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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Wir wünschen Ihnen alles Gute" Freispruch für Krankenpfleger nach Tod eines Patienten
Die Vorwürfe gegen einen langjährigen Krankenpfleger, dem die Staatsanwaltschaft Totschlag vorwarf, hielten einer gerichtlichen Prüfung nicht stand. Der 47-Jährige verließ das Gericht als freier Mann.
Mit einem Freispruch endete das Verfahren gegen einen Krankenpfleger aus Wermelskirchen, während dessen Nachtschicht ein Demenzpatient gestorben war. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Pfleger unterstellt, den alten Mann aus Ärger über dessen Verhalten getötet zu haben.
"Wir wissen, dass diese Zeit eine große Belastung gewesen ist und wir hoffen, dass Sie Ihr Leben wie vorher fortsetzen können. Wir wünschen Ihnen alles Gute." Mit diesen Worten beendete Sabine Kretzschmar, Richterin am Landgericht Köln, das Verfahren gegen einen 47-jährigen Krankenpfleger, dem die Staatsanwaltschaft ein schweres Verbrechen vorgeworfen hatte: In den frühen Morgenstunden des 17. April 2019 sollte er gewaltsam einen 79-jährigen Demenzpatienten erstickt haben. Diese Vorwürfe erwiesen sich jetzt als haltlos: Der Mann wurde freigesprochen.
Bis zuletzt zeigte er sich vor Gericht reglos und gefasst. Nachdem Kretzschmar den Freispruch verkündet hatte, quittierte er das nur mit einem kurzen Blick und einem angedeuteten Nicken zu seinem Verteidiger hin. Erst, als er den Gerichtssaal verließ, erlaubte er sich mehr Emotionen und schloss seine Frau in die Arme, die das Gesicht an seiner Brust verbarg: ein Moment, der ahnen ließ, welch ein Albtraum die Anklage für den Mann und seine Angehörigen gewesen war.
Cholerischer Demenzpatient, ruhiger Pfleger
Die Protagonisten der Tragödie, zu der es in jener Aprilnacht vor zwei Jahren im Krankenhaus Wermelskirchen kam, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Das lässt sich der Urteilsbegründung entnehmen, in der Kretzschmar zunächst die Person und beruflichen Verdienste des Angeklagten würdigte: "Der Angeklagte ist ein gut ausgebildeter Krankenpfleger, seit über 25 Jahren im Krankenhaus tätig, für seine Kompetenz und seine hohe Belastbarkeit bekannt und wegen seines ruhigen, ausgeglichenen Wesens von Vorgesetzten und Kollegen geschätzt. Er ist völlig unbescholten, strafrechtlich bislang nie in Erscheinung getreten."
Den Verstorbenen hingegen beschrieb sie, diesbezügliche Zeugenaussagen zusammenfassend, als "einen Choleriker, der nur seine eigene Meinung gelten ließ und bei Diskussionen kein Ende fand". Der Mann, der in einem Alten- und Pflegeheim lebte, sei wegen seiner fordernden, unwirschen Art unbeliebt gewesen. Neben seiner Demenz sei er auch körperlich in seinem schlechten Gesundheitszustand gewesen: Herzinsuffizienz, Leberzirrhose, das Risiko von Blutgerinnseln und Herzinfarkten habe eine Rolle gespielt. Zwei Gutachter hatten einhellig bekundet, dass mit seinem Ableben jederzeit zu rechnen gewesen war.
Richterin rügt Ermittlungsverlauf
Die Kammer habe zwei Aspekte prüfen müssen, führte die Vorsitzende aus: zunächst, ob überhaupt eine Straftat vorliege oder ob der 79-Jährige eines natürlichen Todes gestorben war, außerdem, ob im Falle einer Tat der Angeklagte der Täter gewesen sei. Bei der Beantwortung beider Fragen seien viele Aspekte ungeklärt geblieben. Schon um 4.55 Uhr hatte der Pfleger den Tod des Patienten festgestellt und um 5.10 Uhr den diensthabenden Arzt darüber informiert. "Aus unbekannten Gründen machte der Arzt sich erst gegen 9 Uhr morgens auf den Weg, den Tod des Patienten festzustellen", so Kretzschmar.
Zwar habe dieser dann die Polizei hinzugezogen, da er keine eindeutige Todesursache habe ausmachen können, doch dort habe sich eine weitere Verzögerung ergeben: Zunächst durch Vergessen, dann durch einen Krankheitsfall, war das Institut für Rechtsmedizin erst eine Woche später eingeschaltet worden. Zu diesem Zeitpunkt waren bestimmte Gewebeuntersuchungen schon nicht mehr möglich gewesen: "Das war ein alles andere als idealer Ablauf der Ermittlungen", rügte die Richterin.
Natürlicher Tod oder andere Täter sind nicht auszuschließen
Für den Angeklagten spricht, dass keinerlei DNA von ihm am Toten gefunden wurde. Zwar hätten ihm, so Kretzschmar, aufgrund seiner Arbeit als Pfleger Handschuhe zur Verfügung gestanden. Ein anderer Punkt erschien der Kammer jedoch nicht schlüssig: Es sei ja ausschließlich der Angeklagte selbst gewesen, der gewusst hatte, dass er in den Stunden vor dem Tod des Patienten mit diesem mehrfach Probleme gehabt hatte, weil der demente Mann auf den Boden uriniert und einen Toilettenstuhl umgeworfen hatte und sich immer wieder auf den Weg machte, um die Station zu verlassen. Das hatte der Angeklagte bei seinen Befragungen ausgesagt, "was er naheliegend nicht getan hätte, wenn er der Täter wäre", mutmaßte die Richterin.
Berücksichtige man, dass 28 weitere Patienten auf der Station gelegen hatten und diese zudem die ganze Nacht hindurch für Besucher zugänglich gewesen war, dann sei – selbst im Falle eines Verbrechens – eine andere Person als Täter nicht auszuschließen. So hatten es schon in den Plädoyers nicht nur die Verteidiger des Pflegers gesehen, sondern auch der Staatsanwalt. Beide Seiten hatten daher gefordert, den Mann freizusprechen, wie es nun auch von der Kammer entschieden wurde.
- Besuch der Urteilsverkündung