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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Coffeeshops in den Startlöchern Wie sich Cannabis-Fans auf die Legalisierung vorbereiten
Geschäftsleute bereiten sich auf die Legalisierung von Cannabis vor: In Nürnberg etwa mieten Start-ups bereits Läden und prüfen Lieferketten. Die Polizei zeigt sich wenig erfreut.
Dass die Legalisierung kommt, daran hat Florian Söllner keinen Zweifel. Der Vorsitzende des "Cannabis Social Club Nürnberg" rechnet in einem bis anderthalb Jahren damit – alles andere wäre ein "Armutszeugnis", sagt er.
Ob und wie Cannabis legalisiert wird, das ist tatsächlich noch keine beschlossene Sache. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung steht: "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein." Doch bis dahin ist es rechtlich und politisch noch ein weiter Weg. Dennoch:
Für Söllner sei nicht etwa die Frage, ob Städte wie Nürnberg einen sogenannten Coffeeshop bekommen – sondern wie viele. Erste Vorstöße gebe es bereits, erzählt Söllner, der sich seit Jahren politisch in der Sache engagiert: "Start-ups wie große Firmen stehen schon in den Startlöchern."
Nürnberg als erster Standort für Cannabis-Start-up
So hat sich etwa in der Luitpoldstraße neben dem Hauptbahnhof ein Start-up aus der Branche ein leerstehendes Geschäft gesichert. Auf großen Plakaten an den Schaufenstern stellt sich das Unternehmen "Herbary" vor: "Wir sind angetreten, um (...) die Sichtweise auf Cannabis zu verändern. Und wir haben noch Großes vor."
Eine Anfrage beim Unternehmen ergibt, dass Nürnberg der erste Standort des Start-ups ist. Ein Sprecher erklärt den Schritt mit der langen Hanf-Tradition in Franken. Die habe schon im Jahr 1390 mit der ersten Papiermühle Deutschlands begonnen, als hier Papier unter anderem aus Hanf hergestellt wurde. "Wir glauben, dass Nürnberg genau richtig ist."
Weitere Standorte in ganz Deutschland sind in Planung. Denn "unser aller Leben ist stressig und von Krisen geplagt." Da sei es wichtig, "mal einen Gang rauszunehmen". "Auf bewusste Art und Weise, ohne schlechtes Gewissen." Das sei ihre Mission. Dafür suchen sie nach Mitarbeitern.
Für die Firmen gelte es nun, schnell zu sein, denn Legalisierung bringe ein Millionen-Geschäft mit sich, weiß Söllner. Auch wenn Ukraine und Corona die Nachrichtenwelt bestimmen, so passiere bei der Legalisierung gerade viel im Hintergrund, versichert er. Die Branche bereite sich vor, prüfe mögliche Lieferketten, mit denen sie die Produktion hochfahren könnte. Auch sei er mit vielen Politikern im Gespräch: Die hiesigen Bürgermeister etwa möchte er bald treffen.
"Das könnte wie bei den Brauereien werden, auf die ist man in Franken ja auch stolz"
Auch die Stadtverwaltung solle sich über den neuen Geschäftszweig freuen, den die Legalisierung mit sich bringen würde. "Das könnte wie bei den Brauereien oder den Biergärten werden, auf die ist man in Franken ja auch stolz", vergleicht der Heilerziehungspfleger, dessen Verein sich für einen gemeinschaftlichen Anbau von Cannabis einsetzt.
Wobei der Begriff "Coffeeshop" – so werden in den Niederlanden die geduldeten Verkaufsstellen genannt – in Deutschland wohl nicht korrekt wäre, präzisiert Söllner. Denn in Coffeeshops können die weichen Drogen gekauft und anschließend auch konsumiert werden. Hier darf jedoch drinnen nicht geraucht werden. Vielmehr seien in Deutschland also Fachgeschäfte in Planung, in denen ein kontrollierter Verkauf stattfinden könne.
Befürworter argumentieren, dass mit der Einführung von Cannabis-Fachgeschäften die Qualität und der Verkauf besser reguliert werden könnten. Kritiker befürchten dagegen, dass die Konsumrate in der Bevölkerung steigen könnte.
Polizei Mittelfranken: "Freigabe zu Genusszwecken" habe fatale Signalwirkung
Der Cannabis-Wirkstoff CBD wird bereits verkauft. Der Polizei seien die Geschäfte mit den legalen Hanfblüten und -ölen ein Dorn im Auge, meint Söllner. Sie würde den Betreibern das Leben unnötig schwermachen. Dabei seien die strengen Polizeikontrollen für viele der Unternehmer "tödlich": Bei den Beschlagnahmungen verderbe etwa die Ware oder Nachbarn begehren gegen die CBD-Shops auf. Das schrecke viele von der Branche ab, weiß der frühere Heilerziehungspfleger. Nichtsdestotrotz bereiten sich viele der Shops darauf vor, demnächst auch Cannabis im Sortiment anbieten zu dürfen.
Das Polizeipräsidium Mittelfranken sieht die "Freigabe zu Genusszwecken" kritisch, bestätigt sie auf Nachfrage von t-online. Das mag im strengen Bayern wenig überraschen. Überraschend ist dagegen die Deutlichkeit, mit der sich die Polizei gegen das Vorhaben der Bundesregierung positioniert. Eine Freigabe würde eine fatale Signalwirkung entfalten, erklärt Pressesprecher Michael Konrad auf Nachfrage.
Aber: Würde eine Legalisierung nicht die Arbeit der fränkischen Beamten erleichtern? Bei einer Entkriminalisierung von Cannabis würden sie ja auch weniger Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz verfolgen müssen.
Mittelfranken: 2021 fast 4.000 Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis
Eine Hoffnung der Befürworter ist etwa, dass der Staat viel Geld sparen würde, wenn Strafverfahren und Gefängnisaufenthalte wegfielen. So gab es im vergangenen Jahr in Mittelfranken nach Angaben der Polizei 3.917 Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis. Im Jahr davor lag die Zahl bei 4.268 und 2019 bei 4.762.
Erleichterung in der täglichen Arbeit sieht Polizeisprecher Konrad jedoch nicht. Vielmehr befürchtet er, dass die Verkaufsstellen zum Hotspot für Drogenabhängige werden könnten, wenn eine regulierte Abgabe von Cannabis erlaubt würde. Dies führe wahrscheinlich zu "milieutypischen Straftaten" wie Beschaffungskriminalität oder Handel mit illegalen Betäubungsmitteln. Befürworter der Legalisierung wie Söllner sehen in dieser Argumentation eine Kriminalisierung der Konsumenten.
Eine Gefahr sieht die Polizei Mittelfranken außerdem für den Verkehr. Denn eine Entkriminalisierung von Cannabis würde wohl auch mehr Drogenkonsum im Straßenverkehr bedeuten, so Konrad. So sei der Einfluss von Cannabis auf die Verkehrstüchtigkeit unkalkulierbar. Schon jetzt zeige die Statistik laut Konrad, dass in Bayern die Anzahl der Unfälle unter Drogeneinwirkung zuletzt deutlich zugenommen habe. Bei rund 11 Prozent stehe der Anteil berauschender Mittel im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen.
Legalisierung seit Jahren Thema im Sozialreferat Nürnberg
Wie also bereiten sie sich auf eine mögliche Legalisierung vor? Konkrete Maßnahmen könnten erst unternommen werden, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen festgelegt wurden, erklärt der Pressesprecher weiter. So oder so: Die offensive Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität ist und bleibt einer der Schwerpunkte der mittelfränkischen Polizei, heißt es.
Im Nürnberger Referat für Jugend, Familie und Soziales beschäftigt man sich ebenfalls intensiv mit dem Thema. Dort spricht man sich für eine kontrollierte Freigabe aus. Sie könne die Gesundheitsgefahren von verunreinigtem Cannabis im illegalen Handel reduzieren, heißt es in der Stellungnahme von Jugendamt und Sozialamt.
Die Vergangenheit auch in anderen Ländern habe gezeigt, dass Kriminalisierung und Verbote den Konsum von Cannabis nicht senken konnten, einen effektiven Jugendschutz erschweren und zu viele Menschen kriminalisieren.
Entscheidend sei die Ausgestaltung der Legalisierung, wenn sie denn kommt. "Wir müssen einen großen Wert darauf legen, den Jugendschutz einzuhalten, denn gerade in der Phase des Heranwachsens kann Cannabis schädlichen Einfluss auf die Gehirnstruktur nehmen."
- Nachfrage bei Herbary
- Telefonat mit Florian Söllner
- Anfrage beim Polizeipräsidium Mittelfranken
- Anfrage bei der Stadt Nürnberg
- Eigene Recherchen