20 Jahre NSU-Anschlag Wüst bittet bei Gedenkfest um Entschuldigung
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Das Birlikte-Gedenkfest wurde zunächst von einem Fehlalarm überschattet. 20 Jahre nach dem NSU-Bombenanschlag entschuldigt sich Ministerpräsident Wüst.
Bei dem Birlikte-Gedenkfest in Köln-Mülheim gab es am Sonntag zunächst eine längere Verzögerung aufgrund eines Bombenalarms. Bombenspürhunde der Polizei hatten an der Hauptbühne des Gedenkfestes angeschlagen Dies löste eine Suche nach möglichen gefährlichen Gegenständen aus, die allerdings erfolglos blieb. "Die Ermittler konnten keine gefährlichen Gegenstände finden", bestätigte ein Sprecher gegenüber t-online.
Das Birlikte-Fest, dessen Name "gemeinsam" bedeutet und den Zusammenhalt von Menschen unterschiedlicher Kulturen symbolisiert, sollte ursprünglich um 13.30 Uhr beginnen. Die Ankunft mehrerer Politiker, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Oberbürgermeisterin Henriette Reker, verzögerte sich jedoch aufgrund des Alarms bis etwa 14.30 Uhr. Die Polizei sperrte den Zugang zur Hauptbühne zunächst ab.
Das Programm auf der Open-Air-Bühne Keupstrasse an der Ecke Bergisch-Gladbacher-Straße fand während des Einsatzes wie geplant statt. Hunderte Menschen aus verschiedensten Kölner Vierteln hatten sich in die belebte Keupstraße aufgemacht. Straßenhändler verkauften Gebäck, Süßwaren oder türkische Spezialitäten. Initiativen wie "Keupstraße ist überall" informierten an Ständen über ihre Aufklärungsarbeit.
Birlikte-Fest als Symbol von Zusammenhalt
Das Fest findet anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des NSU-Nagelbombenanschlags statt, bei dem mehr als 20 Menschen teilweise schwer verletzt wurden. Im Kontext des politischen Klimas mit zunehmender Zustimmung für rechtsextreme und populistische Parteien in Europa wird das Fest als Symbol für den Zusammenhalt gesehen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief am Nachmittag um Zusammenhalt aller Demokraten und Antirassisten auf. "Es kommt darauf an, dass wir Gewalt im politischen Meinungskampf ächten – ganz gleich, aus welchen Motiven sie sich speist: ob links- oder rechtsextremistisch oder aus religiösem Fanatismus – Gewalt zerstört Demokratie, und das wollen wir nicht", sagte Steinmeier am Sonntag.
Bei der Feier wurde auch an den vor einigen Tagen in Mannheim mutmaßlich von einem Islamisten erstochenen Polizisten erinnert. Die Demokratie frage nicht danach, aus welcher Richtung der Extremismus kommt, "der ihr ans Leder will", sagte Steinmeier. "Die Demokratie fragt nach der Kraft und der Solidarität der Mehrheit, die sie verteidigt."
Steinmeier spricht von "zweiter Bombe"
Steinmeier schilderte den Ablauf des NSU-Anschlags vor genau 20 Jahren: "702 Zimmermannsnägel wurden später gefunden, jeder einzelne zehn Zentimeter lang. Die Wucht des Sprengstoffs schleuderte die glühenden Nägel Hunderte von Metern weit. Diese Wucht warf Menschen um, die langen Nägel bohrten sich in Körper, die Detonation zerriss Trommelfelle, die Druckwelle verwüstete die halbe Straße."
Damit sei der Schrecken für die Anwohner aber noch nicht zu Ende gewesen, so Steinmeier. "Für die Opfer des Anschlags kam das, was manche von ihnen heute "die zweite Bombe" nennen. Es war die Erfahrung, zunächst nicht als Opfer wahrgenommen zu werden, sondern stattdessen als Verdächtige zu gelten." Die Polizei hatte die Täter zunächst in der türkischen Community vermutet und dort jahrelang ermittelt. Erst sieben Jahre später stellte sich heraus, dass die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt für den Anschlag verantwortlich waren.
Wüst bittet um Entschuldigung
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bat die Bewohner der Kölner Keupstraße in seiner Rede um Entschuldigung. Wüst sagte, ihn erfülle das damalige Geschehen mit Scham. "Es ist die wichtigste Aufgabe eines Staates, Menschen zu schützen. Vor 20 Jahren hat unser Staat gleich doppelt versagt."
Er habe den Anschlag nicht verhindert und danach die Opfer als Täter verdächtigt. "Als Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen richte ich mich deshalb an alle, denen so lange nicht geglaubt wurde und die ins Visier der Ermittler gerieten, obwohl sie selber Opfer waren. Ich bitte Sie um Entschuldigung", sagte Wüst.
Umfangreiches Programm auf der Keupstraße
Neben Reden von Politikern beinhaltet das umfangreiche Programm des Festes auch Führungen, Ausstellungen, Konzerte und Diskussionen. Besonders hervorgehoben wird ein Film über den Anschlag, "Der Kuaför aus der Keupstraße", sowie eine Podiumsdiskussion über die Rolle der Medien in Bezug auf rechtsextremen Terror. Ziel ist es, "über Wege zum Gedenken an rechtsextreme Gewalt und deren Aufarbeitung" zu diskutieren.
- Reporter vor Ort
- Telefonat mit der Polizei Köln
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa