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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zweiter Prozess gestartet Kölner Richter hielt sich nicht an Strafprozessordnung
Mit einem Freispruch hatte ein Verfahren wegen Raub und Körperverletzung in Köln geendet, allerdings hielt sich der Richter damals nicht an die Strafprozessordnung. Jetzt wird der Fall in zweiter Instanz verhandelt – unter einem neuen Vorsitz.
Es war im ersten Durchgang ein Verfahren mit Fragezeichen und zeigte sich auch in der zweiten Instanz nicht viel klarer, wenn auch aus anderen Gründen: Vor dem Landgericht Köln müssen sich derzeit im Berufungsverfahren drei Männer verteidigen, die am 13. Oktober 2018 einen vierten Mann in ein Auto gezerrt, geschlagen und ausgeraubt haben sollten.
Bei der ersten Verhandlung im Januar 2020 hatte es Irritationen darüber gegeben, dass der damalige Vorsitzende des Schöffengerichtes am Amtsgericht, Dr. Frank Altpeter, die Angeklagten kurzentschlossen freigesprochen hatte, ohne dabei die Vorgaben der Strafprozessordnung korrekt einzuhalten. Sein Kollege, der in der Berufung mit dem Fall befasst ist, schien nun umso mehr Geduld demonstrieren zu wollen. Mehrere Stunden lang befragte er zwei Zeugen, deren Aussage sich im Wesentlichen darauf reduzieren lässt, dass sie die Angeklagten und ihr mutmaßliches Opfer kennen, aber keine Angaben zu den Tatvorwürfen machen könnten.
Kein Urteil aus der ersten Instanz
Zunächst musste Richter Thomas Beenken jedoch den Prozess einleiten. Dabei wurden erneut die Formfehler des früheren Vorsitzenden des Schöffengerichtes am Amtsgericht thematisiert. "Das Verfahren weist einige Besonderheiten auf, unter anderem, dass in der ersten Instanz wenig formal abgelaufen ist", kritisierte einer der drei Verteidiger. Unwissentlich legte auch die Dolmetscherin den Finger in die Wunde: "Haben Sie ein Urteil für mich?", fragte sie den Vorsitzenden, der nur mit einem schlichten "Nein" antwortete.
"Auch, wenn wir alle wissen, was in der Akte steht, möchte ich beantragen, dass das Urteil verlesen wird", forderte einer der drei Strafverteidiger. "Das Protokoll ist wohl das Urteil, mehr gibt es nicht", antwortete der Vorsitzende sachlich, woraufhin der Anwalt noch einmal nachlegte: "Ich möchte, dass zu Protokoll genommen wird, dass es kein schriftliches Urteil gibt."
Richter inzwischen in anderem Bereich tätig
Aus dem Protokoll der erstinstanzlichen Verhandlung geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft damals einen Freispruch beantragt habe. Daraufhin soll Altpeter sich jedoch nicht mit den Schöffen beraten haben, obwohl deren Stimme bei der Urteilsfindung eigentlich das gleiche Gewicht haben soll wie die eines Berufsrichters. "Die Schöffen signalisieren nach Blickkontakt Zustimmung", heißt es lediglich.
Statt eines offiziellen Urteilsspruches "im Namen des Volkes" beendete der Richter den Fall damals mit den Worten: "Akte zu, Affe tot." Entsprechende Berichte erschienen im "Kölner Stadt-Anzeiger" und "Express" noch am gleichen Tag – und schon einen Tag später legte die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel ein. Richter Altpeter hat inzwischen nicht mehr den Vorsitz des Schöffengerichtes, sondern ist in einem anderem Bereich des Gerichts tätig.
"Ich erinnere mich nicht"
Nach Erledigung der Eingangsformalitäten wurden zunächst zwei Zeugen gehört, die gemeinsam mit den Angeklagten und dem Nebenkläger an jenem Tag auf einer Hochzeitsfeier gewesen sein sollen. "Es ist schon ein paar Jahre her. Ich erinnere mich an wenige Sachen. Ich habe Alkohol getrunken, und als das Problem geschah, war ich weit weg. Es war dunkel und ich bin dann nach Hause gegangen. Mehr kann ich nicht sagen", äußerte ein 24-jähriger Lagerarbeiter. "Wenn Sie nichts sagen können, woher wissen Sie dann, dass es ein Problem gab?", wollte der Vorsitzende von ihm wissen. Der Zeuge blieb mit seinen Antworten jedoch vage. "Ich habe es gehört, aber ich erinnere mich nicht daran, von wem."
Ob die Angeklagten in der fraglichen Situation beteiligt gewesen seien, erinnere er auch nicht. Der Richter hielt ihm vor, dass er kurze Zeit nach dem mutmaßlichen Tattag bei der Polizei etwas anderes gesagt habe. Demnach habe er gesehen, wie einer der Angeklagten das mutmaßliche Opfer in ein Auto schubste und losfuhr. Auch dazu lautete die Antwort, wie noch so häufig an diesem Verhandlungstag: "Ich erinnere mich nicht."
Staatsanwalt Benno Schmitz warnte: "Sie müssen hier die Wahrheit sagen. Ich habe das Gefühl, dass Sie das nicht ernst nehmen. Wir können hier auch den Polizeibeamten vernehmen, es kann sein, dass Sie dann selber ein Beschuldigter werden." Wie die Nebenklage-Vertreterin hervorhob, hatte sich der 24-Jährige damals sogar selbst als Zeuge zur Verfügung gestellt.
Zweiter Zeuge: "Ich möchte keine Probleme haben"
Von all dem ließ sich der Lagerarbeiter jedoch nicht beirren. Auch die Angaben des folgenden Zeugen waren wenig ergiebig. "Es gab laute Schreie unter den Jungs. Ich habe gefragt: Gibt es Probleme? Sie sagten 'Nein' und jeder ging seinen Weg. Ich habe keine Auseinandersetzung oder Schläge gesehen", äußerte dieser und betonte: "Ich möchte keine Probleme haben."
Schon zu Beginn seiner Vernehmung machte der 35-jährige Küchenmonteur deutlich, dass er seinen Aufenthalt im Gericht gerne kurz halten würde: "Ich muss noch nach Stuttgart." Seinem Wissen nach seien Angeklagte und Nebenkläger wieder versöhnt. Zu einer Vorgeschichte der Versöhnung habe er aber keine Fragen gestellt: "Ich mag nicht, wenn es zwischen den Jungs Probleme gibt, aber ich möchte mich nicht einmischen." "Das ist doch mehr als unglaubwürdig“, empörte sich Staatsanwalt Benno Schmitz.
Auch der Vorsitzende war mit den Aussagen des Zeugen und dessen Blick zur Uhr sichtlich nicht zufrieden. "Sie dürfen hier nicht in Stunden und Minuten denken. Ich hatte mal ein Verfahren, das ging über ein dreiviertel Jahr", belehrte er ihn. "Ich bin jetzt erschöpft", antwortete der Zeuge. Sollte er gehofft haben, seine Vernehmung damit zu einem Ende zu führen und nach Stuttgart aufbrechen zu dürfen, war das jedoch nicht die richtige Strategie: "Gut, dann machen wir jetzt eine Kaffeepause", ordnete der Vorsitzende an, wodurch sich der Aufenthalt des Zeugen im Gericht nochmal um etwa eine Stunde verlängerte.
Nebenkläger entlastet teilweise die Angeklagten
Ergiebiger war die Befragung des Nebenklägers. Er schilderte, dass die Angeklagten ihn attackiert hätten und gab dazu auch eine Vorgeschichte an: "Wir arbeiteten für die gleiche Firma. Dort gab es Probleme wegen Metallstücken, die sie von der Arbeit mitnahmen und weiterverkauften. Ich habe ihnen gesagt: Ich finde das nicht gut, ich werde es der Polizei erzählen!" Nach einer Hochzeitsfeier sei es dann zu den Übergriffen durch die drei Männer gekommen.
In einem Punkt jedoch entlastete er sie: So ging die Anklage bislang davon aus, dass die drei Männer dem Nebenkläger 500 Euro Bargeld und ein Mobiltelefon geraubt hätten. Darüber sagte er nun, er könne diese auch bei der Auseinandersetzung verloren haben. Der Vorwurf des Raubes ist damit hinfällig. Was weiterhin zu erörtern ist, ist die Frage nach schwerer Körperverletzung. "Sie haben mich mit flachen Händen und Fäusten geschlagen. Einer hat den Autoschlüssel zwischen die Finger geklemmt und mich damit geschlagen. Außerdem haben sie mich getreten", gab der 27-Jährige an.
Mehr Erkenntnisse zum möglichen Tathergang erhofft sich die Kammer von der Vernehmung eines Zeugen, der für den Mittwoch geladen war, sich aber krank gemeldet hat und das Gericht wissen ließ: "Ich möchte mich nicht mehr einmischen und äußern." Er soll nun in einem weiteren Termin vernommen werden, der für den 17. Juni angesetzt ist.
- Besuch der Gerichtsverhandlung