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Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser: Aufregung um Auftritt – "brandgefährlich"


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"Antiwestlicher Verschwörungsunternehmer"
Auftritt von Daniele Ganser sorgt für Sturm der Entrüstung


Aktualisiert am 07.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Aufritt von Daniele Ganser im Rahmen der Jazztage Dresden: Im Mai soll der umstrittene "Friedensforscher" in Leinfelden-Echterdingen auftreten. (Quelle: IMAGO/Andreas Weihs)
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Große Aufregung um eine Veranstaltung von Daniele Ganser in der Region Stuttgart: Kritiker befürchten eine Verharmlosung des Holocaust und Verschwörungstheorien.

Daniele Ganser ist ein Verschwörungstheoretiker, der in letzter Zeit vor allem mit der Verharmlosung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Schlagzeilen macht. Im Mai soll er in Leinfelden-Echterdingen vor den Toren Stuttgarts auftreten. Das sorgt nun für eine Welle der Entrüstung – vor Ort, aber auch im Internet. Aktivisten wollen mit einer Kundgebung gegen Ganser und seine Veranstaltung protestieren. Auch Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung von Baden-Württemberg, ist empört.

Das Problem an Daniele Ganser: Er umgibt sich gerne mit anderen Verschwörungstheoretikern sowie Neonazis, Holcoaustleugnern und "Querdenkern" wie Ken Jebsen, Michael Ballweg oder dem Gründer der Wehrsportgruppe, Karl-Heinz Hoffmann. Die Corona-Pandemie vergleicht Ganser gerne mit dem Holocaust und den Umgang von Nicht-Geimpften mit den Methoden des Dritten Reiches. Und das, obwohl der Historiker sich selbst als "Friedensforscher" bezeichnet.

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"Ich halte Daniele Ganser für einen antiwestlichen Verschwörungsunternehmer"


Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter


Der Titel des angekündigten Vortrages: "Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?" Ernsthafte Antworten auf die Frage dürfte Ganser nach Meinung zahlreicher Experten allerdings nicht liefern. "Ich halte Daniele Ganser für einen antiwestlichen Verschwörungsunternehmer, der mit der Verbreitung von Verschwörungsmythen seit Jahren Geld verdient", sagt etwa der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg, Michael Blume, zu t-online. "Zudem verharmlost er durch Gleichsetzungen mit der Covid-19-Pandemie auch den Holocaust und verhöhnt damit die Ermordeten", so Blume weiter.

Seit 1988 pflegten die Städte Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt und Ostfildern eine Städtepartnerschaft mit der ukrainischen Stadt Poltawa. "Ich bedauere daher besonders, dass mitten in diesem russischen Angriffskrieg dem Schweizer Daniele Ganser auf den gleichen Fildern nun eine Bühne geboten wird, um die tapfere Verteidigung der Ukraine als westliche Verschwörung zu bezeichnen", so Blume weiter.

Tübinger Wissenschaftler Gestwa findet deutliche Worte

Auch Klaus Gestwa, Professor und Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen, hält Ganser für "brandgefährlich", wie er zu t-online sagt. Er orientiere sich schon seit Längerem an der Haltung und den Narrativen der Autorin und ehemaligen ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz, der Putin-Propaganda vorgeworfen und die von Osteuropahistorikern ebenfalls scharf kritisiert wird.


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"Ganser lässt sich von seiner andächtig lauschenden Anhängerschaft als Welterklärer abfeiern"


Klaus Gestwa, Osteuropaforscher


Ganser sei, so Gestwa, "bei bekannten Alternativmedien wie Nachdenkseiten, Rubikon, KenFM wiederholt in Erscheinungen getreten". Mit seinen Büchern und Vorträgen gelte er als Star der deutschsprachigen Verschwörungsszene, so der Tübinger Wissenschaftler weiter. "Bei seinen Vorträgen füllt er trotz hoher Eintrittsgebühren große Säle, um sich mit Headset vor großer Leinwand wie ein smarter Marketingexperte eines Weltkonzerns von seiner andächtig lauschenden Anhängerschaft als Welterklärer abfeiern zu lassen."

Stadtverwaltung weist Kritik zurück

Es sind nicht die ersten Stimmen, die sich kritisch zu Daniele Ganser und seine Thesen äußern. Und doch stößt die Kritik an ihm bei der Stadt Leinfelden-Echterdingen offenbar auf taube Ohren. Stattdessen führt man dort die Meinungsfreiheit ins Feld.

Der Ältestenrat der Stadt Leinfelden-Echterdingen – darin sind Mitglieder des Gemeinderats vertreten – habe kürzlich "einstimmig und ohne lange Diskussion empfohlen, die Veranstaltung mit Daniele Ganser in der Filderhalle nicht abzusagen", teilt ein Pressesprecher der Stadt t-online mit. Er folge "damit der Auffassung der Stadtverwaltung, die – wie andere Städte auch – nach gründlicher Prüfung zu dem Ergebnis gekommen war, dass Herr Ganser zwar Verschwörungstheorien zugewandt ist, das jedoch unter die Meinungsfreiheit fällt", heißt es weiter. Und die sei "in einer Demokratie ein hohes Gut".

Auch Erkundigungen bei den Ordnungsbehörden hätten kein anderes Ergebnis erbracht, teilt die Stadt Leinfelden-Echterdingen mit. "Antisemitische Äußerungen konnten wir in dem von uns begutachteten Material nicht feststellen. Das wäre für die Stadtverwaltung ein Grund gewesen, die Veranstaltung absagen zu lassen", so der Sprecher weiter. Insgesamt 1.000 Tickets zu je 30 Euro wurden bereits verkauft. Damit ist die Veranstaltung ausverkauft. Doch finanzielle Überlegungen hätten keine Rolle gespielt, so ein Sprecher der Stadt.

Expertin wirft Ganser Holocaustverharmlosung vor

Zu diesen Vorwürfen hatte t-online jedoch etwa mit Rebecca Seidler, Geschäftsführerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, gesprochen: Sie zeigte sich ob einer ähnlichen Veranstaltung in Niedersachsen entsetzt: "Krude Verschwörungserzählungen, die häufig in antisemitischen Sprachbildern enden, sind keine Grundlage für eine gesunde Debattenkultur, sondern schlichtweg nicht zu akzeptieren", sagte sie.

In einem niederländischen Dokumentarfilm über die Corona-Pandemie zog Ganser Vergleiche zum Dritten Reich und dem Holocaust. Dieser Wahnsinn sei "lokal" gewesen, "aber jetzt ist weltweit Wahnsinn", behauptete Ganser. Geimpfte und Ungeimpfte zögen "wie zwei Armeen" gegeneinander. "Die Logik seiner Aussagen lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden", sagt Sozialpsychologin Pia Lamberty. Sie wirft Ganser deshalb vor, den Holocaust zu verharmlosen.

Eine Nachfrage, wie intensiv diese Recherchen der Stadt Leinfelden-Echterdingen waren und welche Quellen hierzu geprüft wurden, blieb bis Montagabend unbeantwortet.

Gegenprotest von zahlreichen Gruppen geplant

Das Bündnis "Solidarität statt Hetze" will daher nun gegen die Veranstaltung mobil machen. Auch der Antisemitismusbeauftragte Michael Blume will sich diesen Protesten anschließen. "Wenn Verschwörungstheorien unter dem Deckmantel der freien Meinungsfreiheit in städtischen Gebäuden geäußert werden, darf das nicht unwidersprochen stehen bleiben", sagt Ralf Berti vom Bündnis Solidarität statt Hetze.

Nach Informationen von t-online werden sich viele Vertreter von Parteien und anderer Organisationen beteiligen: SPD, Grüne, Die Linke, Demokratie in Bewegung, Verdi, DGB, IG Metall, Fridays for Future, Initiative Antifaschistische Filder, Aufstehen gegen Rassismus, Schutzgemeinschaft Filder und weitere. Das teilten die Aktivisten des Recherche-Kollektivs NazifreiFilder am Montag mit.

Michael Blume kündigte an, bei der Veranstaltung "gerne ruhig, freundlich, aber deutlich" über Daniele Ganser aufklären zu wollen. "Die Widerrede zu gefährlichen Verschwörungsmythen ist mir wichtig, aber auch die Solidarität mit der von Wladimir Putin angegriffenen Ukraine."

Auch die Stuttgart-Marketing GmbH distanzierte sich ausdrücklich von der Veranstaltung. Zwischenzeitlich war diese auf der Seite "stuttgart-tourist.de" beworben worden. Dies sei jedoch "automatisch als Import vom Online-Ticketsystem Reservix übernommen" worden, teilte eine Sprecherin mit. Eine weitere Überprüfung fände ob der Menge an Veranstaltungen nicht statt. "Wir bedauern es sehr, dass eine derartige Veranstaltung auf unserer Seite sichtbar war und haben daher diese sofort von unserer Seite gelöscht."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Schriftliche Anfragen bei der Stadtverwaltung Leinfelden-Echterdingen
  • Schriftliche Anfrage bei Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung von Baden-Württemberg
  • Schriftliche Anfrage bei der Stuttgart-Marketing GmbH
  • Schriftliche Anfrage bei Prof. Klaus Gestwa von der Universität Tübingen
  • Recherche-Kollektiv NazifreiFilder
  • Schriftliche Anfrage bei Ralf Berti vom Bündnis Solidarität statt Hetze
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