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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Fall Taghavi Prozess gegen Kölnerin: "Im Iran gibt es keinen Freispruch"
Sie wollte ihre Familie im Iran besuchen und landete in einem Foltergefängnis – vermutlich wegen ihres westlichen Lebensstils. Nun soll der Prozess gegen Nahid Taghavi aus Köln starten. Sie gilt als politische Geisel.
Seit Oktober des letzten Jahres ist die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi in Teheran inhaftiert. Die Architektin, die zwischen Köln und dem Iran pendelte, besuchte Verwandte in ihrer Heimat, als sie von Gardisten der islamischen Revolutionsarmee verhaftet wurde – lange blieb die iranische Regierung der 66-Jährigen einen konkreten Vorwurf schuldig. Am Sonntag, 13. Juni, beginnt nun der Gerichtsprozess gegen die politische Gefangene.
Wenn Mariam Claren, die Tochter Taghavis, an das vergangene halbe Jahr zurückdenkt, tut sie dies mit gemischten Gefühlen. Allen voran mit Trauer, Wut und Sorge, aber auch mit Hoffnung. Im Oktober 2020 war ihre 66-jährige Mutter in Teheran von Revolutionsgardisten verhaftet worden, die die Architektin in das berüchtigte Evin-Gefängnis am Stadtrand brachten. Hier wurde sie zunächst mehrere Monate lang in Isolationshaft gehalten, unter menschenunwürdigen Bedingungen.
"Weiße Folter" und Isolationshaft
In der Isolationshaft des Abteils A2, das von der Revolutionsgarde selbst verwaltet wird, ist die sogenannte weiße Folter an der Tagesordnung. Folter also, bei der keine körperliche Gewalt, sondern psychische Gewalt und Erniedrigung gegen das Opfer angewendet werden. So durfte Taghavi nur für 20 Minuten pro Tag an die frische Luft, beim Verlassen ihrer Zelle musste sie eine Augenbinde tragen. Geschlafen wurde auf dem harten Steinboden, ohne ein Kopfkissen, mit Verwandten sprechen durfte sie kaum. Wie ihre Tochter berichtet, ist Taghavi zudem Diabetikerin.
Auch einen Anwalt hat sie lange nicht gesehen – ebenso wenig wusste sie um den konkreten Tatvorwurf, der ihr zur Last gelegt wird: "Die Haftbedingungen sind nicht spurlos an meiner Mutter vorbeigegangen", schilderte Mariam Claren.
Zwischenzeitlich wurde Taghavi in den Frauentrakt des Gefängnisses verlegt, in dem die Behandlung der politischen Gefangenen etwas besser ist. Nach kurzer Zeit wurde die 66-Jährige jedoch wieder in Isolationshaft gebracht, aus der es vor drei Wochen zurück in den Frauentrakt ging: "Die ersten zwei Wochen konnte meine Mutter nicht stehen, solche Schmerzen hatte sie", erzählt Claren weiter, "auch schlafen konnte sie kaum. Wenn man insgesamt sieben Monate in Isolationshaft war, muss man sich erst einmal daran gewöhnen, sich mit neun anderen Frauen eine Zelle zu teilen."
Anklagepunkt: Propaganda gegen den Staat
Am 28. April hatte der Prozess gegen Taghavi beginnen sollen. Zu dieser Gelegenheit sahen sie und ihr Anwalt sich zum ersten Mal. Der Rechtsbeistand beantragte Akteneinsicht, der Beginn der Verhandlung wurde verschoben. Nun soll Taghavi am Sonntag, 13. Juni, erneut dem Richter vorgeführt werden. Um 6.30 Uhr nach deutscher Zeit, um 9 Uhr nach iranischer. Auch steht mittlerweile einer der beiden Anklagepunkte fest: Propaganda gegen den Staat. "Übersetzt heißt das: Reden und Denken ist verboten", sagt ihre Tochter.
Wie die Kölnerin erklärt, sei dies einer der häufigsten Vorwürfe, mit dem sich politische Häftlinge im Iran konfrontiert sehen, und stelle einen sehr grobmaschigen Begriff dar, der "alles und nichts" bedeuten könne.
"Was der Iran macht, sind Scheinprozesse"
"Das hat alles weder Hand noch Fuß", führt Claren weiter aus. "Was im Iran gemacht wird, sind Scheinprozesse, keine gerechten Verhandlungen."
Auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) kritisiert das Vorgehen der iranischen Behörden scharf: "Propaganda gegen den Staat ist alles, was nicht vollkommenen Loyalismus gegenüber dem Regime bedeutet", erklärt Martin Lessenthin, der Sprecher der IGFM. "Wenn eine Frau sich zum Beispiel gegen das Kopftuch ausspricht, ist das Propaganda."
Hinzu käme laut Lessenthin, dass es es sich beim Iran, in dem diesen Juni auch die Präsidentschaftswahlen anstehen, um einen theokratischen Staat handelt – und somit alles, was dem Glauben nicht entspricht, in den Augen der Machthabenden eine Straftat darstellen kann: "Alles, was die Frau mit dem Mann auf eine Stufe stellt oder nicht die Verfolgung von Homosexuellen gutheißt, ist Propaganda gegen den Staat."
Wie der Sprecher der IGFM weiter erklärt, sei Nahid Taghavi zwar nicht politisch aktiv, aber eine Frau, "die viel von der Welt gesehen hat. Sie lebte lange in Italien, in Köln, hat einen anderen Lebensstil und einen anderen Umgang mit den Dingen."
Hintergrund: Das islamische Revolutionsgericht, vor dem der Prozess gegen Nahid Taghavi ausgetragen werden wird, ist ein sogenanntes Sondergericht. Vor ihm werden Fälle von Häftlingen verhandelt, die aus politischen Gründen verhaftet wurden und denen unterstellt wird, den Iranischen Staat stürzen bzw. sabotieren zu wollen. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) kritisiert die mangelnde Rechtsstaatlichkeit des Irans schon lange. So würden politische Gefangene keinen Zugang zu einem unabhängigen Rechtsbeistand erhalten, auch die Richter seien verlängerte Arme des Regimes – und die Urteile dadurch bereits vor Gerichtsprozess gefällt: "Harte Urteile und grausame Bestrafungen wie Peitschenhiebe oder die Todesstrafe sind keine Seltenheit", sagt die IGFM.
Hohes Strafmaß befürchtet
Das reicht den iranischen Behörden anscheinend schon aus, um Taghavi vor das islamische Revolutionsgericht zu bringen. Wie der Prozess ausgeht, weiß aber auch Lessenthin zu diesem Zeitpunkt selbstredend noch nicht: "Die Todesstrafe – die es im Iran ja gibt – wird nicht gefällt werden. Allerdings befürchten wir, dass Frau Taghavi verurteilt werden und es ein hohes Strafmaß geben könnte."
Der Prozess gegen Taghavi sei ein Scheinprozess: "Bisher zeigt die Islamische Republik, dass sie weder vor den Menschenrechten noch vor der demokratisch gewählten deutschen Regierung Respekt hat."
Erst im April des letzten Jahres war die iranisch-französische Forscherin Fariba Adelkhah, ebenfalls Gefangene des Evin-Gefängnisses, zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden – auch ihr wurde unter anderem "Propaganda gegen den Staat" vorgeworfen.
Mariam Claren: "Im Iran gibt es keinen Freispruch"
"Ich bin Realist", sagt Mariam Claren mit Blick auf den anstehenden Gerichtsprozess gegen ihre Mutter: "Einen Freispruch gibt es im Iran nicht, vor allem nicht bei politischen Häftlingen. Ich erwarte aber, dass meine Mutter das Recht bekommt, sich selbst zu verteidigen und von ihrem Anwalt verteidigt zu werden."
Weiter hofft Mariam Claren darauf, dass der Richter unabhängig genug sein wird und sich den Urteilsspruch nicht schon im Vorfeld von den Geheimdienstlern diktieren lässt: "Außerdem hoffe ich, dass Deutschland am Sonntag genau hinsieht. Seit acht Monaten geschieht im Iran Unrecht gegen eine deutsche Staatsbürgerin, ohne dass etwas unternommen wird", so die Kölnerin.
"Das ist Folter und wir schauen dabei zu"
So beklagt Claren den mangelnden Einsatz der Bundesregierung, im Fall ihrer Mutter und den Fällen der anderen politischen Gefangenen einzuschreiten. Schließlich laufen derzeit auch die Verhandlungen zum Atomabkommen mit dem Iran, in dem dieser die Gefangenen als Faustpfand gegen den Westen verwende: "Das Atomabkommen ist das Schutzschild der iranischen Regierung", sagt auch Martin Lessenthin von der IGFM. "Das zweite Druckmittel des Irans ist der Handel, an dem viele europäische Länder interessiert sind."
Mariam Claren jedenfalls pocht auf ein strengeres Vorgehen der Bundesregierung: "Das ist Folter und wir schauen dabei zu."
- Eigene Recherchen
- Gespräch mit Martin Lessenthin
- Gespräch mit Mariam Claren