Vorbild für viele Generationen Deshalb ist Ali der größte Sportler aller Zeiten
Von Thomas Tamberg
Wenn Muhammad Ali auf einem entfernten Kontinent wieder einmal seinen WM-Titel im Boxen verteidigt hat, dann war es in Deutschland meist tiefste Nacht. Es ist eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen. (Foto-Show: Das Leben von Muhammad Ali)
Meine Eltern achteten eigentlich penibel darauf, dass ich kleiner Knirps ausreichend Schlaf bekam. Aber wenn Ali in den Ring stieg, musste ich dabei sein. Ob ich wollte oder nicht. Mein Vater bestand darauf, dass ich um drei Uhr mitten in der Nacht mit ihm vor dem Fernseher saß und mir die Boxkämpfe Alis anschaute.
Schlüsselmoment in Atlanta
Ich hatte es nach meiner Kindheit und Jugend eigentlich verdrängt und lange nicht darüber nachgedacht. Erst rund 20 Jahre später, als ich einen vermeintlich bemitleidenswerten ehemaligen Boxer sah, wie er von Parkinson gezeichnet mit zitternder Hand 1996 in Atlanta das Olympische Feuer entzündete, fielen mir diese gemeinsamen Box-Nächte mit meinem Vater wieder ein und ich begann, mich erneut für Muhammad Ali zu interessieren.
Als Boxer war er über fast zwei Jahrzehnte lang seinen Konkurrenten meilenweit voraus. Er ließ es alle wissen. Er sei der Größte, Beste, Schönste und so weiter…rief er bei jeder Gelegenheit in die Welt hinaus. Wer kann sich das schon leisten und wird trotzdem von allen geliebt? Ali.
Ein Anführer - auch außerhalb des Boxrings
Weil er sich nicht als Boxer definierte, sondern als Mensch. Weil er den Sport dazu nutzte, Botschaften in die Welt zu senden. Jede Pressekonferenz mit ihm wurde zum Ereignis. Er liebte Kinder und hasste Ungerechtigkeiten. Er war leidenschaftlich, humorvoll, blitzgescheit, hatte ein riesiges Herz, den Mut eines Löwen und war stets bereit, die Verantwortung für sein Handeln zu tragen. Nicht nur im Ring. Er war ein Anführer in der besten Bedeutung des Wortes.
Ali konvertierte in den sechziger Jahren zum Islam. Er weigerte sich, am Vietnam-Krieg teilzunehmen ("kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt"). Er wurde zu fünf Jahren Gefängnis und 10.000 Dollar Geldstrafe verurteilt. Gegen Kaution blieb der Boxer aber auf freiem Fuß. doch wegen einer fehlenden Box-Lizenz stieg er dreieinhalb Jahre nicht in den Ring. Ali bot den politisch Handelnden dennoch die Stirn und ist damit eine weltweite Inspiration für alle Menschen, die für die Freiheit kämpfen. Mit seinem Auftritt in Atlanta 1996 demonstrierte er eindrucksvoll, wie unwichtig Äußerlichkeiten sind. Auf die innere Haltung kommt es an.
Ein "Werte-Leuchtturm" für viele Generationen
Und so war er für viele Generationen ein Werte-Leuchtturm, an dem man sich orientieren konnte. Der einem – wenn man es zuließ – den Spiegel der eigenen Unzulänglichkeiten vorhielt.
Jede Epoche hat ihre eigenen Helden. Wer weiß heute schon genau, was vor dreißig, fünfzig oder hundert Jahren war. Auch bei mir war Muhammad Ali eigentlich schon vom Radar verschwunden. Und doch war er immer präsent. Er ist für mich der größte Sportler aller Zeiten. Mit gewaltigem Abstand.
Gewaltiges Vermächtnis
Daher bin ich meinem Vater unendlich dankbar, dass er mich nachts aus dem Bett geholt hat. Dieser Text ist ein Versuch, anderen Generationen zu verdeutlichen, welche Bedeutung Muhammad Ali hatte. Googeln Sie seinen Namen, lesen Sie seine Biographie. Schauen Sie seine Kämpfe an, seine Interviews…es lohnt sich. Sein Vermächtnis wird bleiben. Und es ist gewaltig.