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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erst kam Corona, dann der Krieg Köln: Karnevalsbilanz fällt durchwachsen aus
Die negativen Ereignisse der vergangenen Tage und Monate haben vielen Menschen die Lust am Karneval genommen. Kölns Wirte und Vereine haben das zu spüren bekommen. t-online zieht Bilanz.
Es war eine Karnevalssession unter vielen negativen Vorzeichen. Zwar verlief Karneval an manchen Stellen fast normal, mit einer reduzierten Sessionseröffnung, vereinzelten Karnevalssitzungen und einigermaßen gefüllten Kneipen. Das war aber alles andere als Karneval, wie wir ihn von früher kennen.
IG Gastro in Köln: "Karneval lohnt sich nur bei vollen Kneipen"
Entsprechend mau sieht die Bilanz der fünf tollen Tage aus. Viele Wirte haben deutlich weniger eingenommen als üblich. Maike Block, die Vorsitzende der Kölner IG Gastro, bestätigt, dass es auf den Straßen deutlich ruhiger war. "Bei mir in der Südstadt, wo ich wohne, wäre ich an einem normalen Weiberfastnachtstag sofort gegen einen Clown gelaufen. In diesem Jahr waren kaum Menschen unterwegs", berichtet sie.
Das habe sich dann auch auf die Einnahmen der Wirte ausgewirkt. Viele hätten auch gar nicht erst geöffnet. "Karneval funktioniert eigentlich nur bei voller Auslastung, weil die Personalkosten durch Einlasskontrollen und Security deutlich höher sind", erklärt Block.
Als dann der Rosenmontagszug zur Friedensdemo umfunktioniert worden war, sei fast niemand mehr in die Kneipe gegangen. "Kaum jemandem war nach den Nachrichten aus der Ukraine noch zum Feiern zumute." Um den Umsatz sei es den meisten Wirten aber nicht gegangen. Maike Block ist, im Gegenteil, sehr stolz, dass Köln ein so wichtiges Zeichen für den Krieg gesetzt hat.
Brücker Gastronom: "Testpflicht hat viele Gäste abgeschreckt"
Henri Lejeune ging es in dieser Session auch nicht in erster Linie ums Geld. Er hatte seine Kneipe "Alt-Brück" geöffnet, um endlich wieder in die Normalität zurückzukehren. "Unterm Strich bin ich mit 40 Prozent vom üblichen Umsatz durch die Karnevalstage gekommen", schätzt Lejeune.
Rund 150 Leute seien von Donnerstag bis Dienstag insgesamt bei ihm zu Gast gewesen. An einem normalen Karnevalswochenende seien es mehr als 500. Die meisten, selbst seine Stammgäste, hätten sich von der Testpflicht, die an Karneval selbst für Geboosterte galt, abschrecken lassen, sagt Lejeune. Dann brach auch noch der Krieg aus.
"Von Rosenmontag an kam keiner mehr zu mir in die Kneipe“, bedauert Lejeune, "ich stand aber voll hinter der Friedensdemo und wäre am liebsten selbst mitgelaufen, ich konnte aber nicht zumachen." Alles in allem ist Henri Lejeune aber zufrieden mit seinem Karnevalsgeschäft. Es sei kein Minusgeschäft und besser als erwartet gelaufen.
Hohe Umsatzverluste durch junges Partyvolk im Kwartier Latäng
Ein Kontrastprogramm gab es dagegen im Kwartier Latäng. Trotz Corona und Kriegsgeschehen waren die Straßen brechend voll. Das zog sich durch die ganzen tollen Tage. Was sich im ersten Moment nach einem guten Geschäft für die Gastronomen des Viertels anhört, war aus Sicht von Markus Vogt alles andere als ein Segen.
Er spricht für den Gastroverein Kwartier Latäng – und gibt sich frustriert. Die Menschen, die mittlerweile dort feiern würden, seien in erster Linie Jugendliche, die sich möglichst früh abschießen wollten, sagt er. "Hier herrscht eine Umsonst-und-draußen-Mentalität. Zu uns in die Kneipen kommen nur wenige und wenn, dann trinken sie nicht viel."
Vogt zufolge bringt diese Veränderung der Kundschaft 30 bis 40 Prozent Umsatzrückgang im Vergleich zu früheren Karnevalssessionen mit sich. Abseits der Zülpicher Straße sei es teilweise noch schlimmer. Da die Menschenströme durchs Ordnungsamt ums Viertel herumgeleitet werden, gebe es in Nebenstraßen wie der Kyffhäuser Straße kaum noch Publikumsverkehr.
Mehr Umsatz durch Masse
Vogt spricht von Verlusten von bis zu 70 Prozent. "Wir hatten hier teilweise ein halbleeres Viertel." Dennoch seien seine Wirte im Gegensatz zu den Südstadtwirten im Vorteil. Durch die große Masse an Menschen würde im Kwartier Latäng mehr Umsatz gemacht als dort.
Wenn er aber die Wahl hätte zwischen wildem Partyvolk und Gästen, die wegen des Krieges nicht mehr in die Kneipe kommen, würde er sich für Letzteres entscheiden, sagt er. Die junge Klientel schade dem Image dieses früher bei Studenten so beliebten Ausgehviertels.
Er wirft der Stadt vor, sich nicht ausreichend um das Problem zu kümmern. Vor vier Jahren habe sie mit dem gratis Bühnenprogramm auf der Uniwiese selbst dazu beigetragen, dass sich das Partyvolk im Zülpicher Viertel versammelt. Was als Ausweichfläche geplant war, habe sich zum "Place to be" an Karneval entwickelt.
Kölner Ordnungsamt: 154 hilflose Personen und 316 Wildpinkler
Auch die Stadt Köln zieht für die Zülpicher Straße eine ernüchternde Bilanz. Wie eine Sprecherin der Stadt Köln t-online mitteilt, habe es dort in diesem Jahr tatsächlich deutlich mehr betrunkene, hilflose Personen gegeben als in den Vorjahren. 154 Menschen mussten dem Rettungsdienst übergeben werden. Das Ordnungsamt hat 316 Wildpinkler erwischt, 105 davon allein an Weiberfastnacht.
Am Rosenmontag seien dann zahlreiche Menschen auf Ampeln, Bäume und den Toilettencontainer der AWB am Zülpicher Platz gestiegen. Auch aus Sicht der Polizei war das Kwartier Latäng der Hotspot an den Karnevalstagen. Mit steigendem Alkoholpegel seien die jungen Leute gewaltbereiter geworden, berichtet ein Polizeisprecher.
So hat am Karnevalsfreitag ein 37-Jähriger einen Polizisten auf der Roonstraße mit einer abgebrochenen Flasche angegriffen. Den Angriff habe er im letzten Moment noch abwehren können. Insgesamt sei die Session aber deutlich ruhiger verlaufen als in vergangenen Jahren, da generell weniger auf Kölns Straßen gefeiert wurde, heißt es von der Polizei weiter.
Karnevalsvereine hoffen auf Finanzhilfen des Landes
Wie die Session aus Sicht des Festkomitees Kölner Karneval gelaufen ist, steht noch nicht endgültig fest. Sprecherin Tanja Holthaus zufolge hätten vorgegebene Veranstaltungsverbote und die Entwicklung neuer Formate als Alternativen zum Sitzungskarneval allen viel abverlangt. Wie sehr das die Karnevalsvereine getroffen hat, könne sie noch nicht sagen.
Das Festkomitee geht aber davon aus, dass alle Vereine diese schwierige Session überstanden haben. Auch der Szenekenner und Kölner Weingroßhändler Klaus Rüsing ist optimistisch: "Wenn die Hilfen des Landes fließen, dann kommen die Vereine mit einem blauen Auge davon." Je kleiner der Verein, desto schwerer werde es allerdings zu überleben. Ein Knackpunkt dabei sind die Mitgliederbeiträge. Wenn ein Mitglied mehr als zwei Jahre Beiträge zahlt, wolle er auch etwas dafür zurückbekommen.
"Bei manchen Vereinen ist aber in den letzten zwei Jahren nichts passiert. Da wird der eine oder andere Zahlende seinem Verein den Rücken gekehrt haben", fürchtet Rüsing. Wie die Vereine durch die Krise gekommen sind, zeige sich aber erst Mitte des Jahres, wenn viele Vereine ihre Mitgliederversammlungen abhalten.
- Gespräche mit Maike Block, Henri Lejeune, Klaus Rüsing und Markus Vogt
- Schriftliches Statement von Tanja Holthaus, Festkomitee Kölner Karneval
- Schriftliche Antwort der Stadt Köln zur Karnevals-Bilanz
- Pressemitteilung der Kölner Polizei