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Erst Flut, dann Krieg: Wie zwei Ahrtal-Helfer im Kriegsgebiet zu Helden wurden


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Erst Flut, dann Krieg
Wie zwei Ahrtal-Helfer im Kriegsgebiet heldenhaft anpacken

InterviewVon Tobias Christ

Aktualisiert am 19.03.2022Lesedauer: 3 Min.
Robert Gärtner (l.), Brandschutztechniker in Gelnhausen, ist nahe der ukrainischen Grenze im Dauereinsatz. Etwa 300.000 Ukraine-Geflüchtete werden in der Republik Moldau erwartet.Vergrößern des Bildes
Robert Gärtner (l.), Brandschutztechniker in Gelnhausen, ist nahe der ukrainischen Grenze im Dauereinsatz. Etwa 300.000 Ukraine-Geflüchtete werden in der Republik Moldau erwartet. (Quelle: Verein "Die AHRche", NurPhoto/imago-images-bilder)
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Schon an der Ahr halfen sie Menschen in größter Not. Nun bauten sie an der ukrainischen Grenze innerhalb weniger Tage ein Flüchtlingscamp, so groß wie ein Dorf. Wie haben sie das geschafft?

Nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 baute der Verein "Die AHRche" in Ahrweiler eine Anlaufstelle zur Versorgung der Bevölkerung auf. Nun bringen sieben Mitglieder ihr Know-how nahe der ukrainischen Grenze ein.

Auf einem Fußballplatz unweit der Stadt Bălți in der Republik Moldau haben sie in den vergangenen Tagen ein Erstaufnahme-Camp für bis zu 1.600 Kriegsgeflüchtete aufgebaut – nur 80 Kilometer von der Ukraine entfernt. Die Mitglieder Tobias Schott (34) und Robert Gärtner (43) erzählen im Interview von ihrem Einsatz.

t-online: Wie verlief die vergangene Woche für Sie?

Tobias Schott: Es waren anstrengende, aber beeindruckende Tage. Das Flüchtlingscamp haben wir zusammen mit 60 lokalen Feuerwehrleuten und Mitarbeitern des Bevölkerungsschutzes aufgebaut. Zuvor wurde unser Konvoi mit Blaulicht von der Feuerwehr durchs Land begleitet. Die Arbeit ging schnell voran, aber wie in den ersten Tagen nach der Flutkatastrophe an der Ahr sind wir hier eigentlich rund um die Uhr im Einsatz.

Was haben Sie konkret vor Ort gemacht?
Tobias Schott: Wir haben zunächst das komplette Camp in Deutschland geplant und beschafft und dann alles auf Lkw gepackt. Das alles binnen zwei Wochen. Insgesamt stehen jetzt hier rund 60 Zelte inklusive Feldbetten, Schlafsäcken und dieselbetriebenen Heizungssystemen. Dazu kommen drei Feldküchen, eine Zeltküche und ein großes Dusch- und Waschzelt. Wir haben auch die Lichtanlagen gestellt und die komplette Stromversorgung installiert. Wir haben sozusagen ein schlüsselfertiges Camp geliefert.

Wie kam es zu dem Einsatz?

Robert Gärtner: Ein Helfer des AHRche-Teams hatte Kontakte in die Ukraine. Eigentlich wollten wir nur überschüssige Kleidung aus dem Ahrtal, die da nicht gebraucht wird, in ein Kinderheim in Odessa bringen. Dann ist der Krieg ausgebrochen. Wir haben umgeplant und Kontakt zur Regierung der Republik Moldau aufgenommen. Schließlich ist es das ärmste Land Europas. Dort war man aber nicht nur an Kleidung interessiert, sondern an einem ganzen Flüchtlingslager. Das war ein offizielles Hilfegesuch.

Waren Sie davon überfordert?

Tobias Schott: Eigentlich nicht, weil wir das ja von der Ahr kannten. Wir konnten auf ein Netzwerk von Vereinen und Organisationen zurückgreifen. Nur so war es möglich, binnen zwei Wochen das Camp zu organisieren.

Robert Gärtner: Das größte Problem waren allerdings die finanziellen Mittel. Wir konnten ja nicht Spendengelder abzweigen, die für die Ahr gedacht waren. Deswegen mussten wir in den zwei Wochen 300.000 Euro an Spenden auftreiben. Auch dabei haben uns unsere Kontakte sehr geholfen.

Was bekommen Sie vom Krieg mit?

Robert Gärtner: Gar nichts. Wir fühlen uns sicher. Aber viele Menschen hier haben Angst vor einer Ausweitung des Kriegs. Sie befürchten, dass sie als Nächstes dran sind. Die Moldawier wollen keinen Krieg, aber sie wollen helfen.

Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine sind bereits vor Ort?

Tobias Schott: Die kommen erst. Die Regierung der Republik Moldau nimmt nach meiner Kenntnis derzeit so viele Menschen wie es geht an der Grenze auf, um sie in Bussen nach Rumänien weiterzuleiten. Die Hilfsbereitschaft hier ist zwar groß, aber so wenig Geflüchtete wie möglich sollen im Land bleiben. Für die Städte und Kommunen bedeuten sie eine extreme finanzielle Belastung. Die Republik Moldau hat etwa 2,5 Millionen Einwohner. Erwartet werden 300.000 Geflüchtete – also mehr als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. Prozentual wird die Flüchtlingswelle die Republik Moldau am härtesten treffen.

Erst die Flutopfer an der Ahr, jetzt Geflüchtete aus der Ukraine. Inwieweit unterscheiden sich die Hilfseinsätze voneinander?

Tobias Schott: Natürlich war es an der Ahr eine Naturkatastrophe und kein Krieg. Aber in beiden Fällen haben Menschen alles verloren, ihre Häuser, ihre Familienmitglieder. Hier zu helfen, ist eine Herzensangelegenheit für uns. Dafür verzichten wir auf Einkommen und unsere Familien verzichten auf uns.

Wie geht es jetzt weiter?

Tobias Schott: Wir haben den Einsatzkräften vor Ort gezeigt, wie sie mit den Geräten umgehen müssen. Das Camp ist ein komplettes Geschenk von uns an die Feuerwehr. Wir werden es nicht mehr zurück nach Deutschland fahren. Aber unser Verein wird sich sicher weiter engagieren, mit Know-how und Geld. Wahrscheinlich werden wir bald wieder zurückkehren. Einen genauen Plan haben wir noch nicht, den hatten wir vor acht Monaten an der Ahr allerdings auch nicht.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Tobias Schott und Robert Gärtner via Telefon
  • Verein "Die AHRche"
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