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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Skandalprozess in Köln Nach Formfehlern: Neuer Richter nimmt sich Zeugen zur Brust
Nachdem ein Richter sich nicht an die Strafprozessordnung hielt, wurde der Prozess um drei Männer, die einen vierten überfallen und ausgeraubt haben sollen, mit einem neuen Richter fortgesetzt. Dieser nahm sich den Zeugen zur Brust.
In erster Instanz hatte ein inzwischen versetzter Richter über eine fragwürdige Zeugenaussage noch gewitzelt, bevor er das Verfahren kurzerhand beendete. In zweiter Instanz ging sein Kollege energischer vor: Zu groß waren die Diskrepanzen in der Aussage eines Zeugen vor der Polizei und vor Gericht.
Zeugenaussagen gehören zu den wichtigsten Beweisen in einem Strafverfahren. Sie sind für die Betroffenen mitunter nicht angenehm, wenn diese fürchten, durch eine Aussage in Konflikt mit möglichen Straftätern zu geraten. Dennoch sind Zeugen zur Wahrheit verpflichtet.
Dass daran nicht zu rütteln ist, demonstrierten am Donnerstag Richter Thomas Beenken und Staatsanwalt Benno Schmitz in einer Verhandlung vor dem Kölner Landgericht: Hier entging ein Zeuge nur knapp der Beugehaft, kassierte aber immerhin ein Ordnungsgeld von 200 Euro. Außerdem leitete die Staatsanwaltschaft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage und falscher Verdächtigung ein.
Der Prozess richtet sich gegen drei Männer, die im Oktober 2018 einen vierten in ein Auto gezerrt, geschlagen und ausgeraubt haben sollten. Aufgrund unklarer Zeugenaussagen war das Verfahren 2020 in erster Instanz zu einem abrupten Schluss gekommen: "Freispruch", hatte der damalige Richter erklärt – ohne, wie es die Strafprozessordnung vorschreibt, die Verhandlung mit Plädoyers, einer Beratung zwischen ihm und den Schöffen und einer offiziellen Verlesung des Urteils zu beenden.
Die fragwürdige Aussage eines Zeugen, der angab, sich an nichts zu erinnern und sagte, er habe Angst vor einer Einmischung, hatte der Richter damals nur mit einem Scherz über mögliche Beugehaft quittiert. Nicht so sein Kollege Thomas Beenken.
"Hatte Angst, dass sie mich schlagen"
Der Zeuge, ein 29-jähriger Zimmermann, hätte eigentlich schon vor einer Woche erscheinen sollen. Für den Termin hatte er sich allerdings mit einer Krankschreibung entschuldigt und diese mit einem Schreiben begleitet, in welchem er angab, sich nicht einmischen zu wollen. Beenken ordnete daraufhin an, den Zeugen zum jetzigen Verhandlungstermin polizeilich vorführen zu lassen. Der bestätigte, dass er das mutmaßliche Opfer kenne. Mit Blick auf die drei Angeklagten sagte er jedoch: "Ich habe die nie gesehen."
Beenken hielt dem Zeugen vor, dass er laut Akte kurz nach der mutmaßlichen Tat bei der Polizei namentlich einen der Männer benannt habe: Dieser habe das Opfer aus einem Auto geholt, getreten und beleidigt. Zwei andere, die er vom Sehen kannte, seien dann ebenfalls ausgestiegen, hätten erst versucht, den ersten zu beschwichtigen, dann jedoch auch auf das Opfer eingetreten. Auch soll der Zeuge bei der Polizei gesagt haben: "Ich hatte Angst, dass sie mich auch schlagen, wenn ich mich einmische." Der Zeuge soll es auch gewesen sein, der das Opfer am nächsten Tag zum Krankenhaus fuhr und dessen Verletzungen fotografisch dokumentierte.
Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen
Alles das kommentierte der 29-Jährige nun den Nachmittag über konsequent mit "Ich erinnere mich nicht." Die einzige Ausnahme: "Er hat mir gesagt, er hat sich selber geschlagen, damit im ärztlichen Bericht steht, dass er diese Verletzungen hat." Auf die Frage des Richters, ob ihm das nicht komisch vorgekommen sei, antwortete er: "Ja", schob aber gleich seinen meistgenannten Satz nach: "Ich erinnere mich nicht." Richter Beenken verbarg daraufhin seinen Ärger nicht mehr: "Sie erinnern angeblich nichts, nur das. Sie sollen nicht denken, dass man Ihnen das abnimmt. Ich habe den Eindruck, Sie halten das hier für eine Spaßveranstaltung."
Noch deutlicher wurde Staatsanwalt Benno Schmitz: "Sie haben bei der Polizei einen Namen genannt und sagen jetzt, Sie kennen die Angeklagten nicht. Damit haben Sie entweder bei der Polizei gelogen, dann ist das falsche Verdächtigung, oder Sie lügen heute und machen sich der Falschaussage schuldig. Wenn Sie sich nicht erinnern, gibt es keinen anderen Weg als ein Ermittlungsverfahren gegen Sie einzuleiten." Wenig später äußerte er, ein solches Verfahren laufe nun bereits.
Wachtmeister schon bereit zur Abführung
Auch auf die Frage, wer für ihn in der letzten Woche das Entschuldigungsschreiben aufgesetzt habe, äußerte der Zeuge nur "ein Freund" und weigerte sich, dessen Namen zu nennen: "Ich möchte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen." Da war die Geduld der beiden Juristen endgültig erschöpft. Beenken unterbrach die Sitzung für eine kurze Pause, nach deren Ablauf bereits drei Wachtmeister im Saal warteten.
Die Kammer verhängte mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ein Ordnungsgeld von 200 Euro wegen Verweigerung der Zeugenaussage. "Wir glauben, dass das Schreiben nicht ganz freiwillig war. Das ist der sachliche Zusammenhang zwischen dem Schreiben und der Aussage", so Beenken mit Blick auf die wiederholten Worte des Zeugen, er wolle seinen Freund nicht in Schwierigkeiten bringen. "Ich habe kein Geld", erklärte der Zeuge hektisch.
Beenken belehrte ihn, dass er vielleicht nicht richtig verstanden habe: "Das Ordnungsgeld ist schon entschieden. Es geht nun darum, ob Sie noch in Beugehaft genommen werden. Die Wachtmeister stehen da hinten schon." Erst daraufhin brachte der Zeuge hervor: "Okay, ich sage den Namen." Zur weiteren Verhandlung wurden noch drei Termine bis Ende Juli festgesetzt. Einer der Verteidiger brachte es auf den Punkt: "Das Verfahren ist so verfahren." Brisant ist der Ausgang der Verhandlung deswegen, weil eine Verurteilung ein noch grelleres Licht auf die nachlässige Beendigung des Verfahrens in der ersten Instanz werfen würde.
- Eigene Beobachtungen im Gerichtssaal