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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nur zweimal in ganz Deutschland "Drehen hier die Welt um": Zu Besuch im Gehörlosen-Café
Einen Cappuccino in Gebärdensprache bestellen? Im Kölner Signcafé ist das möglich. Es ist das einzige Café in NRW, das sich an den Bedürfnissen gehörloser Menschen orientiert.
Zeredesit Omar füllt die Milch in ein schwarzes Kännchen. Das Kännchen stellt er in den Milchaufschäumer und drückt auf einen Knopf. Dann neigt sich der Boden zur Seite und das Rohr des Aufschäumers fährt aus. Die Maschine gurgelt einige Sekunden, bis die Milch ordentlich Volumen bekommen hat. Den fertigen Schaum gießt Omar mit geschickten Handgriffen in den schon vorbereiteten Kaffee, sodass auf der Oberfläche ein weißes Blatt entsteht.
Die Barista-Kunst ist manchmal komplizierter, als sie aussieht. Um den perfekten Milchschaum hinzubekommen, muss man nach Gehör gehen und ein spezielles Zischen hören. Das bestimmt, ob man mit der Kanne beim Aufschäumen höher oder tiefer geht und wann man den Vorgang stoppt.
Die Zeitspanne dafür ist nur ein paar Sekunden lang. Verpasst man sie, ist der Milchschaum dahin. Das Problem: Zeredesit Omar ist praktisch gehörlos, er nimmt nur noch laute Geräusche wie einen Knall oder Sirenen wahr. Der automatisierte Aufschäumer hilft ihm also enorm. Schließlich sollen seine Gäste den perfekten Kaffee bekommen.
Gehörlosen-Café in Köln: Eine Chance für viele Menschen
Omar ist einer von vier gehörlosen Mitarbeitenden im Signcafé. Vorher hat er in einem Restaurant gearbeitet. Aber nicht mit Kundenkontakt, sondern in der Küche. In Gebärdensprache erzählt er: "Damals im Restaurant konnte keiner die Gebärdensprache sprechen. Ich bin dort ständig auf Barrieren gestoßen."
Diese Barrieren gibt es im Signcafé nicht, weil jeder Mitarbeitende die Gebärdensprache beherrschen muss. Aber auch, weil das Bestellen hier anders funktioniert als in anderen Cafés. Jedes Produkt hat ein Bild und einen QR-Code. Wird dieser gescannt, zeigt ein Erklärvideo die passende Gebärde zum Getränk oder zur Speise.
So können auch Menschen, die die Gebärdensprache nicht beherrschen, auf diese Weise bestellen. Den meisten mache das Ausprobieren großen Spaß, sagt Omar. Sollte es im Signcafé dennoch zu Kommunikationsproblemen kommen, sind jederzeit auch hörende Mitarbeiter vor Ort, die im Zweifelsfall übersetzen und aufklären können.
Für den hochgradig schwerhörigen 36-Jährigen wurde in den Räumlichkeiten extra ein Schallschutz eingebaut. Klingt komisch, ist aber wichtig, um Störgeräusche und Nachhall bei seiner Resthörigkeit zu minimieren. Ansonsten wäre für Omar das Arbeiten hier praktisch unmöglich.
Gehörlosen-Café in Köln: Eine Chance für viele, ein Traum für die Besitzerin
Inhaberin Angela Herbig hat das Signcafé vor gut einem Jahr gegründet. Sie selbst ist hörend, arbeitet als Sozialpädagogin aber schon seit 25 Jahren mit gehörlosen Menschen. "Wir betreuen viele Gehörlose, die immer wieder das Problem haben, nur ganz schwer Arbeit zu bekommen", sagt Herbig. Bis vor wenigen Jahren wurden sie häufig zu Druckern, Malern oder Lackierern ausgebildet. Es fehlte schlichtweg an Lehrern.
Ein Café zu besitzen, sei immer schon ihr Traum gewesen, erzählt Herbig. "Und ich habe gesagt: Wenn ich eines eröffne, möchte ich, dass dort auch gehörlose Menschen arbeiten und das Ganze auf sie abgestimmt wird." In der Gastronomie sei das eine absolute Ausnahme. "Alle Menschen denken, das geht nicht. Wir zeigen: doch – und zwar mit einfachen Hilfsmitteln."
Kölner Signcafé auch bei autistischen Menschen beliebt
Im Signcafé ticken die Uhren anders. "Wir drehen hier die Welt um", sagt Herbig. Bedeutet: Im Café helfen die gehörlosen Menschen den Hörenden und nicht, wie sonst, andersherum. Das Publikum sei bunt gemischt, sagt die Inhaberin. Junge Menschen, Eltern mit ihren Kindern, aber auch Menschen mit anderen Beeinträchtigungen und Wohngruppen aus Behinderteneinrichtungen seien regelmäßig zu Gast. "Sie signalisieren uns: Bei euch fühlen wir uns wohl, weil ihr natürlich mit uns umgeht", erzählt Herbig.
Auch die Atmosphäre unterscheidet sich von anderen Cafés. Gäste freuen sich über die Ruhe, die im Signcafé im Gegensatz zu anderen Orten herrscht. Die ruhige Atmosphäre sei tatsächlich ein Lob, das sie häufig bekomme, sagt Herbig – und außerdem ein Grund, warum auch Familien mit autistischen Kindern gerne zu Gast sind.
Gebärdensprache: Unterschiede weltweit sind groß
Zeredesit Omar bereitet in der Zwischenzeit den nächsten Kaffee vor. Zu jedem Getränk gibt es beim 36-Jährigen ein strahlendes Lächeln gratis dazu. Damit und mit seiner Hilfsbereitschaft kann er viele Kommunikationsprobleme lösen. Aber auch er gerät manchmal an seine Grenzen. "Einmal kam eine junge gehörlose Frau aus China ins Café. Oh Gott!", gebärdet er und schmunzelt.
Denn auch in der Gebärdensprache gibt es je nach Land Unterschiede und nicht jeder gehörlose Mensch versteht den anderen. Zum Glück habe damals eine deutsche Freundin übersetzt. Deutsche Hörende seien manchmal ähnlich schwer zu verstehen, da sie deutlich weniger Mimik und Gestik benutzen als zum Beispiel Menschen aus der Türkei oder Spanien.
Er selbst möchte seinen Teil dazu beitragen, dass Gehörlosigkeit in der Gesellschaft sichtbarer wird. Dazu gehört auch, Verständnis für bestimmte Reaktionen aufzubringen. Anderen gehörlosen Menschen sei es zum Beispiel oft unangenehm, wenn sie von Hörenden beim Gebärden beobachtet werden. "Ich weiß ja, dass die Anderen keine Erfahrung mit Gebärdensprache haben", sagt Omar. "Also freue ich mich stattdessen, dass sie neugierig sind, mich Sachen fragen, meine Sprache annehmen und vielleicht sogar lernen wollen."
Ein Safe Space für gehörlose Menschen in Köln
Weil die Resonanz der erwachsenen Gäste im Signcafé so groß ist, werden einmal im Monat Gebärden-Workshops angeboten. Die Plätze sind schnell ausgebucht, also soll die Frequenz bald erhöht werden. Außerdem plant sie einen Video-Podcast, der im Signcafé aufgezeichnet werden soll und in dem gehörlose Menschen über ihre Alltagsbarrieren sprechen.
Herbig ist wichtig, so viel Öffentlichkeit wie möglich für das Thema zu schaffen. "Ich weiß, dass gehörlose Menschen jeden Tag, immer wieder, an Sprachbarrieren gelangen", sagt die 57-Jährige. "Die leben so isoliert, das kann man sich als Hörender nicht vorstellen." Und trotzdem gibt es neben dem Signcafé nur ein weiteres Café in ganz Deutschland, das sich an den Bedürfnissen Gehörloser orientiert: das Sinn & Wandel in Frankfurt.
Herbig macht es glücklich, gehörlosen Menschen in ihrem Café eine Art Safe Space bieten zu können. "Wenn sie das erste Mal hier sind, machen sie Fotos und freuen sich. Sie sagen: 'Endlich gibt es einen Ort, an dem ich in meiner Sprache bestellen kann.'" Dass der Kaffee noch dazu hervorragend schmeckt, ist eine nette Beigabe.
- Reporter vor Ort