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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verbrechen im Kreis Ludwigsburg Wie die AfD den Tod der 17-jährigen Tabitha ausnutzt
Groß ist die Bestürzung nach dem Tod der 17-jährigen Tabitha aus dem Kreis Ludwigsburg. Die AfD nutzt den Fall, um gegen die Migrationspolitik zu wettern.
Der Tod der 17-jährigen Tabitha E. aus Asperg hat bundesweit für Bestürzung gesorgt. Doch kaum war der Tod des Teenagers bekannt, begannen einzelne Politiker, die Tat für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Allen voran Parteimitglieder und Verbände der AfD. Grund dafür ist der Migrationshintergrund des inzwischen verhafteten 35-jährigen Tatverdächtigen.
Eine Verschwörung von Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl wittert gar die AfD-Fraktion im Landtag. Auf Twitter postete der zugehörige Account ein Bild mit der Überschrift "Tote Tabitha" und "Was verbirgt Strobl?". Im zugehörigen Text wird die Frage aufgeworfen, was "hinter dem Fall der toten siebzehnjährigen Tabitha aus Asperg" stecke. Die Frage nach einer Vergewaltigung wird aufgeworfen.
Wenige Stunden nach dem Tweet stellte das Polizeipräsidium Ludwigsburg gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft Stuttgart die ersten Obduktionsergebnisse vor: Hinweise auf ein Sexualverbrechen hätten sich demnach nicht ergeben, schreibt die Polizei. Der Tweet der AfD-Fraktion Baden-Württemberg ist dennoch auch einen Tag später noch im Netz zu finden.
Stuttgart: Tweet geht zurück auf eine Landtagsanfrage
Seinen Ursprung hat der Tweet in einer Kleinen Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Ruben Rupp. In dieser wollte er wissen, ob es sich bei dem "möglichen Täter" um "einen abgelehnten oder anerkannten Asylbewerber handelt", seit wann er in Deutschland sei und mit welchem Aufenthaltstitel. Zudem stellt Rupp die Frage, ob er schon vorher auffällig geworden sei und wenn ja, in welcher Weise.
Auch wollte Rupp wissen, ob es Absprachen zwischen Polizei und Innenministerium gegeben habe – "aufgrund der Brisanz des Falles", den er bei einem "möglichen Asylbewerber sieht". Die brisanteste ist aber die siebte Frage der Kleinen Anfrage. Sie lautet: "Trifft es zu, dass die Ludwigsburger Polizei Nutzern von Social Media mit Strafverfolgung gedroht hat, wenn diese den Mord – sollte dieser vom Verdächtigen verübt worden sein – kausal auf die Grenzöffnungspolitik der früheren Bundeskanzlerin Merkel zurückführen?"
In dieselbe Kerbe schlägt Berhnard Zimniok, AfD-Europaabgeordneter aus München. Für ihn ist "die Migrationspolitik der Altparteien" schuld an der Tragödie.
Georg Pazderski, Mitglied des AfD-Bundesvorstands und ehemaliger Bundesgeschäftsführer der AfD, geht sogar noch weiter und fragt sich, wie lange es wohl dauern werde, "bis bei dem 35-jährigen Mörder aus Syrien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert und er als psychisch krank eingestuft wird".
Von Unschuldsvermutung keine Spur
Von einer Unschuldsvermutung – wie sie im Rechtsstaat Deutschland gilt – ist in vielen dieser Aussagen keine Spur. Auch, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Asylbewerber handelt, scheint für die AfD-Politiker gesetzt. Dass für Mord eines von drei Mordmerkmalen erfüllt sein muss – was es zunächst in einem Gerichtsprozess zu klären gilt –, scheint die zitierten Personen nicht zu interessieren.
Auf Nachfrage von t-online antwortete die Pressestelle des Innenministeriums, dass die Anfrage bis zum Dienstagabend noch nicht offiziell eingereicht worden sei. Ansonsten gab sich das Haus von Thomas Strobl schmallippig: "Die Landtagsanfrage wird das Innenministerium innerhalb der vom Landtag bestimmten Frist beantworten", hieß es in der kurzen schriftlichen Antwort.
- Recherche auf Twitter
- Schriftliche Anfrage beim Innenministerium Baden-Württemberg
- Telefongespräch mit der Pressestelle des Innenministeriums Baden-Württemberg
- afd-fraktion-bw.de: Ruben Rupp MdL: Tote Tabitha aus Asperg - Was verbirgt Strobl? vom 19. Juli 2022
- juraforum.de: Unschuldsvermutung
- europa.eu: Bernhard Zimniok