"Antisemitische Sprachbilder" Jüdische Gemeinde besorgt wegen Ganser-Vortrag in Hannover
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experten werfen dem Historiker Daniele Ganser Holocaustrelativierung vor. Sein geplanter Auftritt in Hannover sorgt bei der jüdischen Gemeinde für Entsetzen.
In einem Vortrag im Jahr 2016 in Wien sprach der Historiker über die Anschläge vom 11. September 2001. Laut Ganser wäre "die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir erneut getäuscht werden." Er meinte damit, dass die Terrorangriffe durch die US-Regierung geplant – oder zumindest bewusst zugelassen wurden. Damit bestärkte der Historiker die durch und durch diskreditierten Theorien sogenannter "Truther", die der US-Regierung genau das vorwerfen. Und Ganser feuert diese Theorien durch eigene Argumente sogar noch an: "WTC7 wurde kontrolliert gesprengt", so der Titel einer seiner YouTube-Videos.
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Im März will Ganser im Rahmen einer Vortragstour in Hannover im städtischen Kuppelsaal vor zahlreichen Menschen sprechen.
Rebecca Seidler, Geschäftsführerin der Liberalen Jüdische Gemeinde Hannover, ist entsetzt: Die Gemeinde "sieht dieser Veranstaltung mit großer Irritation und Sorge entgegen", sagt sie t-online. "Krude Verschwörungserzählungen, die häufig in antisemitischen Sprachbildern enden, sind keine Grundlage für eine gesunde Debattenkultur, sondern schlichtweg nicht zu akzeptieren", so Seidler zu dem Vortrag im Kuppelsaal, der Platz für rund 3.570 Personen bietet. Der Kuppelsaal gehört zum Hannover Congress Centrum (HCC), einer Tochter der Stadt Hannover.
Ganser betrachtet USA als Aggressor im Ukraine-Krieg
Natürlich ist das Jahr 2016 schon einige Zeit her und Ganser spricht inzwischen über andere Themen: Tagesaktuell widmet Ganser sich der Frage "Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?", so der Titel der Vortragsreihe. Pikant: Wie der Veranstaltungsankündigung zu entnehmen ist, fällt die Rolle des Aggressors nicht etwa Russland zu, das den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine vor fast einem Jahr begonnen hat. Das Land wird in der langen Ankündigung nur einmal am Rande erwähnt. In der Verantwortung stehe vor allem der Westen, angeführt von den USA.
Das überrascht nicht: Bereits 2014, nach Russlands völkerrechtswidriger Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, hatte sich Ganser mit derartigen Themen beschäftigt. Damals lautete der Titel des Vortrags: "Ukraine 2014, ein illegaler Putsch." Auch hier sei nicht Russland in der Verantwortung, sondern wieder einmal die USA. Der illegale Putsch? Ganser blendete die militärische Präsenz Russlands auf ukrainischem Gebiet aus, er bezog sich vielmehr auf die Absetzung des Russland-freundlichen Präsidenten Janukowitsch nach dessen Flucht aus der Ukraine.
"Gansers Einkommen hängt von seinem Publikumserfolg ab."
Ganser steht nicht nur wegen seiner Thesen zur Ukraine in der Kritik: Der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden nennt ihn "einen hochintelligenten Wissenschaftspopulisten", für Patrick Guyton von der "taz" ist er ein "Verschwörungsguru". Und die "NZZ" schreibt: "Gansers Einkommen hängt von seinem Publikumserfolg ab. Und er hat keine Bedenken, diesen zu maximieren." Mit augenscheinlichem Erfolg: Ganser ist Bestsellerautor, seine Bücher behandeln unter anderem das "Imperium USA – Die skrupellose Weltmacht".
In einem niederländischen Dokumentarfilm über die Corona-Pandemie zog Ganser Vergleiche zum Dritten Reich – und zum Holocaust. Der Wahnsinn des Holocausts sei "lokal" gewesen, "aber jetzt ist weltweit Wahnsinn", behauptete Ganser. Geimpfte und Ungeimpfte zögen "wie zwei Armeen" gegeneinander.
"Die Logik seiner Aussagen lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden", sagt Sozialpsychologin Pia Lamberty. Auch das sei eine Form des Antisemitismus. Sie wirft Ganser deshalb vor, den Holocaust zu verharmlosen. Ebenfalls in dem Film zu sehen: Ulrike Guérot, Professorin an der Uni Bonn und selbst mehrmals mit eigenwilligen Aussagen zur Pandemie aufgefallen.
Seidler hofft auf Einschreiten der Stadt Hannover
Das alarmiert auch die Liberale Jüdische Gemeinde Hannover: "Antisemitische Verschwörungserzählungen sind keine Meinung, sondern spalten die Gesellschaft und greifen unsere demokratischen Grundwerte an", sagt Rebecca Seidler. Sie hofft nun auf die Stadt Hannover: Das HCC ist eine Tochterfirma der Stadt. "Ich bitte die Stadt Hannover gründlich zu prüfen, ob diese Veranstaltung verhindert werden kann", sagt Seidler t-online.
Auf t-online-Anfrage erklärt ein Sprecher der Stadt: "Die Stadtverwaltung sammelt derzeit detaillierte Informationen zur Veranstaltung und prüft Handlungsoptionen." Die Veranstaltungsfirma "Nema Entertaiment" war am Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Auch in Dortmund regt sich Widerstand
Es ist nicht der erste Vortrag der Reihe, der auf Widerstände stößt: Auch in Dortmund ist für Ende März ein Auftritt Gansers vorgesehen. Dort soll er in der städtischen Westfalenhalle vortragen. Die Grünen wollen nun geklärt wissen, wie es zu dem Vertrag kommen konnte. Dort hat sich inzwischen der Oberbürgermeister Stephan Westphal (SPD) eingeschaltet, der sich ebenso wie CDU-Politiker gegenüber t-online gegen den geplanten Auftritt ausspricht.
Man erinnert sich auch an einen dortigen Vortrag zwei Jahre zuvor, der, so sagt es ein Sprecher gegenüber dem Portal "Ruhr24", "ohne Zwischenfälle" verlaufen wäre. Man wolle auch die im März wieder "intensiv beobachten" und behalte sich vor, "künftig entsprechend (...) zu reagieren". Die Stadt Dortmund ist alleinige Gesellschafterin der Westfalenhallen GmbH.
- E-Mail-Austausch mit Dr. Rebecca Seidler
- Anfrage bei Nema Entertaiment
- Anfrage an die Stadt Hannover
- danieleganser.ch: Lebenslauf von Daniele Ganser auf seiner Website
- reservix.de: Veranstaltungsseite "Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?"
- br.de: "Dieses Verschwörungs-Video enthüllt nichts" vom 27. Mai 2022
- tagesschau.de: "9/11-Verschwörungslegenden: Sprengung? Aliens? Geheimdienste?" vom 11. September 2021
- taz.de: "Schlimmer ist das Publikum" vom 20. September 2019 kurier.at: "Die merkwürdige Welt des 9/11-Zweiflers Daniele Ganser" vom 24. Oktober 2016
- nzz.ch: "Gansers Jünger" vom 30. Januar 2021