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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Aussteiger über Hells Angels in Köln und NRW "Das sind Straßenjungs, die jetzt Rocker spielen"

In Nordrhein-Westfalen geraten die Hells Angels immer wieder ins Visier der Ermittler. Zuletzt kam es zu Festnahmen in Pulheim und Köln. Ein Aussteiger kritisiert den Wandel des berüchtigten Klubs.
Es ist mitten in der Nacht, als schwer bewaffnete Spezialeinheiten zuschlagen. Ihre Ziele: ein Wohnhaus in Pulheim und zwei Wohnungen in Köln. Die Polizei sucht zwei Männer im Alter von 31 und 33 Jahren – beide sollen der Rockergruppe Hells Angels angehören. Der Verdacht: Unterstützung einer Bande von professionellen Einbrechern, spezialisiert auf Geldtresore in Tankstellen. Die Männer sollen ihre Wohnungen sowie ein mutmaßlich von den Hells Angels genutztes Haus als Unterschlupf für verurteilte Täter bereitgestellt haben. Ein Einsatz, der am vergangenen Dienstag (8. April) Aufmerksam auf sich zog. Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Szene selbst.
Kassra Zargaran, ein Aussteiger aus der Hells-Angels-Szene sowie Buchautor und Podcaster, verfolgt die Ereignisse aus der Ferne. Seit seinem Ausstieg lebt er unter Polizeischutz an einem unbekannten Ort. Im Gespräch mit t-online kritisiert er nicht nur die mutmaßlichen Taten der Beschuldigten, sondern beschreibt auch einen grundlegenden Wandel im Rockermilieu – insbesondere in Nordrhein-Westfalen.
"Schon zu meiner Zeit hat sich das abgezeichnet – dass es qualitativ beim Personal abbaut." Heute seien es "nicht die hellsten Kerzen auf der Torte", die sich den Klubs anschlössen. Hells Angels hätten früher eine gewisse Professionalität ausgestrahlt – heute dominieren laut Zargaran Planlosigkeit und Kleinkriminalität.

Zur Person
Kassra Zargaran wurde 1986 in Hamburg geboren. Er war zwischen 2010 und 2014 Mitglied der Hells Angels. Er saß sieben Jahre für die Beteiligung an einem Mord im Gefängnis. Während des Prozesses sagte er als Kronzeuge aus. In der Szene war er als der "Perser" bekannt. Seine Geschichte kann im Buch "Der Perser" nachgelesen werden. Außerdem betreibt er den Podcast "Triggered", in dem er auf Journalisten, Anwälte, ehemalige Klubmitglieder und Polizisten trifft.
Aus seiner Sicht hat sich ein Teil der Szene zu einer "Spielwiese für halbseidene Gestalten" entwickelt, die in sozialen Netzwerken mehr Wert auf Selbstdarstellung legen. Er sagt: "Früher war Öffentlichkeitsarbeit Sache von Pressesprechern. Heute sieht man Kutten auf TikTok." Und weiter: "Das sind keine Leute mehr wie früher – mit Geschäftssinn. Das sind Straßenjungs, die jetzt Rocker spielen."
Gewaltwelle in NRW: Schüsse, Explosionen und verletzte Rocker
Trotzdem nimmt die Gewalt kein Ende. Auch wenn die Tat von vergangenem Dienstag in Pulheim zunächst wie ein Einzelfall wirkt, fügt sie sich in ein besorgniserregendes Muster ein: Seit Januar kommt es in NRW immer wieder zu Gewaltausbrüchen innerhalb der Rockerszene. Die Polizei zählt eine ganze Serie von Anschlägen – mit Schusswaffen, Sprengsätzen und Verletzten. In Unna, Holzwickede, Bochum und Oberhausen wurden Wohnhäuser und Treffpunkte beschossen oder gesprengt. In einem Fall schleppte sich ein 52 Jahre alter Rocker, möglicherweise ein übergelaufener Ex-Bandido, mit einer Schussverletzung in ein Krankenhaus.
Die Polizei spricht inzwischen von einer "hochdynamischen Lage" – und handelt. Mit der besonderen Aufbauorganisation (BAO) Chrom bündelt sie Kräfte aus verschiedenen Städten, um gezielt gegen eskalierende Konflikte unter Rockern vorzugehen. Schon kurz nach dem Start der Taskforce wurden erste Festnahmen im Ruhrgebiet vermeldet.
Was steckt hinter dem Rockerkrieg in NRW?
Die Ermittler sehen einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Gewaltwelle und der massenhaften Abwanderung von Rockern im Herbst. Damals verließen etwa 20 sogenannte Chapter die Bandidos und schlossen sich den Hells Angels an. Diese Verschiebung im Machtgefüge könnte Auslöser für interne Machtkämpfe und finanzielle Konflikte sein. Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange kündigte an, konsequent durchzugreifen: "Eine weitere Eskalation darf es nicht geben."
Auch Rocker-Experten wie Michael Ahlsdorf, ehemaliger Chefredakteur des Magazins "Bikers News", warnten bereits im Herbst vor einer möglichen Spirale der Gewalt. "Möglich ist alles", sagte er damals zu t-online.
- Gespräch mit Kassra Zargaran
- Artikel von t-online
- Eigene Recherchen