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"Akute Lebensgefahr": Mindestens 30 Tote bei Unwetter in NRW


Köln
"Akute Lebensgefahr": Mindestens 30 Tote bei Unwetter in NRW

Von dpa
15.07.2021Lesedauer: 4 Min.
Unwetter in Nordrhein-WestfalenVergrößern des Bildes
Weggespülte Autos Schlamm und Schutt liegen auf einer Straße im Ort. Der Vichtbach war hier über die Ufer getreten. (Quelle: Ralf Roeger/dpa/dpa-bilder)

Autos weggespült wie Spielzeug, Straßen meterhoch voll Schlamm und Geröll, eine Talsperre, die zu bersten droht: Nach starken Regenfällen sind Teile Nordrhein-Westfalens von Hochwasserfluten heimgesucht worden. Mindestens 30 Menschen kamen ums Leben, 57 wurden verletzt, wie das Innenministerium am Abend mitteilte.

Allein im Kreis Euskirchen im Süden des Landes starben nach Polizeiangaben 15 Menschen. An der Steinbachtalsperre werden die Orte Schweinheim, Flamersheim und Palmersheim evakuiert. Die Talsperre sei von einem Sachverständigen als "sehr instabil" eingestuft worden, sagte der Landrat des Kreises Euskirchen, Markus Ramers (SPD), am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Von der Evakuierung seien 4500 Menschen betroffen.

In den Städten Schleiden und Bad Münstereifel stießen die Rettungskräfte auf einsturzgefährdete oder bereits zerstörte Häuser. In Weilerswist wurden Feuerwehrleute selbst von den Wassermassen eingeschlossen. Sie konnten sich nach Angaben des Kreises selbst befreien. In Mechernich dringt Wasser ins Krankenhaus ein.

Teilweise sei der Zugang zu Orten im Kreis abgeschnitten und auch die Kommunikation sei im Kreisgebiet weitgehend ausgefallen. Der Notruf 112 der Feuerwehr musste auf die 110 der Polizei umgeleitet werden. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes waren im Süden von NRW bis zu 180 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen.

Viele Flüsse und Bäche in der Eifel, im Bergischen Land, im Rheinland und Sauerland waren am Mittwoch und in der Nacht zu Donnerstag über die Ufer getreten und führten am Donnerstag weiterhin Hochwasser. Straßen wurden überschwemmt, Keller liefen voll. Mehr als 15 000 Feuerwehrleute und Katastrophenhelfer absolvierten landesweit über 22 000 Einsätze.

In Köln wurden zwei Menschen von der Feuerwehr tot in ihren mit Wasser vollgelaufenen Kellern entdeckt - eine 72 Jahre alte Frau und ein 54-jähriger Mann. In Rheinbach bei Bonn wurden am Donnerstag eine Frau leblos auf einer Straße und zwei weitere Tote entdeckt. Im überfluteten Keller eines Hauses in Geilenkirchen (Kreis Heinsberg) entdeckten Rettungskräfte zwei Bewohner des Hauses im Alter von 74 und 78 Jahren.

Ein 52 Jahre alter Feuerwehrmann kollabierte bei einem Unwettereinsatz im sauerländischen Werdohl und starb trotz Reanimationsversuchen. Die Polizei ging von einem internistischen Notfall aus.

Wenige Stunden zuvor war in Altena im Sauerland ein Feuerwehrmann bei der Rettung eines Mannes ertrunken. Der 46-Jährige war nach Angaben der Polizei im Märkischen Kreis nach der erfolgreichen Bergung beim Einsteigen ins Feuerwehrfahrzeug ins Wasser gefallen und abgetrieben. Er wurde tot geborgen.

In Kamen (Kreis Unna) kam ein 77-Jähriger im unter Wasser stehenden Keller seines Hauses ums Leben. In Solingen starb ein 82 Jahre alter Mann ebenfalls im überfluteten Hauskeller.

Der Bahnverkehr in Nordrhein-Westfalen war großflächig gestört. NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) machte sich in Altena und in Hagen ein Bild von der Lage. Eine Reise durch Süddeutschland hatte Laschet abgebrochen und auch seine Teilnahme an der CSU-Klausur im bayerischen Seeon abgesagt. "Das ist eine zu ernste Lage", sagte Laschet in Hagen.

Den Opfern der Starkregen-Katastrophe versprachen er und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Hilfe. "Wir werden die Kommunen und Betroffenen nicht allein lassen", sagte Laschet. Alle parteipolitischen Fragen müssten in einer solchen Situation in NRW zurückstehen.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) brach seinen Urlaub ab und kehrte aus dem Norden nach NRW zurück, um sich in den besonders betroffenen Regionen über die Lage zu informieren. "Viele Menschen werden weiterhin vermisst. Das bestürzt mich zutiefst", sagte Reul. Alle verfügbaren Kräfte seien im Einsatz, um den Menschen im Land zu helfen. Hilfe komme auch aus anderen Bundesländern, von der Bundeswehr und von der Bundespolizei.

Die Anwohner entlang der Wupper waren in der Nacht durch Sirenen geweckt und aufgefordert worden, umgehend den Gefahrenbereich zu verlassen. Es bestehe akute Lebensgefahr. In Wuppertal stellte die Justiz die Rechtsprechung ein. Das Justizzentrum liegt auf einer Insel inmitten der Hochwasser führenden Wupper.

Ein unkontrollierter Überlauf der Wupper-Talsperre bei Radevormwald konnte im letzten Moment verhindert werden. In Hückeswagen lief die Bevertalsperre über. Mehr als 1000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen. Zudem wurden angrenzende Ortschaften und Häuser evakuiert.

In Düsseldorf wurde die Ostpark-Siedlung mit 350 Gebäuden trotz eines Walls aus 25 000 Sandsäcken überflutet. Die kleine Düssel war um drei Meter angestiegen. Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) sprach von einem Jahrtausendhochwasser.

Etwa 600 Menschen aus dem Solinger Stadtteil Unterburg mussten wegen des Hochwassers der Wupper ihre Wohnungen verlassen. Die Einsatzkräfte retteten in Solingen etwa 130 Menschen im Stadtgebiet aus akuter Not vor dem Hochwasser. "Wir haben die Menschen über Drehleitern, Boote, Bojen herausgeholt", sagte ein Feuerwehrsprecher. "Unsere Heimatstadt ist von einer großen Katastrophe heimgesucht worden", sagte Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD).

In Eschweiler bei Aachen musste ein Krankenhaus evakuiert werden. Intensivpatienten wurden per Rettungshubschrauber vom Dach abgeholt und in andere Kliniken gebracht. Im Krankenhaus war - wie im Großteil der Innenstadt von Eschweiler - die Trinkwasser- und Stromversorgung ausgefallen. Auch in Leverkusen wurde eine Klinik evakuiert.

Der Fluss Inde spülte sein Hochwasser in den Braunkohletagebau Inden bei Aachen. Dort wurde ein Mitarbeiter vermisst und zunächst vergeblich per Hubschrauber und Wärmebildkamera gesucht. Der Abbaubetrieb wurde eingestellt.

Der Rhein-Erft-Kreis und die Städteregion Aachen riefen den Katastrophenfall aus. Wegen der Hochwasserlage entlang der Erft bestehe die Gefahr, dass sich die Lage neben Erftstadt auch auf Kerpen, Bergheim und Bedburg ausweiten könnte.

Rund 165 000 Menschen im Westen Deutschland waren nach Angaben des Energieversorgers Eon aufgrund des Unwetters am Donnerstagnachmittag noch ohne Strom. Besonders betroffen seien die Eifel, der linksrheinische Rhein-Sieg-Kreis, der Rheinisch-Bergische Kreis und Teile des Bergischen Landes, teilte das Unternehmen in Essen mit.

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