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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Transferoffensive verläuft im Sand Trotz Harry Kane: Hat sich der FC Bayern verzockt?
Der FC Bayern wollte in diesem Sommer reihenweise große Namen holen. Geklappt hat das nur bedingt. Trotz des Kane-Transfers: Bayern könnte sich verzockt haben.
Am Samstag ist es so weit: Der FC Bayern startet im Super Cup gegen RB Leipzig in die neue Saison. Nachdem die vergangene Spielzeit beim deutschen Rekordmeister von Chaos geprägt war und nur mit Ach und Krach die Deutsche Meisterschaft gewonnen werden konnte, soll jetzt alles besser werden.
Zu diesem Zweck haben die Münchner keinen Stein auf dem anderen gelassen und ihre Führungsriege komplett umgekrempelt: Vorstandsboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić wurden durch Jan-Christian Dreesen und Christoph Freund ersetzt. Zudem übernehmen die Aufsichtsratsmitglieder Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge wieder eine aktivere Rolle im Verein.
So besetzt wollten die Bayern in diesem Sommer die große Transferoffensive starten. Abwehr, Mittelfeld, Sturm – auf gleich mehreren Schlüsselpositionen sollte der Kader verstärkt werden. Mit der bevorstehenden Verpflichtung von Harry Kane ist den Bayern zwar ein wahrer Königstransfer gelungen (alle Entwicklungen dazu lesen Sie hier). Doch die Strahlkraft von Kane droht andere Probleme zu überdecken. Denn: Der FC Bayern wird mit eklatanten Lücken auf Schlüsselpositionen in die Saison starten. Der deutsche Rekordmeister könnte sich verzockt haben.
Drei Transfers, aber Bayern will mehr
Zum Überblick: Neben Kane haben die Bayern bislang drei Neuzugänge zu verzeichnen. Raphaël Guerreiro kam ablösefrei aus Dortmund. Der Portugiese dürfte auf seiner Position hinter Alphonso Davies aber maximal Rotationsspieler werden und ist darüber hinaus aktuell wieder einmal verletzt. Ebenfalls ablösefrei stieß Konrad Laimer aus Leipzig zu den Bayern. Er ist zwar ein nomineller Sechser, jedoch nicht mit der bei Bayern noch gesuchten defensiven Ausrichtung. Jüngst verpflichteten die Bayern Min-jae Kim für 50 Millionen Euro vom SSC Neapel, stopften damit aber lediglich die Lücke, die der Abgang von Lucas Hernández zu PSG hinterließ.
Guerreiro, Laimer, Kim: Sie alle sind fraglos gute Transfers. Doch für die Schlüsselpositionen wollte der FC Bayern andere Kaliber. Gleich mehrere Statements sollten her, Königstransfers sollten es sein – und dafür richteten die Münchner ihren Blick vor allem in eine Richtung: die zurzeit beste Liga der Welt, die Premier League.
Declan Rice: Er bleibt in England
Erstes heißes Gesprächsthema an der Säbener Straße: Declan Rice. Der 24-jährige Engländer spielte bei West Ham United eine überragende Saison, führte seine Mannschaft als Kapitän zum Titel in der Conference League. Entsprechend heiß begehrt war der defensive Mittelfeldspieler bei den internationalen Topklubs. Auch für Bayern-Coach Thomas Tuchel war er der ausgemachte Wunschspieler für das defensive Mittelfeld.
Nachdem zunächst berichtet wurde, Rice könne sich einen Wechsel nach München gut vorstellen, entschied er sich dann relativ schnell in der Heimat zu bleiben. Für rund 120 Millionen Euro ging es zum englischen Vizemeister FC Arsenal. Es war die erste Pleite für die Bayern.
Kyle Walker vor der Kehrtwende
Transferziel Nummer zwei war erneut ein großer Name und erneut ein Engländer. Kyle Walker vom Champions-League-Sieger Manchester City sollte die Bayern auf der Außenverteidiger-Position verstärken. Als Führungsspieler für das zuletzt doch recht führungslos wirkende Bayern-Team soll auch er ein ausgemachter Wunschspieler Tuchels sein. Und tatsächlich: Schon vor Wochen legten Berichte nahe, Walker habe Bayern zugesagt. Die Münchner müssten sich nur noch mit den City-Verantwortlichen einigen.
Eine solche Einigung lässt nun aber schon seit Wochen auf sich warten, der Transfer stockt. Jüngste Berichte legen gar nahe, Walker habe sich umentschieden. Die City-Bosse um Trainer Pep Guardiola hätten ihn mit einem neuen Angebot von einem Verbleib überzeugen können. Noch ist der geplatzte Transfer nicht offiziell, doch alles sieht nach der nächsten Schlappe für den deutschen Branchenprimus aus.
Harry Kane: Reicht er?
Und allen voran war da die Posse um Harry Kane. Die mögliche Verpflichtung des Star-Stürmers bestimmte über Wochen die Schlagzeilen – und das Handeln der Bayern-Bosse. Immerhin hatten sie sich in den vergangenen Wochen auf Kane als oberste Priorität eingeschossen.
Das Bemühen der Bayern ist mehr als verständlich, zählt Kane doch neben Erling Haaland zu den wohl zwei besten Stürmern der Welt. Doch der Transfer war zeit- und kostenintensiv. Die anderen Baustellen konnte man in der Zwischenzeit deshalb nicht schließen. Und das Berichten zufolge gegen den ausdrücklichen Wunsch von Thomas Tuchel, der wohl auf die Verpflichtung eines defensiven Sechsers pochte.
Auch das Tor wird zur Baustelle
Und damit nicht genug: Während die Bayern-Bosse um Kane feilschten, hat sich eine neue Lücke im Bayern-Kader aufgetan. Durch die nun wohl doch langwierigere Verletzung Manuel Neuers ist auch im Tor eine neue Baustelle entstanden. Sven Ulreich ist aktuell der einzige fitte Profi-Keeper im Kader. Genau jener Sven Ulreich, den die Bayern-Bosse noch im Januar nicht als Nummer eins im Tor sehen wollten und stattdessen zehn Millionen Euro für ein halbes Jahr mit Yann Sommer (mittlerweile Inter Mailand) investierten.
Angesichts der zahlreichen anderen Baustellen im Bayern-Kader können die Bayern froh sein, dass sich Tottenhams verhandlungsstarker Klubboss Daniel Levy am Ende doch noch erweichen ließ und das insgesamt vierte Kane-Angebot über mehr als 100 Millionen Euro annahm. Ohne Kane: Das Transferdesaster der Bayern wäre perfekt gewesen.
Angesichts der zahlreichen verbleibenden Baustellen so kurz vor Saisonstart müssen sich die Bayern-Bosse dennoch die Frage gefallen lassen, ob sie bei ihrer Transferstrategie nicht auf das falsche Pferd gesetzt haben. Englische Topspieler aus ihrer Heimatliga loszueisen – die noch dazu die zurzeit beste der Welt ist – ist traditionell schwierig. Auch für eine namhafte Adresse wie den FC Bayern. Denn die Premier League ist, was das Niveau und die finanziellen Möglichkeiten angeht, zunehmend konkurrenzlos. Selbst Mittelklasse-Klubs wie West Ham investieren mittlerweile über 100 Millionen Pfund in Transfers.
Ein anderes Konzept war erfolgreicher
Das sind Zahlen, die auch dem FC Bayern nicht verborgen geblieben sein dürften. Statt sich also auf gleich allen Schlüsselpositionen auf einen David-gegen-Goliath-artigen Kampf einzulassen und viel Zeit und Geld zu investieren, um am Ende nur eine Lücke zu schließen, wäre es für die Münchner wohl günstiger und vor allem effektiver gewesen, stattdessen auf weniger bekannte Spieler zu setzen, die dennoch das Anforderungsprofil erfüllen. Es ist eine Strategie, die die Münchner schon in der Vergangenheit erfolgreich verfolgten und die sie im europäischen Spitzenfußball zum Einhorn machte – zu einem außerordentlich erfolgreichen noch dazu.
So verpflichteten die Bayern etwa 2012 Stürmer Mario Mandžukić, der zwar innerhalb der Bundesliga nach einer starken Saison beim VfL Wolfsburg bekannt war, sich jedoch noch keiner internationalen Berühmtheit erfreute. Schlappe 13 Millionen Euro flossen für den Transfer an den VW-Klub. Dafür wurde der kroatischen Stürmer ein wesentlicher Bestandteil der Elf, die 2013 die Champions League gewann.
Auch Joshua Kimmich war alles andere als ein Star, als Bayern ihn 2015 für nur 1,5 Millionen Euro vom VfB Stuttgart verpflichtete. Mittlerweile ist er seit Jahren eine tragende Säule bei den Bayern und in der Nationalmannschaft.
Bayern hat keine Wahl
Weitere Namen? Serge Gnabry (acht Millionen aus Bremen), Dante (4,7 Millionen aus Gladbach) und sogar auch Kingsley Coman (21 Millionen von Juventus Turin) sind alle Beispiele für verhältnismäßig günstige Transfers, die sich in München mindestens zu verlässlichen Stammspielern, Topscorern oder im Falle von Coman sogar zu Champions-League-Siegtorschützen entwickelten.
Die Beispiele zeigen: Die Bayern waren immer in der Lage, Spieler zu finden, die für ihre Spielidee passten – unabhängig von großen Namen und üppigem Preisschild. Auch in diesem Jahr waren sie auf dem Markt: die Niclas Füllkrugs (Marktwert: 13 Mio.) und Ellyes Skhiris (ablösefrei) dieser Welt. Wohl getrieben von der schwachen vergangenen Saison, wollten die Münchner in dieser Transferperiode aber lieber Ausrufezeichen setzen.
So bleiben auch nach der Verpflichtung von Harry Kane die anderen Lücken im Kader vorerst offen. Bis zum Ende der Transferperiode am 1. September wird der FC Bayern dann nicht darum herumkommen, sich wieder auf alte Stärken zu besinnen und die Lücken mit Effektivität statt Geld zu schließen. Zumal im Falle eines Kane-Transfers nicht mehr viel Geld übrig sein dürfte.
- fcbayern.com: "FC Bayern nimmt Raphaël Guerreiro unter Vertrag"
- sportbuzzer.de: "Schock für FC Bayern: Neuzugang Guerreiro fällt vorerst aus"
- spiegel.de: "Laimer geht zu Bayern, aber Werder gelingt der Coup des Tages"
- tz.de: "Perfekt: FC Bayern gibt Transfer von Min-jae Kim bekannt – "Bester Verteidiger der Serie A"
- dw.com: "Declan Rice – Wechsel zum FC Bayern nach Europapokalsieg?
- sport.sky.de: "Sechser-Kante gesucht! So ist der Stand bei Tuchels Wunschspieler"
- sport1.de: "Englischer Rekord-Transfer fix!"
- tz.de: "Nächster Bayern-Neuzugang im Anflug: Kyle Walker informiert Guardiola über Wechselwunsch"
- n-tv.de: "Wunschtransfer des FC Bayern wohl geplatzt"
- tz.de: "Geheimes Telefonat zwischen FC Bayern und Tottenham: Einigkeit im Kane-Poker?"
- theathletic.com: "Tottenham, Bayern still apart in Harry Kane valuation, with striker leaning towards stay" (Englisch)
- transfermarkt.de: "West Ham knackt als Neunter 100-Mio-Marke: Cornet kommt von Absteiger Burnley"
- transfermarkt.de: Profile von Mario Mandžukić, Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Dante, Kingsley Coman, Niclas Füllkrug und Ellyes Skhiri