natürlich" klaglos auf die Bank setzen: "Ich kenne meine Rolle." Die Mannschaft, versicherte Kimmich, freue sich für Rückkehrer Neuer. "Nur er selbst weiß, was für einen harten Weg er gegangen ist."
Noch nicht am Ende seines Weges ist auch Noussair Mazraoui, der sich vom Palästina-Wirbel nichts habe anmerken lassen, wie Ulreich bestätigte. Der Marokkaner saß beim Bankett sogar an einem Tisch mit dem israelischen Ersatztorhüter Daniel Peretz. Dreesen allerdings kündigte in der Causa "weitere Gespräche" an, "das Thema beschäftigt uns", bekannte er. Das dürfte mindestens bis Winter auch für die Kader-Diskussionen gelten.
- Nachrichtenagentur SID