Jamal Musiala Der Hoeneß-Schreck
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nächster Galaauftritt "von" Jamal Musiala. Der Bayern-Youngster macht nicht nur Robert Lewandowski vergessen. Er hat auch schon Uli Hoeneß übertroffen.
Jamal Musiala war schon fast am Ausgang der Mixed Zone angekommen. Wie zuvor auf dem Platz um seine Gegenspieler schlängelte er sich nun hier an den wartenden Reportern vorbei. Als er von dem Sonderlob hörte, mit dem ihn Oliver Kahn wenige Minuten zuvor an gleicher Stelle im Bauch der Allianz Arena bedacht hatte, stoppte er aber noch einmal. "Das ist natürlich eine Riesenehre für mich", sagte er darauf angesprochen zu t-online, bevor er dann endgültig in den lauen Münchner Sommerabend verschwand.
"Ich war gerade in der Kabine und habe ihm gesagt, dass da mehr kommen muss", hatte der Vorstandsboss des FC Bayern über den beim 2:0 gegen den VfL Wolfsburg erneut überragenden Shootingstar gescherzt, bevor er dann ganz ohne Ironie hinzufügte: "Was er im Moment spielt, ist schon outstanding, außergewöhnlich."
Kahn schwärmt von Bayerns X-Faktor
Musiala trägt mit seiner Qualität und Kreativität entscheidend dazu bei, dass die Bayern den Abschied von Robert Lewandowski zumindest für den Moment fast schon vergessen machen und das Offensivspiel der Münchner nun derart unberechenbar und gefährlich ist. Der 19-Jährige ist aktuell Bayerns X-Faktor – und mit vier Treffern in den ersten drei Pflichtspielen auch der Toptorschütze.
"Er ist super in die Saison gestartet. Da gibt es keine Diskussion", sagte Kahn, "das Tor, das er gemacht hat, sieht man auch nicht so oft, das war überragend." Musiala ließ sich bei seinem Treffer zum 1:0 (33.) auch nicht von zwei Gegenspielern aufhalten, die ihn unmittelbar vorm Strafraum eigentlich bereits zu Boden gebracht hatten.
"Vor allem der Moment, dass er da wieder hochkommt, dann die Schussposition hat und noch mal kurz eine Hundertstelsekunde überlegt, welche Ecke er nimmt. Das ist schon klasse", schwärmte Kahn weiter: "Diese Ruhe zu haben im Kopf, das sieht man richtig. Es sind schon viele Dinge, die zusammenkommen, die ihn im Moment so stark machen."
Musiala übernimmt Hoeneß-Rekord
Mit seinem insgesamt 14. Tor in seinem 59. Pflichtspiel hat Musiala eine Bestmarke von Uli Hoeneß übertroffen und hält nun den alleinigen Rekord als Bayern-Teenager mit den meisten Treffern. Bis zum 26. Februar hat er noch Zeit, ihn weiter auszubauen.
Das Supertalent wirkt aber stets so, als ob ihm der ganze Rummel um seine Person fast schon ein wenig unangenehm zu sein scheint. Er ist ohnehin ein eher zurückhaltender Typ. Den Spitznamen "Bambi" bekam er nicht nur wegen seiner braunen Augen und seinen langen, dünnen Beinen von seinem Kumpel Leroy Sané verpasst.
Er lässt lieber Taten auf dem Platz für sich sprechen – und ist dabei auf dem besten Weg, in die Fußstapfen der ganz großen Klublegenden wie Hoeneß oder gar Gerd Müller zu treten: vom Bambi zum Bomber!
Magic Musiala ist er schon jetzt, weil er sowohl seine Gegenspieler als auch seine Teamkollegen mit seinen zauberhaften Bewegungen immer wieder ins Staunen bringt. Thomas Müller, der Joshua Kimmichs Distanzschuss zum 2:0 ins Tor abfälschte (43.), sprach etwa von einem "unglaublichen Schlangentalent, das er mitbringt".
Musiala versteht es schließlich wie kaum ein anderer, sich um seine Gegenspieler zu winden. "Sein Dribbling ist super. Er ist ein Spieler, der die Kombination mag. Wir haben eine sehr gute Verbindung", führte Müller weiter aus: "Er öffnet viele Räume durch seine Dribblings. Es macht einfach Spaß mit ihm."
Müller als Musialas Mentor
Nicht wenige sehen in Müller übrigens Musialas Mentor. Auf dem Platz spricht der 32-Jährige jedenfalls oft mit seinem 13 Jahre jüngeren Teamkollegen, coacht ihn und vermittelt ihm möglicherweise auch ein wenig von seinen Raumdeuterfähigkeiten weiter.
"Er soll so weitermachen und sich bloß am Riemen reißen. Wir peitschen ihn schon, wenn er zu wenig macht", sagte Müller mit einem Augenzwinkern. "Jamal versucht an sich zu arbeiten. Das ist das, was ihn neben seinem Talent am meisten auszeichnet. Und er spielt halt einfach gerne gut Fußball."
Sportvorstand Hasan Salihamidzic, der Musiala 2019 aus dem Nachwuchsprogramm des FC Chelsea in das der Bayern holte, sagte: "Er ist ein super Junge, trainiert sehr gut, ist professionell, hat keine anderen Sachen im Kopf. Bei ihm habe ich überhaupt keine Sorgen. Und wir passen alle auf ihn auf."
Musiala überlässt nichts dem Zufall, was seine Profikarriere angeht. In diesem Sommer begann er bereits ein paar Tage vor dem offiziellen Start der Saisonvorbereitung mit dem Training, um seinen Torabschluss zu verbessern. Außerdem arbeitet er privat regelmäßig mit einem Neuroathletik-Trainer zusammen, um zum Beispiel seine Regeneration, Bewegungsabläufe oder auch die Ballverarbeitung zu optimieren.
Seine Ernährung hat er mithilfe eines Experten ebenfalls umgestellt. Er verzichtet nun beispielsweise größtenteils auf Eier, isst weniger Nudeln und Weizen und stattdessen mehr Kartoffeln.
Musiala genoss bei Bayern übrigens auch noch die legendäre Hermann-Gerland-Schule. Der Tiger (68), wie der ehemalige Co-Trainer der Bayern genannt wird, schickte den Jungstar zum Beispiel auch an sein legendäres Kopfballpendel, was Musiala nach seinem ersten Kopfballtor im April 2021 beim 3:2 gegen Wolfsburg mit einem breiten Grinsen im Gesicht erzählte.
Salihamidzic sieht in ihm bereits "mehr als ein Toptalent, weil er sein Potenzial auf den Platz bringt. Es ist einfach klasse, wie er jetzt spielt, wie er sich durchsetzt, sich dreht, sich in den engen Räumen bewegt." Es sei schlicht "eine Augenweide, ihm zuzuschauen".
Wird er nun zum Golden Boy?
Nachdem Musiala im vergangenen Jahr beim "Golden-Boy-Award" auf Platz drei gelandet war, gilt er nun als heißester Anwärter auf den Titel als Europas bester Nachwuchsspieler. Salihamidzic würde darin "eine Auszeichnung für den ganzen Klub" sehen, "das wäre eine schöne Sache für uns alle, vor allem für ihn".
Musiala "gibt unserem Spiel mit seinen Qualitäten in der Offensive viel, aber das ist jetzt auch nix Neues", sagte Müller. Dessen Fernschuss beeindruckte aber freilich auch den Routinier: "Dass er den trocken unten links reinhämmert, das war vom Feinsten." Hat er ihm das alles etwa beigebracht? "Nein, ich kann ihm das nur sagen, zeigen nur ab und zu", scherzte Müller auf t-online-Nachfrage.
"So einen Start habe ich mir vorgenommen, dass ich alles gebe, mehr Tore und mehr Effizienz in mein Spiel bringe", sagte Musiala, noch bevor er die Arena verließ und stellte sofort wieder das Team in den Mittelpunkt: "Die Dinge laufen wirklich gut für uns, wir spielen guten Fußball. Wir spielen sehr flexibel, wechseln unsere Positionen, suchen uns gegenseitig, kombinieren. So müssen wir einfach weitermachen in der Future."
Also in der Zukunft. In diesem charmanten Mix aus Deutsch und Englisch spricht Musiala häufig und streut gerne mal Worte wie "amazing" oder "flow" ein. Zuletzt redete er davon, mit Mitspieler Sadio Mané auf einer "Wavelength", der gleichen Wellenlänge, zu sein.
Seine Mutter ist Deutsche mit polnischen Wurzeln, sein Vater stammt aus Nigeria. Bis er sieben Jahre alt war, lebte Musiala noch in Stuttgart, bevor die Familie dann nach England übersiedelte. Nachdem er noch größtenteils die Nachwuchsteams des englischen Verbands durchlaufen hatte, entschied er sich im vergangenen Jahr dann aber doch für die deutsche A-Nationalelf. Dort weckt er nun große Hoffnungen.
Effenberg, Matthäus und Ballack schwärmen
"Wenn das Leistungsprinzip zählt, muss Musiala jetzt gesetzt sein – und zwar auch bei der Nationalmannschaft", schrieb Stefan Effenberg in seiner t-online-Kolumne, "er kann nämlich auch bei der WM ein absoluter Unterschiedsspieler werden."
Auch Sky-Experte Lothar Matthäus glaubt: "Mit Musialas Fähigkeiten kann in Zukunft auch die deutsche Nationalmannschaft bei großen Turnieren wieder um den Titel spielen." Musiala habe sogar das Zeug dazu, ihn irgendwann als bisher einzigen deutschen Weltfußballer zu beerben, so der Rekordnationalspieler: "Er hat die Möglichkeiten, auf allerhöchstem Niveau den gewissen Unterschied zu machen".
Der ehemalige Bayern-Star Michael Ballack sagte bei DAZN anerkennend: "Der scheißt sich nix. Er bringt so viel mit, ist auch im Strafraum unheimlich ruhig, das kannst du nicht lernen."
In seiner aktuellen Form macht sich der Jungstar in Bayerns Startelf endgültig unverzichtbar. In der Mannschaft sei der schon immer sehr gut integriert, wie Müller verrät, "auch im Bus, wenn wir was zocken". Schafkopf, wie einst noch mit Philipp Lahm und Manuel Neuer, werde allerdings nicht mehr gespielt, verriet Müller schmunzelnd, "sondern modernes Nintendo-Switch-Mario Kart. Da geht's ab."
Auch und vor allem dank Musiala kann man genau das momentan auch über Bayerns Offensive sagen.
- Eigene Beobachtungen
- Gespräche in der Mixed Zone mit Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic und Jamal Musiala und Thomas Müller
- Die t-online-Kolumne von Stefan Effenberg: "Die Bayern haben eine große Schwäche"
- transfermarkt.de: "Profil von Jamal Musiala"
- sport.sky.de: "Der kommende Weltfußballer? Musiala hat das Zeug zum Helden"
- wikipedia.org: "Eintrag zu Jamal Musiala"