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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Fatale Niederlage gegen Leipzig Bayern hat die Meisterschaft nicht verdient
Bayern München scheitert gegen Leipzig auch beim nächsten Charaktertest gnadenlos. Der Rekordmeister wäre des Titels schlicht nicht würdig. Denn er hat ein Führungsproblem.
Vom FC Bayern berichtet Julian Buhl aus München
Das Heimspiel gegen RB Leipzig sollte zum Meisterstück des FC Bayern werden, zur finalen Machtdemonstration der – nach zuletzt drei Siegen in Folge – vermeintlich wiedergewonnenen Stärke.
Es wurde aber ein weiteres Debakel. Denn das Duell mit den formstarken Leipzigern war nicht weniger als das entscheidende Endspiel im Kampf um den nationalen Ligatitel mit Verfolger Borussia Dortmund – und die Münchner haben es mit 1:3 verloren.
Sie vergaben damit die große Chance, diese missratene Spielzeit nach dem Viertelfinal-Aus in DFB-Pokal und Champions League trotz aller Schwierigkeiten und Formschwankungen, die den Rekordmeister seit Monaten begleiten, zumindest noch zu einem versöhnlichen Ende zu führen.
Der FC Bayern hat den Titel einfach nicht verdient
Diese finale Saisonrettungsmission ist aber krachend gescheitert – und zwar bereits jetzt und unabhängig davon, ob Bayern sich am 34. Spieltag die elfte Meisterschaft in Folge doch noch sichern wird oder nicht. Denn die haben die Münchner in dieser Saison einfach nicht mehr verdient.
Zu viele zweite Chancen haben sie dafür bekommen und ungenutzt gelassen, bisweilen sogar fahrlässig wieder aus der Hand gegeben. Den Titel am Ende doch noch überreicht zu bekommen – möglicherweise durch einen weiteren Patzer des BVB –, wäre des FC Bayern schlicht nicht würdig.
In der eigenen Hand haben sie das jetzt sowieso nicht mehr. Mit einem Sieg am Sonntagabend beim FC Augsburg könnte die Borussia, die noch mit neun Punkten Rückstand auf Bayern in die WM-Pause gegangen war, die Tabellenführung übernehmen und erstmals auf zwei Punkte davonziehen. Mit einem weiteren Erfolg im abschließenden Heimspiel gegen Mainz wäre ihnen die Meisterschaft nicht mehr zu nehmen.
Ein trauriges Déjà-vu für den FC Bayern
Vor genau vier Wochen war der FC Bayern schon einmal in der exakt gleichen Situation: Mit der Partie in Mainz stand damals das schwierigste und damit wichtigste Auswärtsspiel in der verbleibenden Saison an. Ein Sieg wäre wohl der entscheidende Schritt auf dem Weg Richtung Meisterschaft gewesen.
Doch Bayern verlor die Partie und damit auch Platz eins an den BVB. Den konnten die Münchner ohnehin nur durch ein äußerst diskutables 1:1 der Dortmunder in Bochum, bei dem der Schiedsrichter der Borussia einen klaren Foulelfmeter verwehrte und sich dafür hinterher sogar entschuldigte, noch einmal zurückerobern.
Gegen Leipzig erlebte der FC Bayern aber ein trauriges Déjà-vu und gab dieses Geschenk erneut aus der Hand. Warum? Trainer Thomas Tuchel wirkte bei seinen Erklärungsversuchen genauso ratlos wie die Verantwortlichen und seine Spieler.
Kimmich: "Ein Spiegelbild unserer Saison"
"Es ist nicht das erste Mal in dieser Saison, dass man das Gefühl hat, es bricht alles zusammen, wenn ein Gegentor fällt, wenn die Situation schwierig wird oder Widerstand entsteht", sagte Vorstandsboss Oliver Kahn. "Wir brechen komplett weg in der zweiten Halbzeit", sagte auch Joshua Kimmich und sprach nicht ohne Grund von einem "Spiegelbild unserer Saison": "Es ist auch kein Zufall, wenn man sieht, dass uns das so oft passiert."
Das war gegen Leipzig so und unter anderem auch in Mainz (1:3) und Leverkusen (1:2), wo Bayern jeweils ebenfalls mit 1:0 zur Halbzeit führte, nach dem Seitenwechsel aber dennoch die Kontrolle und auch das Spiel verlor. Die Münchner haben ganz offensichtlich ein Führungsproblem: Denn in 33 Ligaspielen brachten sie gerade mal 20 ihrer 28 Führungen über die Zeit.
Bayern scheitert erneut am Charaktertest
Tuchel hatte schon die Partie in Mainz zum Charaktertest für seine Mannschaft erklärt, nichts anderes war nun die gegen Leipzig. Die Bayern sind daran zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen gnadenlos gescheitert. "Das sind gute Jungs, die eben vielleicht eine Saison brauchen, um vielleicht auch mal zu lernen, wie es ist, wenn man keinen Titel hat", verteidigte Sportvorstand Hasan Salihamidzic den von ihm zusammengestellten Kader.
Vielleicht muss dieser Worst Case beim FC Bayern jetzt einfach eintreten, um möglicherweise auch so manchem Verantwortlichen endgültig die Augen zu öffnen. Um die neue Realität zu erkennen, in der der FC Bayern sich jetzt befindet: Die nationale Unantastbarkeit des vergangenen Jahrzehnts und so vieler zuvor gehört nämlich der Vergangenheit an. Wenn die Bayern das in all seiner Konsequenz erkennen, werden die notwendigen Gegenmaßnahmen wohl umso konsequenter und weitreichender ausfallen.
Der Blick in die Historie dürfte für die Münchner Ansporn und die Konkurrenz gleichzeitig eine Warnung sein. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass der FC Bayern sich nach empfindlichen Niederlagen und verpassten Titeln neu aufstellt und erfindet. Der Rekordmeister schlug dann meist umso härter zurück. Nach den bislang letzten beiden Dortmunder Meisterschaften 2011 und 2012 zuletzt mit zehn Meistertiteln in Folge – und jeder einzelne war ein verdienter.
- Eigene Beobachtungen in der Allianz Arena
- Gespräche in der Mixed Zone mit Oliver Kahn, Joshua Kimmich und Hasan Salihamidzic
- Pressekonferenz von Thomas Tuchel